Bittere Wahrheit…. Inge Elsing-Fitzinger
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„Arzt sein ist ein Beruf voll Aufopferung und Selbstaufgabe. Möglicher Weise musst du auf eine Familie, auf Kinder verzichten.“
All diese wohlgemeinten Einwände konnten Isabelle von ihrer vorgefassten Leidenschaft nicht abbringen. Das Lernpensum der Maturaklasse erledigte sie mit Mindestaufwand. Das war auch nötig bei all den Aktivitäten, die sie sonst noch verwirklichen wollte. Ihr Terminkalender glich dem eines Managers. Montag hatte sie seit ihrem sechsten Lebensjahr Klavierunterricht. Später studierte sie auch Gesang. Dienstag und Freitag wurde geritten. Pferde waren Isabelles zweite große Leidenschaft. Mit sieben Jahren hatte sie bereits begonnen. Um Mutters Ängste zu beruhigen, wenn die temperamentvolle Tochter stundenlang durchs Gelände streifte, kaufte sich Papa auch ein Pferd. Er begleitete sie, wann immer es seine Zeit erlaubte. Tosender Applaus bei Wettkämpfen, wenn sie wagemutig über Hindernisse setzte. Angst kannte sie nicht. Mutter meinte bisweilen etwas geschockt. „Ich wäre sehr froh, du würdest dich einmal fürs Schachspielen interessieren!“
Isabelle liebte nun mal das Außergewöhnliche. Mittwoch und Donnerstag jobbte sie mit Eifer. Sie gab Nachhilfestunden, und unterstützte die Freundin ihrer Mutter bei der Aufzucht ihrer vier Sprösslinge. Knochenarbeit, die sie ebenfalls mit bestem Erfolg absolvierte. Immerhin konnte sie sich einen Gutteil ihrer reichlich teuren Reitstunden damit selber finanzieren.
Die Wochenenden waren ausgefüllt mit Lernen, Kuchenbacken und sonstigen Annehmlichkeiten, wie Geburtstagspartys, später Tanzkränzchen beim Hübner im Stadtpark. Nach bestens bestandener Matura schrieb sie sich auf der medizinischen Fakultät ein. Vom ersten Augenblick an war sie eine begeisterte Hörerin, die allen Schwierigkeiten mit Bravour trotzte. Sie büffelte viele Nächte lang, wollte ihrem Vater absolut keine Schande machen.
„Ich habe es geschafft Papa! Du kannst stolz auf dein Mädchen sein“, flüsterte sie jetzt mit tränenerstickter Stimme.
Das Medizinstudium hatte ihr wenig Freiraum gelassen. Vorlesungen bis spät in die Nacht. Anatomie, Biologie, Chemielabor, Physikalisches Institut. Sie war von einer Vorlesung zur anderen geschwirrt, hatte besessen geschuftet, war brillant vorangekommen. In kürzest möglicher Zeit hatte sie ihre Prüfungen abgelegt. Jetzt famulierte sie im AKH, dem größten Krankenhaus Wiens, verbrachte viele Nächte dort. Das Haus stand also wirklich sehr oft leer. Warum überkam sie heute solch entsetzlicher Abschiedsschmerz. Etwas unerklärbar Endgültiges.
Leere Kartons warteten geduldig mit Habseligkeiten vollgefüllt zu werden. Nichts geschah. Ihr Hirn war ausgebrannt, die Glieder unendlich schwer. Warum tat sie sich das an? Sie wollte die Städte ihrer Kindheit doch gar nicht verlassen. Trotzdem schien alles seinen Lauf zu nehmen, unabänderlich, vorprogrammiert.
Schätze aus längst vergangenen Kindertagen, Spieldosen, Puppen, Teddybären, Bilder an den Wänden, all das sollte für immer verloren sein? Sie liebte jedes einzelne Stück, verband unauslöschliche Erinnerungen mit ihnen. Hier war sie zufrieden, unbeschwert, bis zu diesem Herzzerbrechenden Augenblick vor vier Jahren, als zwei Polizisten vor der Tür standen, mit ernster Miene das Schreckliche vermeldeten.
„Ihre Eltern sind heute Morgen bei einem Verkehrunfall auf der Autobahn verunglückt. Ihr Vater starb noch an der Unfallstelle. Ihre Mutter wurde ins Allgemeine Krankenhaus gebracht!“ Ungläubig hatte sie die beiden Männer angestarrt. Sie wollte die Tür zuschlagen, alleine sein. Doch der ältere meinte, man würde sie ins Krankenhaus bringen, wenn sie das wolle. Sie war mitgefahren.
