Tamora - Im Sumpf des Lasters. Thomas Riedel

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Tamora - Im Sumpf des Lasters - Thomas Riedel

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nicht mehr in den Rahmen.« Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette und klopfte etwas Asche ab. »Sie konnten nämlich den Kindersegen nicht verhindern.«

      Tamora schaffte es nicht sich ein leichtes Schmunzeln zu verkneifen.

      »Ja, da schmunzelst du, aber das stimmt wirklich. Das Thema Verhütung haben die beiden anscheinend nie richtig verstanden, dafür waren sie offensichtlich zu doof. Keine Ahnung, was daran so kompliziert ist.« Sie nahm einen weiteren Zug von ihrer Zigarette und versuchte den Rauch zu einem Kringel zu formen. »Als sie dann vier von uns hatten, reichte das Geld vorn und hinten nicht mehr. Sie begannen auf Raten zu kaufen, kamen ihren Verpflichtungen nicht mehr nach und nahmen Nebenjobs an. Hat aber alles nichts gebracht. Mein Vater zog sich von der Familie zurück, reagierte ansonsten recht aggressiv und wir Kinder hatten nie einen Penny Taschengeld. Wer Geld von ihm zu bekommen hatte, ließ direkt pfänden. Das hat ihn fix und fertig gemacht. Tja, … und dann fing er eines Tages mit dem Trinken an. In gewisser Weise kann ich ihn sogar verstehen. Er hat sich sein Leben ganz sicher auch anders vorgestellt.« Violett drückte ihre Zigarette aus und nahm einen Schluck Tee. Dann fuhr sie fort und erzählte Tamora, wie sich die Trinkerei ihres Vater zunehmend verschlimmert hatte und von den immer häufigeren, handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen ihm und ihrer Mutter. Erst noch im Haus, vor den Blicken der Nachbarschaft verborgen, später dann sogar in aller Öffentlichkeit auf der Straße. Irgendwann war es zur Kündigung der Wohnung gekommen, weil sich die Mietrückstände zu einer beachtlichen Summe aufgetürmt hatten. Niemand hatte Mitgefühl für die abgewirtschaftete Familie mit vier Kindern gezeigt, deren Mutter zu diesem Zeitpunkt obendrein in anderen Umständen war. Ihre Stimme hatte einen traurigen und verbitterten Klang angenommen. »Man hat uns daraufhin irgendwo untergebracht. Damit hatte der endgültige Abstieg begonnen, in eine Sackgasse, aus der es keine Rückkehr mehr gab, weil sich niemand wirklich die Mühe machte, die Ärmel hochzukrempeln, um bei einer Schuldensanierung oder Ähnlichem zu helfen.« Sie griff erneut zu den Zigaretten. »Vielleicht hätten es meine Eltern noch schaffen können«, sagte sie leise, »aber nichts passierte … Mir selbst wurde die Kindheit gestohlen. Ich musste die Verantwortung für meine jüngeren Geschwister übernehmen. Zeit für Schule und Hausaufgaben hat es kaum gegeben. Mit dem Abstieg musste ich auch die Schule wechseln. Glaube nur nicht, dass ich dort Anschluss gefunden hätte. Ganz im Gegenteil … ich war den Übergriffen meiner Mitschüler ausgesetzt.« Ihre Stimme bebte ein wenig, als sie eingestand, dass sie insbesondere die psychische Gewalt als extrem schlimm empfunden hatte. »All, das kümmert mich schon lange nicht mehr«, erklärte sie und ihre Stimme hatte wieder einen festen Klang. »Ich will dir was sagen: Wenn ich lese, dass man Kinder heute laufend zu Psychologen schleppt, weil sie sonst einen Schaden für das Leben davontragen könnten, dann frage ich mich, warum für mich nie einer dagewesen ist?« Sie nahm einen Schluck Tee. »Bei uns hieß es nur, zeig endlich mal Ellenbogen, fang an dich zu wehren. Nicht gerade einfach für ein Mädchen, meinst du nicht auch? Und wenn man nicht fein mit der Meute heulte, dann war man gleich der Außenseiter. Man wurde förmlich dazu gemacht. … Nur immer schön Pfötchen geben, alles mitmachen, dann war man für die anderen in Ordnung. Dann waren sie stolz auf dich. Aber in Wirklichkeit waren es doch alles nur Schleimscheißer, Drückeberger, die längst ihr Rückgrat verloren hatten.« Inzwischen hatte sie aufgeraucht und drückte den Stummel ihrer Zigarette im Aschenbecher aus. »Es kotzt mich einfach an, wenn ich das höre.«

      »Und was hast du gemacht?«, fragte Tamora.

