Der Fluch von Shieldaig Castle. Thomas Riedel
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Er zögerte kurz, ehe er es wagte, sie zu berühren. Dann bückte er sich mit Tränen in den Augen über sie, die junge Frau, die er so tief verehrt hatte. Er begriff sofort, dass es für sie keine Rettung mehr gab. Gott hatte sie auf seine Art zu sich genommen.
Aber George kniete nicht nieder und er betete auch nicht. Ganz im Gegenteil, er ballte seine Rechte zur Faust und reckte sie drohend gen Himmel.
»Hast du mit deinem Fluch noch immer nicht genug?! Wird das ewig so weitergehen? Willst du ›Shieldaig Castle‹ auch noch vernichten?!«
George sprach nicht mit dem Allmächtigen. Seine ganze Verzweiflung richtete sich an Lady Scarletts Großvater, der vor ewiger Zeit einen Fluch ausgesprochen hatte – damals, ehe er starb – und es war, als würde dieser Fluch jeden Menschen vernichten, der die alte Burg liebte.
Weinend hob George ihre leichte Gestalt auf und trug sie in den schützenden Salon zurück.
»Warum nur habe ich sie hinausgehen lassen. Ich hätte es verhindern müssen«, brummte er, sich Vorwürfe machend. »Ich hätte es auf keinen Fall zulassen dürfen.«
Aber jetzt kam jede Hilfe zu spät. Für Lady Scarlett hatte die irdische Welt aufgehört zu existieren.
George alarmierte sofort das übrige Personal. Er wich nicht von der Seite seiner Herrin, als man die Letzte aus dem Geschlecht der Cunninghams auf das Totenlager bettete. Still harrte er an ihrem Bett aus, während im Haus alles wie bisher weiterging.
Fünf Kerzen brannten in einem silbernen Kandelaber am Kopfende. Die Fenster des Zimmers waren abgedunkelt. Nach einer Weile, gerade so, als müsste er die unerträgliche Stille durchbrechen, flüsterte er vor sich hin:
»Nun ist auch sie gegangen – und sie war doch so schön. Niemals habe ich so herrliches schwarzes Haar gesehen, niemals so wunderschöne, große graublaue Augen. Warum nur, Gott, musste sie gehen? Warum hast du nicht mich geholt. Ich bin schon sehr alt und am Ende meines Lebens angekommen. Ich würde es gern hingeben, wenn ich sie damit wieder lebendig machen könnte.«
Gott antwortete ihm nicht – und im Zimmer blieb es still, und das Lächeln von Lady Scarlett majestätisch kühl.
George wischte sich seine Tränen aus dem Gesicht. Erneut fühlte er die bedrückende Stille.
»Es war alles so herrlich«, sprach er weiter vor sich hin, »als ich damals auf die Burg kam. Ich war ein junger Mann mit vielen Träumen. Nur für ein paar Jahre wollte ich als Kammerdiener tätig sein – aber es wurde der Beruf meines Lebens.«
Er erschauerte, als er an Lady Scarletts Großvater dachte, den er damals zu bedienen gehabt hatte. Es war ein garstiger alter Mann gewesen. Niemand konnte ihm etwas recht machen, und so tyrannisierte er seinen Sohn und auch seine Schwiegertochter, die damals gerade in guter Hoffnung gewesen war.
Jahrelang hatte er sich und anderen Menschen zur Qual gelebt. Er hatte es geschickt für sich zu nutzen gewusst, dass er an beiden Beinen gelähmt war – eine alte Kriegsverletzung, wie er immer zu betonen wusste. Ehe er starb, hatte er die Burg verflucht und gebrüllt: ›Verflucht sollt ihr alle sein – alle, die ihr diese Burg liebt – denn sie gehört mir!‹
Das war inzwischen zweiundvierzig Jahre her – und doch kroch George bei der Erinnerung daran noch heute eine Gänsehaut über den Rücken.
Es war ihm, als wären die Worte des Mannes noch deutlich in seinen Ohren.
