Tamora - Im Sumpf des Lasters. Thomas Riedel
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»Ja. Dich selbst zu verkaufen, zu einer Ware zu machen, das meine ich ganz konkret«, präzisierte Tamora und fügte hinzu: »Ich stelle mir das scheußlich vor?«
In Violetts Mundwinkeln spielte ein leichtes Lächeln, als ob sie spürte, dass sich Tamora ein wenig unbehaglich fühlte. »Ah, … jetzt verstehe ich. Du willst ein Schauermärchen von mir hören, wie? So etwas wie: ich werde gezwungen, ausgenutzt, bin die ständig Gequälte, die Leidende und dergleichen?«
Tamora schwieg verbissen. Sie wusste ja inzwischen um viele Schicksale. Violett konnte und wollte ihr nichts vormachen und sie räumte das auch ein.
»Nun, ich will nicht sarkastisch sein«, fuhr Violett fort, »und mich mal so ausdrücken: Egal was jemand macht, wenn er dazu gezwungen ist, dann ist das eine große Schweinerei, verstehst du. Wenn man nicht mehr seine eigene Frau ist und eine Knute über sich spürt, das stimmt … Aber sobald ich etwas aus freien Stücken mache, ja, … als richtigen Beruf und sogar noch Stolz auf meine Erfolge bin, warum, frage ich dich, warum sollte ich es dann scheußlich finden? Das kapiere ich einfach nicht.« Sie zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum man uns so geringschätzig behandelt, um es noch freundlich zu umschreiben. Ich habe das Gekreische förmlich in den Ohren: Ich könnte das nicht. Iiiih, für so etwas würde ich mich nicht hergeben. Nur das nicht, wie widerlich! Eine Hure, eine Nutte, … so eine ist der Abschaum der Gesellschaft.« Sie beugte sich vor und nahm einen Schluck Tee.
»Wie ist das mit dir?«, fragte sie unvermittelt.
»Du meinst, ob ich das auch könnte?«
»Genau das meine ich … Und, könntest du?«
»Ich weiß nicht … ich bin ganz sicher nicht verklemmt, aber …«
»Du weichst aus.« Violett musste schmunzeln, wie Tamora sich um eine klare Antwort zu drücken suchte.
»Wenn ich mir nicht mehr zu helfen wüsste, vielleicht … ja, da könnte ich es mir vorstellen. Ich würde auf keinen Fall von der Sozialhilfe leben wollen.«
Violett sah sie eindringlich an und nickte, ehe sie ihren Faden wieder aufnahm: »Es sind jedenfalls genau die Männer von diesen Frauen, die so reden, die zu uns kommen!«, meinte sie. »Und weißt du was? Ich bin sogar stolz darauf, sagen zu dürfen, dass ich eine ausgezeichnete Hure bin. Ja, … das bin ich in der Tat. Meine Kunden sind sehr zufrieden und kommen wieder und wieder zu mir.« Sie lehnte sich zurück und legte ihre Beine nebeneinander. »Eine wirklich gute Hure ist offen und ehrlich in dem was sie macht, verstehst du! Wir sind nicht verklemmt, wir reden über uns und unseren Körper. Vor allem aber begreifen wir die Nöte und Sehnsüchte der Männer … Den Schreihälsen ist nicht klar, dass Männer nun mal eine andere Veranlagung haben.« Sie warf Tamora einen herausfordernden Blick zu. »Kommst du noch mit?«
»Ich denke schon«, erwiderte Tamora leise, die ihre Blicke nicht von Violetts bestrumpften Beinen lassen konnte.
»Überall in der Natur ist das Männchen die treibende Kraft. Wenn sein ausgeprägter Sexualdrang nicht wäre, so manche Gattung wäre vom Erdball verschwunden. Stelle dir nur mal vor, es dürfte nur, wenn das Weibchen will. Ich sage dir, in Nullkommanix wäre es zappenduster und die Nachkommen blieben aus.« Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette und klopfte die Asche ab. Sie schwieg einige Sekunden und fuhr eindringlich fort: »Diese Triebfeder ist genau das, was diese Frauen nicht in ihren Schädel bekommen. Die verwechseln das nämlich immer gleich mit Liebe, was aber absoluter Blödsinn ist. Liebe und Sex können sich wunderbar ergänzen. Sie gehören aber nicht zwangsläufig zusammen. Eines weiß ich genau, sie alle kommen weil sie Bedürfnisse haben. Diese Männer wollen Sex, sie brauchen ihn, dann fühlen sie sich wieder fit, können zielstrebig arbeiten und sind weniger launisch. Bei uns bekommen sie genau das: Sex, mehr nicht, verstehst du?«
Tamora nickte, nippte an ihrem Tee und sah sie an.
