Tamora - Im Sumpf des Lasters. Thomas Riedel
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»Ich war gerade elf Jahre, als ich in das Viertel kam. Damals meinten alle, an mir etwas Besonderes zu finden. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, was das gewesen sein könnte … schließlich war ich eher schnippisch, vorlaut und recht kess. Vielleicht meinten sie ja das und das ich anders angezogen war. Ich lief nicht so verdreckt herum, während die anderen Mädchen immer irgendwie schmuddelig aussahen.« Sie sog wieder an ihrer Zigarette und klopfte etwas Asche in die Kristallschale. »Jedenfalls war ich noch nicht lange dort, als ein baumlanger Bursche auf mich zukam. Ich erinnere mich daran noch sehr genau. Ich stand an einem Schuppen, der sich ganz hinten im Hof befand. Die anderen Mädchen fingen bereits an zu kichern, weil sie schon wussten, was kommen würde. Damals war ich noch echt bescheuert und hatte keine Ahnung.« Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück und zog die Beine an ihren Körper. »Der Junge, den Namen habe ich vergessen, meinte dann plötzlich, ob ich schon mal oder ob eben noch nicht. Ein paar von den Mädchen kreischten und machten darüber lustig, dass ich ja gar nicht wüsste, wo es lang ginge und der Bursche fragte, ob ich mir denn damit noch keine Knete verdient hätte. Mir war das richtig peinlich und ich fühlte mich echt schlecht.« Um ihre Lippen zuckte es leicht. »Er kam dann später noch einmal auf mich zu und meinte, er hätte jetzt echt Bock auf mich. Ich sei ja so anders und er wolle mich einmal ausprobieren. Er stand dabei ganz dicht vor mir und wollte mich in den Schuppen stoßen. Ich dachte, der wird mich jeden Augenblick verprügeln, wurde wütend und versuchte mich verzweifelt zu wehren. Die Mädchen waren auch wieder da und kreischten vor Vergnügen. Ich weiß noch, dass eine schrie, sie hätten ihm doch gleich gesagt, dass ich noch ein Baby sei und von einem richtigen Fick nichts wüsste.«
Tamora stellte ihre leere Teetasse vor sich auf den Tisch und schenkte sich aus der Kanne nach. Aufmerksam lauschte sie jedem Wort und nickte Violett von Zeit zu Zeit auffordernd zu, doch weiterzuerzählen.
»Der Bursche war kräftig und schien auch mit denen machen zu können, was er wollte. Ich wusste damals jedenfalls nicht wirklich, was er von mir wollte. Auch war ich viel zu schwach, um mich lange gegen ihn aufzulehnen.« Sie drückte ihre Zigarette aus. »Als er mich im Schuppen hatte, jagte er die Meute vom Fenster und kam wieder auf mich zu. Ich stand stocksteif an der Wand. Dann hob er langsam meinen Rock hoch und grinste mich an. Mir war das alles furchtbar peinlich. Ganz plötzlich war er dann mit seiner Hand in meinem Slip und mir wurde ganz anders ... Da war ein eigenartiges, fremdes Gefühl. Er hat nur gelacht und gemeint, ich sei ja wirklich noch völlig ungebraucht und ich solle mich auf der Stelle hinlegen, weil er sehen wolle, ob er mit mir etwas anfangen könne. Meine Knie waren ganz weich. Ich überlegte wegzulaufen, aber damit hätte ich mich zu Gespött der anderen gemacht und irgendwie wollte ich auch gar nicht, dass er aufhört.«
Tamora nahm einen Schluck Tee und fragte sich, wie sie selbst in einer solchen Situation wohl reagiert hätte.
»Na ja, wie auch immer, um die Sache abzukürzen: Er hatte eine große Klappe, aber mehr auch nicht. Er wusste überhaupt nicht wie es wirklich geht. Ich schwieg und tat so, als hätte ich keine Ahnung.« Violett lächelte verächtlich. »Er muss wohl im Sexualkunde an der Stelle gepennt haben. Wie auch immer: Am Schluss meinte er, das würde man vögeln nennen und ob ich das kapiert hätte. Ja, so war das beim ersten Mal.«
»Keine sehr schöne Erfahrung«, bemerkte Tamora leise. »Was war mit den anderen Mädchen?«
»Die wollten natürlich wissen, wie es gewesen war«, erwiderte Violett und leerte ihre Tasse. »Irgendwie stieg ich auch in ihrem Ansehen, weil der Bursche sich für mich interessierte. Ich habe dann schnell verstanden, dass sie alle hinter ihm her waren, er aber nur kleine, harmlose Mädchen suchte, bei denen er den großen Verführer spielen konnte.« Sie sah Tamora an. »Man betrachtet sein Umfeld dann schnell mit anderen Augen.«
»Kann ich gut verstehen«, nickte Tamora.