»Ja«, stöhnte er auf, »ja – und dieser verdammte Fluch hat seine Wirkung noch immer nicht verloren. Wieder liegt der Schatten des Todes über der Burg.«
Er atmete schwer, als er an das Leben zurückdachte, das gefolgt war, nachdem der alte Burgherr seine Augen für immer geschlossen hatte.
Zunächst schienen die Bewohner von ›Shieldaig Castle‹ richtig aufzuleben. Wie wohltuend war doch die Ruhe, da das ständige Nörgeln des alten Mannes verstummt war. Aber es war eine trügerische Ruhe, die nicht lange währte. An dem Tag, an dem Lady Scarlett geboren wurde, verstarb ihre Mutter an den Folgen der Entbindung.
Scarletts Vater reagierte kopflos. Er hatte nun nicht nur ein winziges kleines Mädchen, er hatte auch noch für seine ältere Tochter Gracelynn zu sorgen.
George überlegte, wie alt Gracelynn damals gewesen war.
»Dreizehn muss sie wohl gewesen sein«, murmelte er vor sich hin. »Ja, dreizehn … und sie hatte viel von ihrem Großvater geerbt, denn auch sie war zänkisch, und sie ist es bis zum heutigen Tag geblieben.«
Er erinnerte sich noch gut daran, wie das ganze Personal bei der Taufe von Scarlett geweint hatte, und wie sehr sich seine Lordschaft Cunningham gegrämt hatte.
Aber auch mit diesem Opfer hatte sich das Schicksal noch nicht zufriedengegeben. Scarlett war erst drei Jahre alt gewesen, als ihr Vater während einer Fuchsjagd tödlich verunglückte. Durch einen unglücklichen Umstand war das Gewehr losgegangen, und die Kugel hat seine Lordschaft tödlich in den Kopf getroffen.
Eine entfernte Verwandte hatte daraufhin ›Shieldaig Castle‹ bezogen und für die beiden Mädchen gesorgt. Scarlett hatte sich sanftmütig entwickelt, Gracelynn aber war herrisch geblieben. Als sie fünfundzwanzig Jahre alt gewesen war, hatte sie die Burg verlassen und geheiratet. Benjamin Gates war ein reicher Bauunternehmer. Er hatte nicht auf ›Shieldaig Castle‹ leben wollen, und soweit sich George erinnern konnte, war Lady Gracelynn wohl ganz froh gewesen, die Burg verlassen zu können. Sie fürchtete den Fluch, der auf dem Gemäuer lag. Später hatte sie sich mit ihrer Schwester geeinigt. Scarlett behielt die Burg und Gracelynn wurde ausbezahlt.
Jetzt aber war die letzte Herrin von ›Shieldaig Castle‹ ebenfalls verstorben und mit ihr der Name Cunningham.
George wischte sich wieder übers Gesicht. Dann hob er leicht den Kopf und einen Blick auf die Tote.
»Jetzt wird sicher der junge Gates hier einziehen, oder er wird es verkaufen … wer weiß das zu sagen? Brantley Gates hat Architektur studiert, soweit ich weiß. Er wird ganz sicher nicht auf einer Burg wohnen wollen.«
Er seufzte schwer. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Regen und der Sturm nachgelassen hatten.
»Arme Lady Scarlett«, kam es ihm über die Lippen, wobei er sich traute, ihr einmal scheu über die gefalteten Hände zu streicheln.
Wieder fragte er ein ›Warum‹ in das stille Zimmer, in dem nicht einmal das Ticken einer Standuhr zu hören war. Aber auch auf diese Frage bekam er keine Antwort. Das Schicksal antwortete nicht.
Als er nach einigen Stunden das Totenzimmer verließ, schien er um viele Jahre gealtert zu sein. Sein Rücken war noch gebeugter.
»Ist Mrs. Gates schon benachrichtigt worden?«, erkundigte er sich bei einem der Dienstmädchen.
»Nein«, erwiderte sie bedrückt. »Wir waren uns nicht sicher, ob nicht …«
»Schon gut, Meredith«, winkte er müde ab. »Ich werde das persönlich übernehmen.«
George fühlte sich dem Haus Cunningham immer noch verpflichtet. Er durfte noch nicht abtreten. Dafür gab es