Killerwitwen. Charlie Meyer

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Killerwitwen - Charlie Meyer

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sitzen konnten. Ein Verein zahnloser Alter mit dreirädrigen Gehstützen, die stumm und apathisch auf den letzten Halt des Fahrstuhls warteten und doch erst aussteigen durften, wenn ihre Ersparnisse verbraucht waren und auch die Kinder Konkurs angemeldet hatten. Emmi schüttelte sich. Grauslicher Gedanke. Wie zäh wohl die Zeit in einem Pflegeheim vertröpfeln mochte, wenn einem ungeduldige Teilzeitkräfte den Löffel in den Rachen stießen und mit dem umgebundenen Lätzchen die Milch vom Kinn rubbelten, und wenn nachts die Ränder der Gummiunterlage durch das Laken drückten. Mit etwas Pech geriet man ohnehin an einen dieser Pfleger-Schläger-Trupps, von denen das Fernsehen so oft berichtete. Dieselben, die später vor Gericht wegen unzumutbarer seelischer Belastung freigesprochen wurden.

      Emmi schraubte die Tube der Abdeckcreme wieder zu und steckte sie gedankenverloren in den Leinenbeutel für getragene Nylons, der an einem Haken über dem Wäschekorb hing. Wo war der Kamm? Das Dingsbums mit den Zacken!

      Wie lange es wohl dauern mochte zwischen den ersten ernsthaften Ausfallerscheinungen, wie der Brille in der Waschmaschine und dem vollständigen Persönlichkeitsverlust. Vier Jahre? Zwei? Ein paar Monate? Oder kam es schwuppdiwupp von heute auf morgen? Wie lange hatte es eigentlich bei Willi gedauert? Ich muss die Artikel noch einmal nachlesen, dachte sie, seufzte schwer und starrte stirnrunzelnd in den Spiegel. Sah so eine Frau aus, die schon bald nicht mehr wissen würde, dass ihr das Gesicht gehörte, das aus dem Spiegel zurückstarrte?

      Alzheimersche Amnesie! Die Kunze aus der Kaiserstraße schwor auf Knoblauchdragees und stank auch danach. Aber mit der Einnahme hätte man wahrscheinlich schon vor zwanzig Jahren beginnen müssen. Obgleich damals ja noch alles in bester Ordnung gewesen war. - Nein, das war gelogen. Die Gesundheit, gut, aber alles war erst später in bester Ordnung gewesen, nach Hermanns Begräbnis und dann auch nur für wenige Jahre. Und die Erinnerung an die Ereignisse dieser Zeit, die kleinen wie die großen und die positiven wie die negativen, wurzelte so tief in ihrer Erinnerung, dass sich kein alzheimersches Protein auch nur in ihre Nähe wagte. Die Jahre zwischen ihrem siebenundfünfzigsten Geburtstag und dem unseligen Volkshochschulkurs Anfang der Achtziger.

      Mein Gott, dachte sie, noch einmal siebenundfünfzig sein!

      Das Ende der Sorgen, der Nörgeleien und versteckten Schnapsflaschen. Die Kinder endlich aus dem Haus, Hermann unter der Erde und nur hier und da ein paar normale Zipperlein.

      Emmi lächelte ihr Spiegelbild an, und ihr Spiegelbild zwinkerte verschwörerisch zurück. Wie rücksichtsvoll von Hermann so plötzlich nach dem Auszug seiner jüngsten Tochter Christina ebenfalls auszuziehen. Gut, es wurde nicht eben ein stiller, unspektakulärer Auszug mit all dem Blut und den Polizisten, die durchs Haus trampelten, aber letztendlich doch ein sehr befriedigender, obgleich natürlich sie hinterher die Schweinerei wegwischen musste.

      Emmi spitzte die Lippen, flocht die langen grauen Haare zu einem langen grauen Zopf, und drehte ihn am Hinterkopf zu einer Schnecke zusammen. Seit dem Tag ihrer Hochzeit morgen für morgen die gleichen Handbewegungen. Kämmen, flechten, drehen, feststecken. Und warum? Weil Hermann, dieser Schluckspecht, bei langen Haaren immer so einen Rührseligen und Seufzerischen bekommen hatte. Weil er ihr eigenhändig die Schnecke lösen und die Haare bürsten wollte, damals im Bett, wenn die Kinder schon schliefen. Mit langen, kräftigen Strichen, bis ihr eine schimmernde kastanienbraune Matte über Schultern und Rücken fiel. Jedenfalls in den ersten Jahren ihrer Ehe. Später, als sein Rührseliger nur noch vom Saufen kam, bürsteten manchmal die Kinder, vor allem David, aber das war nicht dasselbe. Und weil alle zusammen, ob mit oder ohne Schnaps, vor Schreck immer laut gebrüllt hatten, wenn sie nur in die Nähe einer Schere kam oder vor dem Schaufenster eines Friseurladens stehen blieb. Auch als Dauerwellen längst große Mode waren. Hermann hatte einmal sogar mit Scheidung gedroht, und das war erst später gewesen, als er schon längst nicht mehr zum Bürsten ins Bett kam.

