Elbland. Elmar Zinke
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„Auf welcher Treppe kam Ihr Vorfahr zu Tode?“, warf er unvermittelt ein.
„Auf der Freitreppe in den Park. Seitdem, so die Überlieferung, finden sämtliche Lustbarkeiten unter freiem Himmel ausschließlich auf dem Hof statt.“
„Der Aberglaube und die Geschichte, wie wahr, auch ein weites Feld zum Beackern“, sagte Wagner.
Ständer spitzte den übergroßen Mund, warf ein: „Was sind Sie ohne die Geschichte, Doktor Wagner?“
Wagner wertete das Gehörte auf eine wohlwollende Weise, seine Augen entzündeten sich vor Verzücktheit: „Selbstverständlich, die Familie des Barons ist mein Steckenpferd, aber auch die Republik Elbland, dieses herausragende gesellschaftliche Experiment, mit dem unsere Heimat Geschichte schrieb. Vieles lagert hier noch im Dunklen.“
„Zum Beispiel?“, entsprang es Radwerks schmalen Lippen.
„Zum Beispiel die historisch verbriefte Tatenarmut des preußischen Staates gegenüber diesem eigenständigen Gebilde, diesem Staat im Staate. Hier bekenne ich, dass ich zuweilen im Vagen schwimme, mehr noch, meinen Ruf gefährde, indem ich nicht Hiebfestes und nicht Stichfestes in den Rang historischer Mutmaßungen erhebe. Zum anderen der Tod von Hans Wismerk. Steht sein Ableben tatsächlich in einem direkten Zusammenhang mit dem Ausbruch der Rebellion? Anders gesagt, ohne seinen Tod kein gesellschaftliches Experiment?“
„Trinken wir auf das Leben, auf das Hier und Heute“, mischte sich Eleonore stimmungsvoll ein, erhob ihr Gemisch von Sekt und Orangensaft.
„Und darauf, dass unsere schöne Heimat weiter auch durch die Wismerks in die Welt strahlt“, ergänzte Radwerk.
Dem kraftvollen Gläserklang folgte kurzes Schweigen, dem der Baron Einhalt gebot: „Nun lasset uns speisen, meine Herrschaften. Genießen Sie Eisbeinsülze, Blutwurst und Leberwurst, Tatar vom Rumpfsteak, die Kutscherpfanne, Kartoffelsuppe, Schwein am Spieß. Genießen Sie unsere geliebte preußische Hausmannkost. Das Essen spiegelt Teile unserer Tugenden. Bescheidenheit, Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Heimatliebe.“
Im gemeinsamen Marsch zum Büfett suchte Wagner unauffällig Wismerks Nähe, raunte: „Nach ein paar Happen suche ich gern stillschweigend das Weite, Herr Baron. Der Termin mit dem Professor lastet mir im Nacken.“
„Wir verneigen uns auch vor Pünktlichkeit und Pflichtbewusstheit“, sagte der Andere und tätschelte Wagners Schulter. „Bis zum nächsten Mal, Verehrtester. Der Fahrer steht Gewehr bei Fuß.“
Wagner verzehrte mehr als gewöhnlich zur Mittagszeit, schreckte vor einer dicken Scheibe Spanferkel nicht zurück. Das Reuegefühl schwand mit jedem Bissen und er dachte, Otto schmeckt sowas auch. Treffe ich ihn am Abend, kriegt er wenigstens Wohlfahrts Bockwurst.
Kapitel 3
Richter entfloh dem unmittelbar Bevorstehenden am Fenster. Der Sonnenstand inmitten der beiden Domturmspitzen lieferte ein bezauberndes Bild, der Halt der schwarzen Mercedeslimousine des Barons und Wagners Aussteigen holten Richter in die Gegenwart zurück. Die Tragik des Bevorstehenden kannte er seit drei Tagen, ließ sein Herz mehrfach ruckartig schneller schlagen. Ohne näheren Grund zog er die Vorhänge spaltbreit zu.
Der Zweiundsechzigjährige wahrte ein maßvolles Übergewicht, die auffällige Röte im fleischigen Gesicht bestätigte sich als angeboren und unabänderbar, seiner Bartpflege schenkte er mehr Einfallsreichtum als seiner Kleiderordnung. Seit vielen Jahren trug er an jedem Wochentag immer denselben Anzug, einzig die Wahl der Krawatte drückte das Unvorhersehbare aus. Der Professor galt als unumstrittener Kenner der preußischen Gesamtgeschichte, Universitäten in Frankreich und Polen würdigten seine speziellen Verdienste um die Aufarbeitung der Stellung Preußens zu ihren Ländern mit Ehrendoktorwürden.
