Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf
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Eine amerikanische Schauspielerin mit eindrucksvoller Oberweite, Jayne Mansfield, ruft einen internationalen Skandal hervor, als sie sich mit entblößten Brüsten am Michigansee zeigt. Sie stirbt am 29. Juni 1967 im Alter von 34 zusammen mit ihrem Verlobten bei einem Autounfall in Louisiana.
Doch hat sich an der Situation der jungen Leute seit Kants Anthropologie wenig geändert: Die erste physische Bestimmung unserer menschlichen Sexualität ist der Antrieb zur Erhaltung unserer Gattung, als Tiergattung. Hier treffen aber die Naturepochen unserer Entwicklung mit den bürgerlichen nicht zusammen. Nach der ersteren sind wir im Naturzustand spätestens in unserem 15-ten Lebensjahr durch den Geschlechtsinstinkt angetrieben und vermögend, unsere Art zu erzeugen und zu erhalten. Nach der zweiten können wir es (im Durchschnitt) vor dem 20-sten schwerlich wagen. Denn hat der Jüngling gleich früh genug das Vermögen, seine und seines Weibes Neigung als Weltbürger zu befriedigen, so hat er doch lange noch nicht das Vermögen, als Staatsbürger sein Weib und Kind zu erhalten. Er muss einen Beruf erlernen, sich in Kundschaft bringen, um ein Hauswesen mit seinem Weib anzufangen, worüber aber in der geschliffeneren Volksklasse auch wohl das 25. Jahr verfließt, ehe er zu seiner Bestimmung reift. – Womit nun, fragt der Philosoph, füllen wir diesen Zwischenraum einer abgenötigten und unnatürlichen Enthaltsamkeit aus? Seine Antwort: Kaum anders als mit Lastern.
Kaum anders als mit Lastern!? Trifft Immanuel damit den Nagel auf den Kopf?
Ja und nein, Harry ist geteilter Meinung. Gewiss, die abgenötigte Enthaltsamkeit ist unnatürlich, soviel ist sicher. Deshalb halten sich die jungen Leute ja auch gar nicht daran, heute so wenig wie früher. Haben Mann und Weib Lust aufeinander, haben sie jetzt kraft Pille auch jederzeit die Möglichkeit dazu. Alfi und Inga haben es bewiesen. Kein Anlass also zu Lastern.
Die Leute haben die reine Möglichkeit! verbessert er sich, denn was ist mit denjenigen Jungen, die keinen gleichgesinnten Partner haben? Was ist mit denjenigen jungen Männern und Frauen, die allein in ihrem Fleisch sind? Denen nützt auch die Pille nichts, so dass für sie das Kantische Problem so aktuell ist wie vor zweihundert Jahren.
Was aber meint Kant mit ,Lastern'? Da ist er wenig explizit. Das ,Laster' ist vielleicht der Umgang mit den Prostituierten in den Freudenhäusern, wo man die körperliche Liebe kaufen kann. Dabei reichen die Mittel der Betroffenen meist aber gerade so wenig wie dafür, ein Weib zu ernähren, auch für den Besuch im Bordell! Das besagte Jahrzehnt einer abgenötigten und unnatürlichen Enthaltsamkeit, die auf Dauer sowieso nicht einzuhalten ist – und auch gar nicht einsehbar ist, wieso sie überhaupt eingehalten werden sollte –, führt daher eher zu einem anderen, ebenso abgenötigten wie allgemein praktizierten Verhalten: der sexuellen Selbstbefriedigung. Freud nannte es Notonanie: diejenige Onanie, die aus der Not kommt, dass der Einzelne ohne Sexualpartner ist. Davon zu unterscheiden ist offenbar diejenige Onanie, die auch dann noch praktiziert wird, wenn es einen solchen Partner gibt. Ist also die Masturbation – ob nun abgenötigt oder freiwillig – das ,Laster', auf das Kant anspielt?
In seiner Philosophie des Unbewussten von 1869 kommentiert der Philosoph Eduard von Hartmann die Kantische Stelle: Wer aber wirklich ausnahmsweise sich von allen das Provisorium erfüllenden Lastern frei hält und mit der Anstrengung der Vernunft die Qualen der erregten Sinnlichkeit in ewig erneutem Kampf überwindet, der hat in diesem Zeitraum von der Pubertät bis zur Verheiratung, dem Zeitraum wenn auch nicht der nachhaltigsten Kraft, doch der loderndsten sinnlichen Glut, eine solche Summe von Unlust zu ertragen, dass die in dem späteren Zeitraum folgende Summe der geschlechtlichen Lust sie nimmermehr aufwiegen und wiedergutmachen kann. Das Alter der Verheiratung der Männer rückt aber mit fortschreitender Kultur immer höher hinauf, der provisorische Zeitraum wird also immer länger und ist am längsten gerade bei den Klassen, wo die Nervensensibilität und Reizbarkeit, also auch die Qual der Entbehrung am größten ist. Da wäre es doch, wenn nicht gar menschenunmöglich, so doch jedenfalls höchst menschenfeindlich, wenn in dem Zeitraum der loderndsten sinnlichen Glut die Vernunft zu keinem besseren Zweck gebraucht werden sollte, als die Qualen der erregten Sinnlichkeit „in ewig erneutem Kampf zu überwinden“, anstatt dafür wenigstens halbwegs nach Ersatz zu suchen.