»Mir war davor nie aufgefallen, dass sich auch die größeren Mädchen immer bei den Burschen aufhielten und auch vor den älteren Männern keine Scheu zeigten, ganz besonders wenn die ordentlich was getrunken hatten. Ich habe oft gesehen, wie die sich dann unter deren Röcken zu schaffen machten und ihnen hinterher Geld in die Hand drückten. Das mochte ich nicht und habe mir immer gesagt, so alte Kerle kommen für mich nicht infrage. Das wäre ja noch schöner. Obschon die Versuchung ziemlich groß war, denn Geld hatte ich nie und Wünsche um so mehr.«
»Und wie ging es weiter?« Tamora hatte sich nach vorn gebeugt und sah sie interessiert an.
»Irgendwann kam dann mal so ein geschniegelter Jüngling zu uns. Wie ich später erfahren habe, war der auf der Flucht vor der Polizei. Er war wohl der Neffe von irgendjemand, versteckte sich tagsüber und langweilte sich.« Sie griff wieder zu den Zigaretten, nahm eine und drehte sie gedankenschwer zwischen den Fingern herum. »Jedenfalls war dieser Typ eine andere Hausnummer und gefiel mir auf Anhieb. Die Konkurrenz war natürlich groß, denn die anderen Mädchen waren auch hinter ihm her … Er hieß Mason. Ja, ich erinnere mich wieder an seinen Namen. Es dauerte auch nicht lange und ich fiel ihm auf. Er zwinkerte mir zu.« Sie nahm das goldene Feuerzeug und zündete die Zigarette an. Nachdem sie einen Zug genommen hatte, erzählte sie weiter: »Irgendetwas war an ihm, das mich in seinen Bann zog. Als seine Tante wieder einmal betrunken in der Ecke lag, machte er mir die Tür auf und führte mich in eine kleine Schlafstube. Da standen wir uns dann direkt gegenüber. Er berührte meine Brüste und strich mir über den Rücken. Ich sei ein Prachtpferdchen, meinte er und dass aus mir noch etwas werden würde.«
»Prachtpferdchen?«, schmunzelte Tamora. »Hast du damals gewusst, was er dir damit sagen wollte?«
»Nein«, bestätigte Violett lächelnd. »Ich war wirklich noch völlig unbedarft … Jedenfalls konnte ich mich nicht rühren, als er mir langsam das Kleid auszog. Dann stand ich nur noch im Slip vor ihm. Wieselflink hat er sich auch ausgezogen und ich sah zum ersten Mal einen nackten Mann … Wie auch immer! Ich bekam dann doch Fracksausen. Er nahm mich sofort in seine Arme, legte mich aufs Bett und fing an, mich zu streicheln und zu küssen. Mensch, ich dachte, ich verbrenne.« Sie schüttelte schmunzelnd ihre Löwenmähne. »In der einen Sekunde wollte ich noch fort, weil ich Muffensausen hatte, und in der nächsten wollte ich bleiben. Er sollte einfach nicht aufhören … Ich wurde sogar richtig wild und machte mit, obwohl ich keine Ahnung hatte. Er war tatsächlich ein guter Lehrmeister, das kann ich dir sagen.« Sie aschte ab. »Er verstand es auf meinem Körper zu spielen wie auf einer Geige und ich war total glücklich. Als ich dachte, jetzt halte ich das nicht mehr aus, da hat er mich heftig genommen. Meine Güte, ich habe geglaubt ohnmächtig zu werden. Ich wollte schreien, aber er hielt mir den Mund zu. Danach meinte er zu mir, dass es beim ersten Mal immer so sei. Später würde ich daran viel mehr Freude haben.«
»Und von da an, glaubst du, war deine Laufbahn vorbestimmt?«, wollte Tamora wissen.
»Ich denke schon«, nickte Violett. »Also nichts, von wegen Schicksal und so.«
»Du hast also gleich gewusst, dass du davon nicht mehr loskommst«, konstatierte Tamora.
»Ja. Ich war mir sicher, ich würde das brauchen … etwas, das nichts kostet und ich mir immer leisten könnte und das Leben auf seine Weise auch irgendwie schöner macht.« Sie lehnte sich wieder zurück und zog ihre Beine auf den Sessel. »Ich war richtig süchtig danach. Nachdem ich der Meinung war, Bescheid zu wissen, hatte sich meine kleine Welt völlig verändert. Ich wurde weicher, zärtlicher und war nicht mehr so störrisch.«
»Du meinst, du wurdest zur Frau«, warf Tamora ein. »Was wurde aus Mason?«
Violett lächelte. »Mason gab sich als perfekter Liebhaber. Auch später war er noch zärtlich zu mir. Mit einem Wort, es war schön, obwohl ich ja noch nicht viel davon hatte … Ich erinnere mich gut, dass wir im Anschluss noch