      Sie seufzte. Seltsam - wieso war sie eigentlich nicht gleich nach Hermanns Ableben zum Friseur gegangen? Gleich nach seinem schmählichen Tod – dem würdigen Ende seiner schmachvollen letzten Jahre mit all der Trinkerei, die ihm die Leber aufblähte und die ersten tiefen Furchen ins Gesicht grub. Armer Hermann, nun gab es für ihn keine Abende im Schuppen des Nachbargartens mehr, keine rote Lola mit ihrem trostbereiten Busen, keinen Schnaps mit seinen Kumpels und kein Bier. Höchstens Manna, wenn es denn auch in der Hölle Manna gab. Und für sie, Emmi, waren die Abende vorbei, in denen sie frustriert zu Hause hockte und mit selbst gestrickten Socken, die niemand tragen wollte, die Truhe auf dem Flur füllte.

      „Daran gemessen war dein Ende noch viel zu harmlos“, sagte sie grimmig, und die Emmi im Spiegel nickte ebenso grimmig zurück. Der Pathologe hatte nach der Autopsie sogar seiner Vermutung Ausdruck verliehen, Hermanns Hirn müsse von all dem Schnaps in seinen Adern so vernebelt gewesen sein, dass ihm wahrscheinlich nicht einmal sein Sturz sonderlich aufgefallen war, wofür tatsächlich sein nur mäßig erstauntes an die Decke starren sprach, als er zum Abtransport bereit auf der Trage lag und sie ein letztes Mal das Laken lupfte, um Hermann noch stumm das eine oder andere mit auf den Weg zu geben. Obgleich es ja eigentlich keine Rolle spielte; was zählte, war lediglich das Ergebnis.

      Wie bedröppelt doch die Teilnehmer des tödlichen Skatabends bei Hermanns Begräbnis abseits gestanden hatten. Der Meier aus der Weidenstraße mit seiner roten Knubbelnase. Und Jochen Taube, Hermanns bester Freund und von seiner Ilse in ein viel zu enges Nadelstreifenjackett gezwängt. Am offenen Grab sprang dann auch tatsächlich ein Knopf vom Jackett ab, verfehlte Pastor Münchebergs Schulter nur knapp, und klapperte stattdessen in der ehrfürchtigen Stille nach dem letzten Amen überlaut auf den Sargdeckel. Die Blum war vor lauter Schreck in den Knien eingeknickt und hatte sich am Griesgram, dem alten Brunner, anklammern müssen. Und während der Pastor und der Abgesandte des Beerdigungsunternehmens noch darüber flüsterten, ob es moralisch vertretbar sei, Knopf und Hermann zusammen zu begraben, prasselte bereits die Erde aus Emmis Händen auf das Holz. Nachdrücklich und endgültig.

      Fritze Woitzack konnte natürlich nicht kommen, er lag ja damals selbst schon seit ein paar Jahren unter der Erde, und eigentlich hatte er sowieso nie richtig dazugehört. Aber seine Witwe kam, die rote Lola, und hakte sich heulend bei dem Meier unter, so als sei nicht Emmi Hermanns Witwe, sondern sie, die Lola. An ihrer Stelle, hatte Emmi wütend gedacht, würde ich mich zu Hause unter meinem Lotterbett verkriechen und mich in diesem Leben nicht mehr blicken lassen. Diese Schlampe; die doch nun wirklich an allem die Schuld trug. Auch an Hermanns Tod. Stattdessen schniefte sie an Meiers Arm und schien willens, Hermann und Knopf in die Grube zu folgen, was den knubbelnasigen Meier noch nervöser machte und ihn veranlasste, Hilfe suchende Blicke in die Runde zu werfen.

      Eine Woche nach der Beerdigung stempelte die Koppstedter Polizei Hermanns Akte endlich mit dem überdimensionalen Schriftzug UNFALL und schickte Emmi eine Kopie des amtlichen Protokolls zu. Sie steckte in der grünen Geldkassette ganz unten im Wollkorb, zwischen den Geburtsurkunden der Kinder und der Police über die Hausratsversicherung, und an den wenigen melancholischen Tagen, wenn sie nahe daran war, in vergesslicher Sehnsucht nach Hermann die Sockenwolle aus dem Korb zu kramen, meist so um Ostern oder Weihnachten herum, zwang sich Emmi das Unfallprotokoll zu lesen, was ihren Rührseligen in der Regel schleunigst in die Flucht schlug.

      Die Fakten waren spärlich. Genau genommen gab es nur zwei belegbare Tatsachen. Erstens verließ Hermann gegen drei Uhr morgens in betrunkenem Zustand den Schuppen der Lola Woitzack, von allen lautstark verabschiedet, und zweitens stürzte er sich wenig später zu Tode. Und es gab die Aussage des alten Brunner, der in jener Nacht magengeplagt aus seinem Fenster stöhnte und grimmig zu Protokoll gab, Hermann habe, nachdem Jochen Taube und Hubert Meier längst nach Hause getorkelt waren, sich noch minutenlang mit einer flackernden Straßenlaterne unterhalten. Was er sagte, ließ sich nicht mehr ermitteln, weil der Brunner über seinem eigenen Stöhnen das heisere Geflüster nicht verstehen konnte. Es habe jedoch so ausgesehen, als seien beide, die Laterne und Hermann, in Streit geraten und außerdem habe er, Brunner, deutlich ein Knacken gehört, als Hermann dem streitlustigen Laternenpfahl einen Faustschlag versetzte, bevor er jammernd in der Dunkelheit verschwand. Tatsächlich

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