Charles Finch: Lautlos fiel der Schnee. Thomas Riedel

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Charles Finch: Lautlos fiel der Schnee - Thomas Riedel

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sage dir, so einfach, wie du denkst, ist das nicht.« Er tat ein paar Züge aus seiner Pfeife und ließ sie wieder ausgehen.

      »Hör mal, Kenneth«, lächelte sie. »Du benimmst dich wie ein großes Kind … Wie alt bist du? Fünfundzwanzig? … Du hast einfach zu wenig Menschenkenntnis. Das ist gar nicht gut für jemand, der Romane schreiben und als Schriftsteller groß rauskommen will. Der kleinen Cooper hat ihr Liebeskummer bestimmt viel Spaß gemacht. Sie wird natürlich zuerst heftig protestieren, so, wie es sich gehört, dann an deine Brust sinken … und dich für den Rest deines Lebens unter der Fuchtel halten.«

      Jackson langte nach seinem Whisky. »Du weißt, dass ich dich sofort heiraten werde, wenn Harold in die Scheidung einwilligt.«

      Sie warf mit kurzem Lachen den Kopf zurück. »Um Himmels willen, Kenneth, hör endlich auf, dich wie eine deiner Romanfiguren zu benehmen!«

      »Ich wollte nur, dass du es weißt«, meinte er trübe.

      »Was ich sehr gut weiß und was mir nicht gefällt, ist, dass du eine angenehme Episode so verdammt ernst nimmst … Oder war die Zeit etwa nicht angenehm für dich?«

      »Sprich nicht so, Violett! Du weißt doch ganz genau, was ich für dich empfinde …«

      »Ich weiß, was du gefühlt hast und was du fühlst«, unterbrach sie ihn schroff. »Du hast dich als Mann von Welt gefühlt. Und jetzt? … Jetzt fühlst du dich plötzlich schuldig, gerade so, wie ein kleiner Junge, dem sein Vater die Kehrseite versohlen wird, wenn er nach Hause kommt … Du warst aber niemals ein Mann von Welt, Kenneth … Ebenso wenig wie du jetzt ein kleiner Junge bist … Und hier gibt es auch keinen Vater.«

      Er sah sie an und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. In dem sinkenden Zwielicht spiegelte sich der Widerschein des Feuers auf der holzgetäfelten Wand. »Er hat mich hergebracht, damit ich meinen Roman schreibe«, murmelte er. »Dann ist er fortgegangen und hat mich gebeten, mich um dich zu kümmern.« In seinen Mundwinkeln zuckte es. »Ich habe den Roman aber nicht geschrieben, und ich habe ihn obendrein mit dir betrogen. Da gibt es wohl nur eines zu tun, Violett: reinen Tisch machen, … mag dann daraus werden, was auch immer Harold will.«

      Sie füllte sich ihr Glas nach. »Moment mal, Kenneth!«, stoppte sie ihn. »Du solltest die Sache auch von meinem Standpunkt aus betrachten! Du siehst dich in einer höchst dramatischen Rolle und denkst nicht daran, dass es sich vor allem um mich handelt. Dort, wo ich zu Haue bin, gilt der Satz: ›Hat der Jüngling ein Vergnügen, sei er dankbar und verschwiegen!‹ Niemand setzt den Namen einer Frau, die er verführt hat, in ein Journal!«

      »Violett!«

      »Wie gesagt, es handelt sich um mich und meine Zukunft. Sonderbar, dass ich dir das überhaupt noch erklären muss. Du wirst Harold nichts sagen, und wenn du unbedingt dramatische Szenen durchspielen musst, so tu das ruhig, aber bitte für dich allein, … vor deinem Rasierspiegel.«

      Jackson öffnete den Mund. Er wollte etwas erwidern, sagte dann aber nichts. So ist das also! Er dachte an den Zauber, der diesen Raum früher einmal erfüllt hatte, an die Ungeduld, mit der er Monate hindurch Tag für Tag den Augenblick erwartet hatte, da er zu ihr kommen durfte. Ich habe weder schreiben noch denken können … für mich gibt es nichts als dich, Violett! Er erinnerte sich daran, wie wild sein Herz jedes Mal geklopft hatte, wenn er sich ihrem Haus näherte! Mit welcher Ekstase er sie dann in die Arme genommen – und mit welcher Hingabe sie seine Zärtlichkeiten erwidert hatte! Die Arbeit war darüber vergessen, nichts existierte als ihr Zauber. Jetzt, da sie so gefühllos mit ihm sprach, mit beißendem Spott in der Stimme, war es, als stäche jedes Wort eine tiefe Wunde. Und im Mund fühlte er den säuerlichen Geschmack der Furcht. Sie war für ihn verloren, Elizabeth ebenfalls und auch seine berufliche Zukunft. Automatisch fragte er sich, was er noch tun konnte, wo seine Welt gerade wie ein schlecht errichtetes Kartenhaus in sich zusammenfiel.

