Tamora - Im Sumpf des Lasters. Thomas Riedel

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Tamora - Im Sumpf des Lasters - Thomas Riedel

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nachließ. Diese Prostituierte ist schon eine komische Nudel, dachte sie. In einem Augenblick macht sie auf vornehm und im nächsten hat sie ein loses Mundwerk.

      Violett war aus ihren hochhackigen Pumps geschlüpft und hatte sie lässig mit den Zehen in eine Ecke des Raumes befördert. Dann hatte sie sich in einen, der zum rotem ›Big Sofa‹ gehörenden Sessel gesetzt, die Beine angezogen und es sich bequem gemacht.

      Wieder einmal betrachtete Tamora Violett eingehend, wie sie sich da so vor ihr räkelte. Sie ist ein bezauberndes Wesen. Alles an ihr ist perfekt. So wie sie, will wohl jede von uns sein, ging es ihr durch den Kopf. Sie ist eine wahrhaft außergewöhnlich schöne Frau. Sie wollte schon eine erste Frage loswerden, die ihr fertig auf der Zunge lag, als sie diese wieder herunterschluckte. Vermutlich wird sie es hassen, wenn ich sie danach frage, wie alles angefangen hat, dachte sie. Ich möchte ja schließlich auch nicht laufend gefragt werden, wie ich das mit dem Romane schreiben mache oder woher ich die Inspiration hernehme und ob ich einmal genau das erleben möchte, was meine weiblichen Figuren in den Geschichten an Sex ausleben.

      »Ich werde uns beiden jetzt einen Tee machen … oder möchtest du etwas anderes?« Violett hatte sich erhoben und sah sie lächelnd an.

      »Tee wäre nicht schlecht. Kaffee habe ich eben schon bei May bekommen.«

      Mit den gleitenden Bewegungen einer Katze verschwand Violett in einem angrenzenden Raum, von dem Tamora vermutete, dass sich dort die Küche befand. Es ist einfach eine Freude, ihr zuzusehen, dachte sie. Sie weiß genau um ihre Reize. Es besteht kein Zweifel, dass sie Männer wie ein Magnet förmlich nur so anzieht. »Darf ich mir alles ansehen?«, erkundigte sich Tamora bei ihrer Gastgeberin.

      »Ja, mach du mal«, kam es fröhlich aus dem Nebenzimmer zurück.

      Der ungewöhnlich große Flachbildschirm fiel Tamora sofort ins Auge und auch der wundervolle Sekretär im ›Vintage-Look‹. Was sie aber weitaus mehr faszinierte, war das wertvolle Porzellan in einer Anrichte im Landhausstil. Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sicher, ich habe auch schon über recht erfolgreiche Huren geschrieben, doch kennengelernt habe ich noch keine. Dann entdeckte sie Bücher und ihre Augen flogen über die Rücken. Neben Lyrik von Elizabeth Browning, Gerard Hopkins, Christina Rossetti und Alfred Tennyson, standen Dramen von Henry Jones, Arthur Pinero und Oscar Wilde. Es folgte Epik von Thomas Hardy, den Bronte-Schwestern, Charles Dickens, Elizabeth Gaskell und William Thakeray. Eine komplette Shakespeare-Ausgabe fand sich neben Bänden von Tolstois ›Anna Karenina› und ›Krieg und Frieden‹. Es war eine Auswahl, wie sie Tamora bei einer Frau wie Violett niemals erwartet hätte. Behutsam hatte sie eine Erstausgabe von Edgar Allan Poes ›Aventures d’Arthur Gordon Pym‹ in französischer Übersetzung von Charles Baudelaire in die Hand genommen und blätterte in Gedanken versunken darin.

      »Ja, man mag es kaum glauben, aber ich kann sogar lesen und habe es auch getan«, bemerkte Violett fast trotzig. Ohne dass es Tamora bemerkt hatte, war sie in den Salon zurückgekehrt, »sogar auf Französisch.« Sie kam auf Tamora zu und nahm ihr das Buch aus den Händen. »Ah, der Albatros. Das mag ich ganz besonders … Souvent, pour s'amuser, les homme d'equipage prennent des albatros, vastes oiseaux des mers, qui suivent, indolents compagnons de voyage, le navire glissant sur les goufres amers.« Sie klappte das Buch zu und stellte es zurück. »Oft zum Zeitvertreib fangen die Seeleute sich Albatrosse ein, jene mächtigen Meervögel, die als lässige Reisegefährten dem Schiffe folgen, wie es auf bitteren Abgründen seine Bahn zieht.«

      »Du musst mir nichts beweisen«, meinte Tamora betreten. »Ich habe das nie behauptet. Ich staune halt nur über die ungewöhnliche Zusammenstellung.«

      »Und dennoch hast du mir das alles nicht zugetraut, weil ich aus ganz einfachem Hause komme! … Ist doch so, oder?«

