DÄMONEN DER STEPPE. Michael Stuhr

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DÄMONEN DER STEPPE - Michael Stuhr

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allerdings als Spross einer äußerst kinderreichen Familie, hatte auch er schon früh das Leben auf der Straße dem eigenen Elternhaus vorgezogen. Im Gegensatz zu Ysell war er aber eher in sich gekehrt und fiel durch sein ernstes, nachdenkliches Wesen auf.

      Ysell und Sabé hatten beide mit dem untrüglichen Instinkt des Außenseiters in dem anderen einen Artgenossen erkannt - und wenn sie sich auch nie die Freundschaft versprochen hatten, so waren sie doch seit Jahren nahezu unzertrennlich. Es war eine Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen, das wussten sie beide. Ysell vermochte es immer wieder, Sabé mit ihren verrückten Einfällen aus seinen selbstquälerischen Stimmungen zu reißen, während er sie davor bewahrte, bei den gemeinsam ausgeführten Streichen allzu weit über das Ziel hinauszuschießen. Ysell kannte kein Maß in diesen Dingen; und ohne den zügelnden Einfluss ihres Freundes hätte es mehr als einmal Verletzte gegeben. Mit Schaudern dachte Ysell daran, was der Richter wohl gesagt hätte, wenn Ysell den Wachen statt Hühnermist glühende Holzkohle in die Helme gefüllt hätte, denn das hatte sie zunächst vorgehabt.

      Es war gut, Sabé zu kennen. Wenn Ysell überhaupt einen Menschen auf der Welt hatte, dem sie vertraute, dann war er es. Dennoch sollte viel Zeit vergehen, bis sie ihn wiedersah, denn Ysells Leben änderte sich nun so dramatisch, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.

      Am nächsten Morgen erwachte Ysell mit besserer Laune, und es war, als habe der Schlaf allen Ärger und alle Sorgen von ihr abgewaschen. Sie hatte in der Nacht von Läufer geträumt und noch immer meinte sie, das kuschelige Fell des Welpen unter ihren Händen zu spüren.

      Wie er sich wohl in Wirklichkeit anfühlte? Rasch sprang Ysell aus dem Bett und eilte zum Fenster. Es war erst zwei Fingermaß nach Sonnenaufgang. Schade! - Gerne wäre sie sofort zum Zwinger gelaufen, aber Bogan hatte sie ja erst für viel später bestellt. Zum Glück fiel Ysell dann aber ein, dass sie es mit der Tageszeit nicht so genau nehmen musste. Sie war ja schließlich fast noch ein Kind. Sollte Bogan ärgerlich sein, weil sie zu früh kam, dann konnte sie ja immer noch so tun, als könne sie Hand- und Fingermaß noch nicht so richtig voneinander unterscheiden. Also nahm Ysell sich vor, pünktlich ein Handmaß vor Frühsonne beim Zwinger zu sein, und ihr Glück zu versuchen.

       TROSSHUNDE UND TRAGTIERE

      Bogan war nicht ärgerlich, als Ysell pünktlich zwei Handmaß vor Frühsonne vor dem Tor des Zwingers stand. Im Gegenteil, er freute sich sogar, soweit Ysell das bei dem alten Miesepeter feststellen konnte. - Jedenfalls ließ er sie ein.

      Wenn Ysell jetzt aber erwartet hatte, sofort zu Läufer geführt zu werden und den ganzen Tag lang mit ihm spielen zu dürfen, dann hatte sie sich gründlich geirrt.

      Bogan führte sie vom Tor aus direkt zu einem Schuppen, aus dem ihr ein so schrecklicher Gestank entgegenschlug, dass es ihr fast den Atem verschlug. In dem Schuppen waren gerade vier junge Leute, die Bogan als Aufspürer vorstellte, dabei, Fleischabfälle aus offenen Fässern auf große Fressnäpfe zu verteilen. Die Fässer waren auf einem flachen Karren befestigt. Ein junger Mann balancierte auf dem Rand der Plattform und holte mit einer großen, plumpen Schöpfkelle Dinge aus den Fässern hervor, die Ysell noch nie im Leben gesehen hatte. „Innereien“, erklärte Bogan „Gut für Hunde. Innereien fressen sie am liebsten. - Geh auch mal da rauf.“

      Augenblicke später fand sich Ysell, krampfhaft bemüht, nicht gänzlich vornüber zu kippen, bis zu den Hüften in ein Fass gebeugt wieder. Als Neuling stand ihr natürlich die „beste“ aller Arbeiten zu und sie musste mit ihren bloßen Händen die kleinen Fleischstücke vom Boden der Fässer angeln, die ihr Kollege mit der klobigen Schöpfkelle nicht aufnehmen konnte.

      Die Aufspürer brachten einen Napf nach dem anderen zum Zwingergebäude und kamen so wenigstens für kurze Zeit in den Genuss atembarer Luft. Nur Ysell schuftete in der stinkenden Baracke ununterbrochen stumm und verbissen vor sich hin.