Mutter lag in Verbände gewickelt unter einem Sauerstoffzelt. Zischen und Klopfen erfüllte den Raum. Ein Gewirr von Schläuchen. Lebenserhaltende Infusionen, hoffte Isabelle. Unablässig streifte sie über die blasse Hand der sterbenden Frau. Kalt lag sie regungslos auf dem Laken.
„Mutter, kannst du mich hören. Ich bin es, deine Isabelle. Komm mach die Augen auf, schau mich einen Moment lang an, bitte Mutter!“
Schluchzend wandte sie sich an den eintretenden Arzt. „Wird sie überleben? Mutter ich brauche dich! Lass mich nicht allein!“
Stunden waren vergangen. Isabelle war auf dem unbequemen Stuhl eingenickt. Monotone Signale der Apparaturen. Irgendwann, nach Mitternacht schreckte sie auf.
„Isabelle“, hörte sie die flüsternde Stimme.
„Mutter, bist du wach. Kannst du mich hören?“
Sie blickte in gebrochenen Augen einer sterbenden Frau. Die Lider flatterten. Mühsam hob Mutter die blasse Hand an die Wange ihrer geliebten Tochter, lächelte. Ihre Finger berührten sich erst zaghaft, dann immer heftiger. Ein verzweifelter Kampf. Sie fühlte, dass Mutter ihr etwas sagen wollte. Die Lippen formten sich zu Worten, kaum hörbar, schließlich doch verständlich.
„Isabelle, du musst stark sein. Du schaffst es mein Kind. Paris. Suche Marie-Louise de Valloir. Sie ist…. «
Kraftlos sank die sterbende Frau in die Kissen zurück. Nach wenigen Augenblicken erfüllte ein starrer Pfeifton den Raum. Fassungslos starrte Isabelle auf den Monitor.
„Jetzt bin ich alleine, habe keinen Menschen mehr, der mich liebt“, wimmerte sie kaum hörbar. In ihrem Kopf hämmerte Enttäuschung, Kummer, Verzweiflung. Ein heftiger Schmerz erfüllte ihre Brust, breitete sich langsam in ihrem ganzen Körper aus. Regungslos starrte sie aus dem Fenster. Der Mond stand am tiefblauen Himmel, tröstend, unbeirrbar.
Ein entsetzlicher Schock
Nachdem der erste Schmerz etwas nachgelassen hatte, beauftragte Isabelle einen Detektiv, sich nach besagter Marie-Louise de Valloir zu erkundigen. Der Mann wurde tatsächlich fündig. Ein ausführlicher Bericht folgte.
„Marie-Louise Dubois, geborene de Valloir, stammt aus adeligem Hause. Eltern bewohnen ein wunderbares Anwesen in der Nähe von Paris. Die genaue Adresse war angegeben. Seit vierzehn Jahren mit einem gewissen Alain Dubois, Oberprokurist der Firma Bernard Villot, verheiratet. Wohnadresse und einige Photos lagen bei. Zum Abschluss standen noch andere Namen und Adressen. Freunde oder Bekannte der Dame. Bei diesen Leuten verkehre sie regelmäßig.
Wer war diese Frau? Was meinte Mutter mit ihren letzten Worten. Noch nie hatte sie diesen Namen vorher gehört. Neugierig durchstöberte sie den Sekretär des Vaters. In einem, mit zusätzlichem Schlüssel versperrtem Fach, fand sie schließlich ein versiegeltes Kuvert.
Ich, Marie-Louise de Valloir, gebe mein Kind unmittelbar nach der Geburt zur Adoption frei. Vater unbekannt. Vor dem Pflegschaftsgericht bestätige ich, dass mein Kind von dem Ehepaar Dr. Anton Steiner und Frau Regine Steiner adoptiert wird. Jede Menge Stempel und Unterschriften besiegelten den Vertrag.
Erschüttert, völlig verwirrt, las Isabelle damals diese Zeilen immer und immer wieder. Warum hatten ihr die Eltern nie ein Wort gesagt? Hofften sie, sie würde es nie erfahren? Wollten sie ihr diesen Schmerz nicht antun, der sie nun mit doppelter Wucht traf. Nächtelang lag sie wach, fühlte sich verraten, im Stich gelassen, betrogen. Kein Mensch war da, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Keiner der zahlreichen Bekannten, der vermeintlichen Freunde ihrer Eltern, hätte für ihr seelisches Dilemma Verständnis gehabt.
Langsam realisierte sich der Plan. Sie musste nach Paris reisen, musste die Person kennen lernen, die sie damals vor mehr als achtzehn Jahren buchstäblich verschenkt hatte, wie ein Schachtel Bonbons, ein wertloses Spielzeug.
Vielleicht würde sie ja jetzt, nach so langer Zeit, eine vernünftige Frau antreffen, mit der sie eine neue Lebensplanung