„Guten Tag, Herr Kollege“, wahrte Richter den festen Klang seiner Stimme, setzte sich am Tisch Wagner gegenüber.
Wagner legte das Notizheft vor sich, schlug im Taschenkalender die aktuelle Woche auf, hielt den hochpreisigen Füllhalter schreibbereit.
„Ich hoffe, das Fest verlief ganz nach den Vorstellungen des Barons?“, kämpfte Richter gegen sein Unbehagen.
„Doch, ja. Ich erlebte eine Feierlaune völlig ungetrübt.“
Richter sammelte sich einige Atemzüge, seine Gesichtszüge entglitten ins Wehmütige.
„Doktor Wagner, ich überbringe schlechte Kunde“, brachte er hervor. „Das Kultusministerium verlängert nicht Ihren Vertrag.“
Wagners Augen und Gedanken irrten eine Zeit lang ohne Halt umher, wie betäubt druckste er: „Was bedeutet das?“
„Sie erhalten drei weitere Monate Ihre Bezüge, die andere Seite bittet aber um die Rechtschaffenheit, dass Sie Ihren Schreibtisch sofort und ohne öffentlichen Aufschrei räumen.“
Wagner bezeugte mit einem geöffneten Mund den zeitweiligen Mangel an Selbstkontrolle, stammelte: „Steht der Sparzwang im Vordergrund, also, es genügt mir durchaus weniger.“
„Ich weiß nicht um die Gründe Ihres zwanghaften Ausscheidens. Ich weiß jedoch, welch großer Verlust Ihr Weggang für uns bedeutet. Und ehrlich gesagt, ich verstehe auch nicht, weshalb der Landrat keine Bresche für sie schlug. Ohne das Einverständnis des Landkreises ist eine solche Maßnahme schwer möglich.“
„Den Landrat traf ich gerade“, entfuhr es Wagner verstört. „Er ließ sich nichts anmerken. Oder doch? Keine Ahnung.“
„Dahinter steckt womöglich ein Angriff auf unsere Forschung, Ihre im Speziellen. Manchen Leuten schmeckt offenbar Ihr Drang zur lückenlosen Darstellung dieses historischen Experimentes nicht.“
„Die Republik Elbland stellte sich mit ihren tiefgreifenden Veränderungen gegen die Ordnung im Allgemeinen. Es war ein Angriff auf die bestehenden Verhältnisse, wenngleich bestückt mit Schwächen, Fehlern, Widersprüchen. Wem passt die Geschichtsschreibung nicht in den Kram?“
Richter gebar ein unwissendes Lächeln, sagte: „Ihnen steht freilich das Recht zu, Einspruch zu erheben“.
„Der Einspruch setzt die Kündigung bis zur Urteilsfindung nicht außer Kraft, zudem übe ich meinen Dienst nur im Einvernehmen mit den Verantwortungsträgern aus.“
„Ich verstehe Sie und handelte nach den gleichen Grundsätzen“, pflichtete ihm Richter bei. „In allem tröstet mich der Umstand, dass sich Ihnen gewiss ein Füllhorn beruflicher Möglichkeiten bietet. Vielleicht macht Ihnen der Baron ein Angebot als eine Art Öffentlichkeitsverantwortlicher seines Hauses. An den Finanzen scheitert ein solches Amt sicher nicht. Oder der Elblandbote stellt Sie als Redakteur ein. Zum Herausgeber des Blattes pflegen Sie bekanntlich ein freundschaftliches Verhältnis.“
„Freilich, jedes Ende birgt die Chance des Neubeginns“, überkam es Wagner beherrscht. „Überdies befolgte meine Familie schon immer den Grundsatz, jede Arbeit ist besser als keine Arbeit. Mein Vater arbeitete nach der Einheit Deutschlands als Handelsvertreter für Baumaterialien, obwohl er das Diplom als Bauingenieur erwarb und zu DDR-Zeiten dem städtischen Bauamt vorstand. Meine Mutter leitete früher das hiesige Interhotel, das beste Haus am Platze. Nach der Wende machte sie sich mit einer Mittagessenversorgung