Ein Mann mit der loderndsten sinnlichen Glut und der größten Nervensensibilität und Reizbarkeit ist zweifellos er, Harry Heine! Es wäre daher höchst irrational, wenn er sich von allen das Provisorium erfüllenden Lastern frei halten und mit der Anstrengung der Vernunft die Qualen der erregten Sinnlichkeit in ewig erneutem Kampf überwinden und in dem Zeitraum von der Pubertät bis zur Verheiratung – dem Zeitraum, wenn auch nicht der nachhaltigsten Kraft, doch der loderndsten sinnlichen Glut – eine solche Summe von Unlust ertragen wollte, dass die in dem späteren Zeitraum folgende Summe der geschlechtlichen Lust sie nimmermehr aufwiegen und wiedergutmachen könnte ...!
Dabei heiratet er auch gar noch nicht mit 25, sondern, was bei Intellektuellen gar nicht so selten ist, überhaupt erst mit 43, so dass bei ihm der Zeitraum von der Pubertät bis zum Leben mit Mathilde – der Zeitraum, wenn auch nicht der nachhaltigsten Kraft, so doch der loderndsten sinnlichen Glut – nicht bloß zehn, sondern, bis er sie kennenlernt, annähernd zwanzig Jahre beträgt. Er strengt daher seine Vernunft auch gar nicht erst weiter vergeblich an. Wir sahen es an seiner Notonanie, und wie er manch zotenhafte Anekdote oder schlüpfrige Stelle aus dem Alten Testament, den Carracci-Zyklus und zahllose andere erotische Sujets der Arche Noä kraft poetischer Phantasie zu lebendiger Gegenwart erweckte. Wir sahen es beginnend bei Adam und Eva im Paradies, bei der Geschichte Lots und seiner Töchter, die er lebensnah reproduzierte; wir sahen es an der Geschichte Thamars und Juda's; David und Bathseba's; Susanna's im Bade; Judiths und Holofernes'. Wie sahen es, ins Literarische gewendet, an Ophelia und Horatio, an Kleists Marquise von O. und an Nabokovs Lolita. Diese und unzählige andere Episoden erweckt der junge Harry zu leidenschaftlichem Leben und zieht seine einsame Lust daraus. Ist das ein ,Laster', dann hat Kant wohl Recht mit seiner Behauptung. Wir zögern aber, es so zu benennen.
Ist das aber eine Lösung? Die sexuelle Selbstbefriedigung wirkt im Wesentlichen über die erotische Phantasie, und gewöhnt man sich an die sexuelle Selbstbefriedigung, dann konditioniert man sich auf die erotische Phantasie. Er begegnet der sexuellen Lust zuerst in der Onanie, und begegnet ihr desto intensiver, je größer und schneidender das Gefühl seiner Einsamkeit ist. Denn, so die Gefährlichen Liebschaften des Choderlos de Laclos: Die Einsamkeit steigert die Lust ins Ungeheuere.
Damit vergleichen Mann und Frau dann später aber auch ihre Lust beim realen Verkehr der Geschlechter. Die sexuelle Selbstbefriedigung ist wie eine Blaupause künftiger Lust: eine Schablone, ein Versprechen, das durch den wirklichen Beischlaf eingelöst und gar übertroffen werden soll. Der Einzelne in seiner verliebten Phantasie verwechselt seine einsame Lust mit der Lust, die er mit einer wirklichen Geliebten hat. Begegnen Mann und Frau sich dann erstmals sexuell, sind sie längst auf die ipsistische Phantasie geprägt.
Aber nicht nur während seiner einsamen Jugend befriedigt Harry sich selbst. Er tut es en passant auch noch in Paris bei seiner Liebe zu Morelle. Hat er sich nicht durch Lolita zu jugendgefährdenden Phantasien hinreißen lassen? Sogar in der Erwartung von Crescence noch bewahrte er seine Erotica aus dem Söller der Arche Noä.
Ja, sogar in seiner Ehe mit Mathilde noch identifiziert er sich mit Horatio, der von Ophelias nächtlichem Besuch wider Willen übermannt wird. Im Gedenken an Frisettes Cancan masturbiert er heimlich im Ehebett. Das heißt Freuds Begrifflichkeit weit überstrapazieren und ist keine ,Notonanie' im eigentlich freudianischen Sinne mehr. Was aber dann?
Onanie, die gar nicht abgenötigt wird, ist freiwillige,