»Und was ich so richtig bescheuert finde ist, dass die wenigsten Frauen etwas dabei empfinden«, erklärte sie dann fast beschwörend. »Die sind völlig verklemmt. Statt offen darüber zu reden, wird über das Thema nach Möglichkeit geschwiegen und kommt es tatsächlich einmal auf die Tagesordnung, so wird es schnellstens umgangen oder abgewiegelt. Aus diesem Unvermögen entsteht diese Verärgerung.«
Tamora staunte über Violetts psychologischen Gedankengänge.
»Mein Körper ist mein Kapital, musst du wissen. Ich verkaufe ihn oder besser, ich verkaufe ein zeitlich befristetes Nutzungsrecht, für eine abgesprochene Dienstleistung. Es ist mein Beruf, den ich überdies sehr gerne ausübe.« Wieder erfüllte Violetts fröhliches und lebensbejahendes Lachen den Salon.
»Niemand hat etwas dagegen, dass sich Frauen und Männer Tag für Tag in Büros setzen und ihrem Chef gewissermaßen ihre Hirnleistung verkaufen, ebenfalls zeitlich befristet. Es sind ihre Produkte, Ideen und Gedanken, die sie offerieren. Niemand schreit deswegen: Pfui, wie kann man nur! Niemand würde es wagen deshalb mit dem Finger auf jemanden zu zeigen und als ›Brainsluts‹ zu bezeichnen … Und vergessen wir nicht, auch Fotomodelle verkaufen sich … Tamora, nicht wir sind schlecht und verdorben, die Gesellschaft ist es, sie macht uns dazu. Wir sind ein Abbild des sexuellen Kulturkreises in dem wir leben, einer Kultur, die stetiger Veränderung unterworfen ist. Es scheint aber wohl leichter zu sein, mit dem Finger auf andere zu zeigen, andere in den Schmutz zu ziehen … Und wenn wir Dreck sind, dann müssen die, die zu uns kommen zwangsläufig auch schlecht und schmutzig sein … Jede Frau rastet aus, wenn sie erfährt, dass ihr Partner bei einer Hure war. Sofort ist er abgestempelt: Ein fieser Typ, ein gemeines Schwein, ein widerwärtig-abartiger perverser Bock und wer weiß was noch alles. Denkt diese Frau auch nur einen kurzen Augenblick darüber nach, warum er es getan hat?« Violett nahm noch einen tiefen Zug und drückte den Rest ihrer Zigarette im Aschenbecher aus. Tamora schwieg und Violett erwartete auf ihre rhetorische Frage auch keine Antwort. »Würde sie das nämlich tun, müsste ihr bewusst werden, dass ihr damit in gewisser Weise ein Armutszeugnis ausgestellt wurde«, sprach Violett weiter. »Er hat nämlich nicht die Befriedigung bei ihr gefunden, die er gesucht hat … Erfährt sie hingegen, dass es einer Freundin passiert ist, dann sieht es gleich ganz anders aus. Da kommt schnell die Erkenntnis, sie könne ihm vielleicht nicht gegeben haben, was er braucht.«
»Gut, du erklärst also, dass es nur Sex ist und mit Liebe nichts zu tun hat«, warf Tamora ein, deren Blick wieder unbewusst über Violetts Beine glitt.
»Ganz genau«, nickte sie. »Aber noch schlimmer wird es, wenn ihr bekannt wird, dass er eine Freundin hat. Auch das ist schlimm, aber deutlich weniger verwerflich … Ich kenne viele Frauen, die sich sogar damit abfinden. Dabei ist das meines Erachtens das wirkliche Hintergehen der Frau, denn eine Freundin verlangt nicht nur Sex, sie verlangt in erster Linie Liebe!« Sie sah Tamora ernst an. »Kannst du mir erklären, warum das so ist?«
Tamora hatte ihr aufmerksam zugehört. Nie im Leben war sie so betroffen, wie in diesem Augenblick. Ihre eigene Einstellung zu den Damen des horizontalen Gewerbes war zwar eine andere, aber sie hatte sich nie wirklich mit diesem Thema befasst. »Woher weißt du das alles, Violett?«, hakte sie nach, statt die Frage zu beantworten.
Violett wirkte müde. »Das ist nicht sonderlich schwer. Ich habe dir doch gesagt: ich bin eine Hure … Folglich sollte ich mich in meinem Gewerbe auskennen, oder? Wenn ich nicht untergehen will, muss ich mich vor der Liebe schützen. Sie ist letztlich das einzige, was mich kopflos machen könnte.«
»Liebe?« Tamora wirkte ratlos.