      Danach hieß es Wasser schleppen. Fässer, Karren, Fußboden und Arbeitstisch mussten peinlich sauber geschrubbt werden. Nicht ein Fleischfetzchen durfte Bogan noch vorfinden, wenn er kontrollieren kam, denn sonst gab es furchtbaren Ärger, wie Ysell erfuhr.

      Viel später, es war schon zwei Handmaß vor Hochsonne, ging Ysell langsam über den Hof - abwechselnd tief gebückt oder im Entengang. Zwei dünne Brettchen in den Händen, kümmerte sie sich um die Hinterlassenschaften der Trosshunde. Der Kot wurde täglich entfernt und war deshalb auch nicht ausgetrocknet. Ysell begann, Trosshunde zu hassen.

      Endlich, zur Zeit der Hochsonne, nachdem sie noch etliche leere Zwinger geschrubbt hatte, durfte sie sich selbst waschen und ein wenig ausruhen.

      In dem Futterschuppen und während der Drecksarbeit auf dem Hof hatte Ysell gedacht, dass ihr nie wieder ein Essen richtig schmecken würde, aber der köstliche Duft, der ihr aus der Gemeinschaftsbaracke entgegenschlug, überzeugte sie schnell vom Gegenteil. An warmes Essen war Ysell nicht gewöhnt. Ihre Mutter kochte nur selten und der Vater war’s zufrieden. „Für das bisschen, was ich esse, trinke ich lieber ein wenig mehr“, pflegte er zu sagen und Ysell konnte nur bestätigen, dass das aufs Wort stimmte.

      Die beiden Trossleute, die heute Küchendienst taten, hatten sich angestrengt, und das Essen war ihnen hervorragend gelungen. Klein geschnittenes, gebratenes Fleisch war mit vielen verschiedenen Gemüsesorten zu einem würzigen Gericht verkocht worden und Ysell stellte sich brav am Ende der Schlange an, um ihren Anteil zu erhalten. Kurz darauf balancierte sie einen Holzteller und einen ebensolchen Löffel zum nächsten Tisch, an dem noch ein Platz frei war. Ysell hatte nicht gewusst, dass bei den Trosshunden und Tragtieren so viele Menschen arbeiteten, es mussten an die dreißig Frauen und Männer sein, die hier in der Pause zusammensaßen.

      Ysell löffelte genüsslich ihr Essen. Es schmeckte noch besser, als es gerochen hatte, und auch als Pekan, ein junger Trossmann von der Tragtierzucht, ihr erklärte, das Essen sei nur deswegen so gut, weil Bogan persönlich jeden Tag die besten Stücke aus den Futterfässern angle, ließ sie sich nicht stören. Sie nickte nur verstehend und besonders genüsslich schmatzend mit vollem Mund, worauf sich Pekan kopfschüttelnd zurückzog.

      Bogan selbst aß auch in der Gemeinschaftsbaracke. Nach dem Mahl saß man noch eine Weile zusammen und Bogan unterhielt sich mit einigen Leuten. Er hörte sich an, was für Probleme sie bei der Arbeit hatten, erkundigte sich nach bestimmten Tieren und gab einige Anweisungen und Ratschläge. Ysell spürte, dass alle Anwesenden hier Bogan hoch achteten und seine Meinung respektierten. Ysell war allerdings nicht so ganz zufrieden mit dem Alten - er sollte sie jetzt endlich zu Läufer bringen!

      Als habe Bogan ihre Gedanken erraten, stand er nun auf und kam an Ysells Tisch. „Na, wollen wir jetzt mal sehen, was Läufer so macht?“, fragte er Ysell „Dann wasch mal schnell deinen Teller ab und komm.“

      Blitzschnell war Ysell auf den Füßen und flitzte zu den Wassereimern, die neben einem Tisch standen. Augenblicke später war sie bereit.

      „Wie hat dir denn das Essen geschmeckt?“ wollte Bogan wissen, als die beiden zusammen über den Hof gingen.

      „Dafür, dass das Fleisch aus den Fässern kommt, nicht schlecht.“ Ysell meinte, sich eine kleine Frechheit schon erlauben zu können.

      „Ja, ja“, sagte Bogan, der den alten Witz sehr wohl kannte „Ich gebe mir auch immer sehr viel Mühe bei der Auswahl.“

      Ysell blieb stehen und starrte Bogan mit offenem Mund an. Dann musste sie krampfhaft schlucken und etwas in ihrem Magen machte einen kleinen Hopser. Konnte es sein, dass er wirklich ... Bogan drehte sich zu ihr um und sein Gesicht war todernst - aber nicht lange. Da begriff Ysell, Bogan konnte nicht nur streng sein, er war auch ein altes Schlitzohr und konnte mit gleicher

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