      »Es ist eben sehr ungewöhnlich«, gestand Tamora und nickte. »In einem Roman würden es meine Leser als überzogen betrachten … völlig an ihrer vermeintlichen Realität vorbei.«

      »Ich bin dir nicht böse«, erwiderte Violett. »Auf den überwiegenden Teil von uns, trifft es ja auch zu … Aber so wie die, wollte ich nie sein.« In ihren Augen funkelte es. »Wenn meine alten Herrschaften das alles jetzt sehen könnten, sie würden es nicht für möglich halten. Ich habe es geschafft, … bin ganz oben. Alles ist bar bezahlt, auch die Wohnung, der Sportwagen … und Bildung habe ich mir auch beigebracht. Du glaubst gar nicht, wie oft ich dadurch lukrative Aufträge bekomme … Escort-Service für hohe Tiere, wenn sie in London verweilen.«

      »Ihre Eltern sind tot?«, erkundigte sich Tamora zögernd.

      »Wir sollten nicht so förmlich sein, meinst du nicht auch? Das machen sogar die Beamten von der ›Metro Police‹«, schlug Violett vor, ohne die Frage zu beantworten.

      »Gern. Ich wollte nur nicht unhöflich sein«, entschuldigte sich Tamora.

      »Du bist schon recht eigenartig«, schmunzelte die junge Prostituierte. Dann huschte sie barfüßig in die Küche zurück, holte Geschirr und brachte den Tee. »Also …«, begann sie, während sie einschenkte, »du bist gekommen, um mich auszuquetschen. Nun, … dann lass uns doch gleich damit anfangen.« Sie lächelte Tamora herausfordernd an. »Aber … ich will im Gegenzug auch etwas von dir wissen, klar?«

      Tamora erwiderte ihr Lächeln und setzte sich in den freien Sessel.

      »Ich mache es dir leicht«, fing Violett an und nippte einmal kurz an dem noch sehr heißen Tee. »Um mal mit meinen Eltern anzufangen: Nein, die sind noch nicht tot. Das wäre mir wohl kaum entgangen. Allerdings bin ich nicht so blond ihnen meine Adresse zu geben. Die würden wie Schmarotzer meine Wohnung belagern. Mein Vater ist Alkoholiker, … laufend betrunken, und das Milieu, in dem er lebt, kannst du dir ja ausmalen.« Sie warf Tamora einen forschenden Blick zu. »Das passt vermutlich genau in dein Bild, oder?«

      Tamora zuckte unbeholfen die Achseln.

      »Wie auch immer«, fuhr Violett direkt fort. »Es ist ja nicht nur mein Vater, der säuft, meine Mutter tut es ihm gleich. Und natürlich gehen beide auch nicht arbeiten. Sie lassen sich von der Fürsorge aushalten.« Sie strich sich mit einer Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »So wollte ich nicht leben und deshalb habe ich mich zeitig auf die Socken gemacht. Kannst du das verstehen?«

      Tamora nickte. »Waren deine Eltern denn schon immer so?«, wollte sie wissen.

      Violett schüttelte ihre langes rotes Engelshaar. Sie hatte ihre wohlgeformten Beine jetzt auf dem Sofa ausgestreckt und lehnte sich entspannt gegen das Polster. Offensichtlich machte es ihr nichts aus, dass ihr teures Kleid dabei zerknautschte und Tamora einen recht freizügigen Einblick gewährte.

      »Nein. Sie haben nicht immer in einer Absteige am Rande der Gesellschaft gelebt. Inzwischen ist die Wohngegend zu einem echten Getto verkommen, wo keiner mehr rauskommt und erst recht keiner hinwill. Wer dort einmal gelandet ist, wird von der Allgemeinheit vergessen. Und verdammt, niemand sollte jemanden vergessen … keiner sollte das!«, wiederholte sie mit Nachdruck. »Im Leben kann jeder abstürzen, aus welchem Grund auch immer, und viele schaffen es eben nicht aus eigener Kraft wieder auf die Füße zu kommen!« Violett hatte sich so darüber erregt, dass sie eine Weile kein Wort mehr herausbrachte. Sie erhob sich, ging zur Anrichte, holte Zigaretten aus einer Schublade hervor und bot Tamora eine an, die dankend ablehnte. »Meine Eltern waren einfach zu schwach. Mein Vater ist gelernter Schlosser und meine Mutter, … die wollte immer hoch hinaus. War schon ein echter Spleen bei ihr. Ich kann das vielleicht schlecht erklären, aber sie strebte einfach nach mehr, … mehr als eben erreichbar für sie war«, erzählte Violett. »Ihr ging es immer darum mehr als die Nachbarn, Freunde und Verwandten zu haben. Mein Vater muss sich dafür

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