Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf
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Damit ist die Ära des Sexfilms, jetzt rückblickend Softcore genannt, an ihrem historischen Ende. Der Sexfilm stirbt geradeso aus, wie in der biologischen Evolution eine Spezies dadurch ausstirbt, dass eine neue Tierart auftritt und ihr die Ressourcen wegnimmt; wie die Saurier ausstarben, als die Säugetiere auf den Plan des Lebens traten.
Damit flimmert, was früher ,Unzucht' hieß, jetzt allenthalben über die Leinwand, so dass man eigentlich gar nicht mehr weiß, was das Wort noch für einen Sinn haben kann. Der Begriff Unzucht bezeichnete bislang abwertend ein menschliches Sexualverhalten, das gegen das in einem speziellen kulturellen oder religiösen Kontext empfundene, angenommene oder vorgegebene allgemeine Sittlichkeits- und Schamgefühl verstößt. Das konnte ebenso von einem säkularen wie religiösen Umfeld geprägt sein und war durch die Sittengeschichte hindurch nicht einheitlich definiert. Bis in die 1960er Jahre galten in den westlichen Ländern die Masturbation, der voreheliche Geschlechtsverkehr, Homosexualität und Ehebruch als Unzucht. Im Rahmen der gesellschaftlichen Liberalisierung nun wird Unzucht als Rechtsbegriff in Deutschland aufgegeben. Der Bundesgerichtshof entschied letztmals 1962, dass der Beischlaf unter Verlobten Unzucht und deren Förderung durch das Zurverfügungstellen einer Wohnung als Kuppelei strafbar sei. Mit der Großen Strafrechtsreform 1969 wurden u. a. die Straftatbestände des Ehebruchs und der Kuppelei abgeschafft. In der gegenwärtigen deutschen Rechtsprechung taucht der Begriff nicht mehr auf. Im Strafgesetzbuch ist „Unzucht mit Minderjährigen“ durch „Sexueller Missbrauch von Kindern“ ersetzt.
Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist in Deutschland nicht grundsätzlich verboten. Es kommt aber auf das Alter des Teenagers und des älteren Sexualpartners an – und darauf, in welchem Verhältnis sie stehen. Die Regelung ist penibel durchdacht und höchst differenziert. Sexuelle Handlungen mit jungen Minderjährigen bis 13 Jahre sind generell verboten. Sie gelten laut Paragraph 176 des Strafgesetzbuches als sexueller Missbrauch von Kindern und werden mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Verboten ist nicht nur Geschlechtsverkehr mit den Kindern, man darf vor ihnen auch selbst keine sexuellen Handlungen vornehmen oder ihnen Pornos zeigen. – Sexuelle Kontakte mit 14- oder 15-Jährigen sind erlaubt, vorausgesetzt, der ältere Sexualpartner ist höchstens 21. Ist er älter, können sexuelle Kontakte nach Paragraph 182 des Strafgesetzbuches als sexueller Missbrauch von Jugendlichen geahndet werden, wenn die „fehlende Fähigkeit des Opfers zu sexuellen Selbstbestimmung“ ausgenutzt wird. Der berühmte polnische Filmregisseur Roman Polanski hat in Amerika angeblich eine 14-Jährige vergewaltigt. Sein Pech ist, von der fraglichen Gewalt einmal abgesehen, offenbar, dass er schon älter als 21 war. Unter 18-Jährige dürfen von Erwachsenen außerdem nicht für Sex bezahlt werden. Besondere Regeln gelten für Schutzbefohlene wie Schüler, Auszubildende oder Konfirmanden. Nach Paragraph 174 des Strafgesetzbuches sind sexuelle Handlungen mit 14- oder 16-Jährigen verboten, wenn man sie erziehen, ausbilden oder betreuen soll. – Sex mit 16- oder 17-Jährigen dagegen ist auch älteren Erwachsenen erlaubt. Allerdings ist es nach Paragraph 182 des Strafgesetzbuches verboten, dafür eine Zwangslage auszunutzen, worauf bis zu fünf Jahre Haft stehen. Wer älter als 18 ist, darf unter 18-Jährige auch nicht für Sex bezahlen. Auch hier gelten wieder besondere Vorschriften für Schutzbefohlene: Paragraph 174 des Strafgesetzbuches verbietet Ausbildern, Betreuern oder Arbeitgebern sexuelle Kontakte mit 16- oder 17-Jährigen, wenn sie das Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen. –
Die so genannte Neosexuelle Revolution seit den späten 1970ern ereignet sich gleichwie still und schleichend hinter den Kulissen des öffentlichen Lebens. Auch für Harry ist die Hardcorepornografie eine revolutionäre Erfahrung. Oder sollte es heißen, es ist die erste sexuelle Revolution, von der er auch selber was hat?
Zum ersten Mal nämlich bekommt er, schon in seinen Zwanzigern, das weibliche Geschlecht unverstellt in Cinemascope auf der Leinwand zu sehen. Zum ersten Mal wird da die weibliche Anatomie in allen Einstellungen und Perspektiven ausgeleuchtet. Heutzutage, da das fast jedes Kind auf dem PC-Bildschirm hat, kann man sich kaum mehr vorstellen, wie sehr die Freigabe der Pornografie das Bild des menschlichen Sexus revolutioniert. Zigtausende von Generationen lang haben die Männer sich fast ein Bein ausreißen müssen, um eine fremde Vagina in natura zu sehen; und manche haben vielleicht nie eine zu Gesicht bekommen. Jetzt sieht man mit einem Mal so viele davon wie ein vielbeschäftigter Gynäkologe. Dabei ist es damals aber noch nicht so weit, dass der Sex durch YouPorn und Co. sein letztes Mysterium verloren hat.
Er ist Anfang zwanzig und studiert in Göttingen Jura. Seine Karriere in Rindskopfs Frankfurter Kontor und Salomons Hamburger Bank ist misslungen, der junge Dichter eignet sich nicht fürs Geschäft. Seine Kusine Molly hat ihm einen Korb gegeben, den er nur langsam oder nie verschmerzt. Von der Hansestadt verabschiedet hat er sich mit dem Gedicht Affrontenburg, das er jetzt silbenmäßig zur Melodie von The House of the Rising Sun der Animals adaptiert:
Die Zeit verfließt, jedoch das Schloss,
Das Schloss mit Turm und Zinn'
Und seinem blöden Menschenvolk,
Kommt mir nicht aus dem Sinn.
Ich sehe stets die Wetterfahn,
Die auf dem Dach sich dreht.
Ein jeder blickte scheu hinauf,
Eh er den Mund auftät.
Wer sprechen wollt, erforschte erst
Den Wind, damit nicht gar
Der alte Brummbär Boreas
Anschnaubt ihn sonderbar.
Die Klügsten freilich schwiegen ganz –
Denn ach, es gab am Ort
Ein Echo, das im Wiederklatsch
Verfälschte jedes Wort.
Inmitten im Schlossgarten stand
Ein sphinxgezierter Bronn,
Der immer trocken war, obgleich
Dort manche Trän geronn.
Vermaledeiter Garten! Ach,