      »Ich habe natürlich aufgemuckt! Habe geschrien und gefragt, wie ich das alles unter einen Hut bekommen soll? Das mit meinen Geschwistern, die mich gehasst haben, weil ich Mutter und Vater ersetzen sollte, oder mit meinen Eltern, die mich zum Diebstahl angehalten haben! Meinem damaligen Lehrer ist förmlich die Kinnlade heruntergefallen!« Sie lächelte gequält. »Gleich am nächsten Tag kamen auch schon Beschwerden … Ja, du hörst richtig … man beschwerte sich über mich! Anstatt, dass sich der Lehrer mal Gedanken gemacht hätte, wie er mir helfen könnte, hat er sich an meine Eltern gewandt: ich sei für die Klasse untragbar geworden und würde die Atmosphäre vergiften!« Violett hatte sich aufgesetzt und goss sich etwas Tee nach. »Tja, so ist das eben mit der Chancengleichheit! Ich wurde zum Prinzipal gerufen und es wurde mir nahegelegt die Schule zu verlassen.« Violett lächelte Tamora an, griff ein weiteres Mal zum Päckchen Zigaretten und zündete sich erneut eine an. Ein verbittertes Lachen kam ihr über die Lippen. Es war unverkennbar, wie sehr sie die Erinnerungen an ihre Vergangenheit aufwühlten. »Schulpflicht!«, meinte sie bissig. »Den Gefallen habe ich ihnen aber nicht getan. Ich sollte die Schule abbrechen. Gehustet habe ich denen was! Jeden Tag bin ich brav hingegangen, obwohl mich mein Vater deswegen regelmäßig geprügelt hat, denn der wollte, dass ich arbeiten gehe, um die Familie zu unterstützen. Ich sollte putzen oder als Packerin ans Fließband.«

      Tamora nahm einen Schluck von ihrem Tee. Einerseits wollte sie Violett einige Fragen stellen, andererseits aber auch nicht unterbrechen und so hörte sie ihr einfach nur aufmerksam zu.

      »Jedenfalls habe ich alle zur Weißglut gebracht, wenngleich ich dabei nicht mehr viel gelernt habe. Ich war allen einen Dorn im Auge, ein echtes Ärgernis, und das bin ich sicher heute noch … Aber zumindest habe Rückgrat. Ich habe gelernt zu kämpfen und mich zur Wehr zu setzen … Wenn mich das Leben in diesem beschissenen Sumpf etwas gelehrt hat, dann das!«

      Dann bist du eine der wenigen Huren, die sich das bewahrt haben, dachte Tamora spontan. In der Regel lehnen sie sich ja nicht mehr auf, wenn man ihnen das Rückgrat erst einmal gebrochen hat.

      »Na ja«, sinnierte Violett weiter, »ich habe jedenfalls keinen Bock mehr auf meine Eltern und dieses heruntergekommene Viertel. Ich denke, das kannst du nachvollziehen, oder?«

      »Ja, natürlich«, erwiderte Tamora. Sie wusste jetzt zwar einiges über Violetts Wurzeln, aber noch lange nichts über deren Leben, das sie als Prostituierte führte. Und schon gar nicht darüber, wie es überhaupt dazu gekommen war.

      »Wie ist das mit deinen Geschwistern?«, hakte sie nach.

      »Ich habe keine Ahnung, was die machen. Es interessiert mich auch nicht wirklich, wenn ich ehrlich sein soll. Ich bin einfach heilfroh, wenn ich von denen keinen sehen muss.« Violett hatte sich erhoben, war zum Fenster gegangen und sah hinaus. Nach einer kurzen Weile wandte sie sich wieder Tamora zu und betrachtete sie eingehend. »Ich will dir mal was sagen, ich werde es schaffen, verstehst du!«, brach es plötzlich aus ihr heraus. »Das ist mein fester Wille. Ich will nie mehr arm sein. Eines Tages habe ich genug auf die Seite gelegt, dann brauche ich das nicht mehr zu machen und werde jemand sein … Hat Marc Aurel nicht einmal gesagt, dass jeder nur so viel wert ist wie das Ziel seines Strebens?«

      »Zumindest würde es zu ihm passen«, erwiderte Tamora, während sich Violett köstlich über die Verblüffung amüsierte, die sich angesichts des Zitats auf Tamoras Gesichtszügen zeigte. »Ich wünsche dir, dass du es schaffst … ganz ehrlich.« Sie dachte dabei an das, was ihr in der letzten Zeit alles passiert war. Nein, gegen das Schicksal kommt man nicht an. »Aber vergiss nicht, dass der Zufall die Vorsehung schnell untergraben kann.«

      »Was ist deine Vorbestimmung?«, erkundigte sich Violett lächelnd, wartete aber nicht auf eine Antwort. »Letztlich ist es nur ein Wort. Eines, das ich zum Kotzen finde, um es mal so drastisch auszudrücken. Wir allein sind Schuld an unserer Situation, ganz allein, und nicht das Schicksal. Da geschieht etwas, wir haben für einen Augenblick nicht aufgepasst und schon ist es geschehen. Man muss vorbereitet sein, alles einplanen und sich in Acht nehmen, dann kann einem nichts mehr passieren.«

      Tamora wollte etwas entgegnen, kam aber nicht dazu.

      »Ich will ja nicht gerade behaupten, als Kind schon gewusst zu haben, was aus mir einmal werden würde. … Soll ich dir einmal sagen, wann ich das erste Mal mit einem Mann geschlafen habe?«

      Tamora nickte.

      Violett setzte sich wieder, goss abermals Tee nach und

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