      »Natürlich werde ich abreisen«, sagte er leise. »Nach Harolds Rückkehr könnte ich es hier nicht mehr ertragen.«

      »Das ist doch lächerlich!«, erwiderte sie gelassen. »Harold ist schließlich dein Verleger. Er glaubt an dich und kann dir bei deinem Roman helfen. Aber bitte …« Sie zeigte ein wegwerfende Geste. »Mach' doch was du willst, Kenneth! Es handelt sich um dein Leben, nicht um meines!«

      »Du kannst nicht einfach Schluss machen, Violett, so wie … wie wenn man ein Buch zuklappt!«

      »Und warum sollte ich das nicht können?«, fragte sie kurz angebunden über den Rand ihres Glases hinweg.

      »Du solltest dich einmal reden hören! … Du hast mich niemals wirklich geliebt, nicht wahr, Violett? … Für dich war ich nichts weiter als ein angenehmer Zeitvertreib, oder?«

      »Mein lieber Kenneth, ich habe genommen, was du mir zu bieten hattest«, erwiderte sie respektlos. »Mit Vergnügen und sogar mit einer gewissen Dankbarkeit. Wenn du es weniger tragisch nimmst, werde ich mich gern daran zurückerinnern. Aber im Augenblick … langweilst du mich … Sehr sogar!«

      Er klopfte seine Pfeife auf einem der Kaminböcke aus. Besser, wenn ich jetzt etwas mit meinen Händen mache, als sie sehen zu lassen, wie sehr sie mir zittern, dachte er. »So ist es also«, stellte er laut fest und richtete sich auf. Seine Augen wanderten hilflos im Zimmer herum, als würden sie es zum letzten Mal sehen. »Kann ich noch irgendetwas für dich tun, Violett, bevor ich gehe?«

      »Du kannst damit aufhören, wie ein christlicher Märtyrer in einer römischen Arena auszusehen«, lachte Violett.

      ***

      Kapitel 4

      Kenneth Jackson ging gedankenvoll die Straße entlang, sein Kinn im Kragen des pelzgefütterten Mantels vergraben. Die Sonne war hinter den Hügeln untergegangen und hatte auf den schneebedeckten Gipfeln einen Hauch von Purpur zurückgelassen. Wie immer nach Sonnenuntergang war es bitter kalt. Lichter wurden in den Fenstern der Häuser sichtbar – ihre Wärme war sanft und einladend.

      Jackson hielt seine Augen auf den ausgetretenen Weg geheftet, doch war es nicht wegen der tiefen Furchen. Wenn er Violett verließ, sah er nie nach links und rechts, weil er das Gefühl hatte, dass die Leute ihn hinter den Vorhängen dieser erleuchteten Fenster beobachten. Er hatte oft versucht, sich einzureden, dass seine Unsicherheit nur einem neurotischen Schuldgefühl zuzuschreiben war – doch das half nichts. Die Menschen beobachteten und redeten über ihn, soviel stand für ihn fest. Und heute, da würden sie alle über Harold Stamfords Rückkehr sprechen. Was für eine Sensation! Würde Harold die Rolle des schmählich betrogenen Gatten spielen, wenn gute Freunde ihm erzählten, wie er sich ›um seine Violett gekümmert‹ hatte? Würde der junge Jackson verschwinden? Und was würde aus Violett werden? Und was aus Elizabeth Cooper? Es schien ihm, als hörte er die Stimmen, gedämpft vom Wind, der plötzlich einen Wirbel zusammengeballter Schneeflocken heranfegte: »Was soll aus Elizabeth Cooper werden?«

      Jackson erinnerte sich an seine Ankunft in Little Gaddesden vor etwas mehr als einem Jahr. Harold Stamford hatte ihm das abseits gelegene Häuschen besorgt – gerade das richtige für einen Junggesellen, der sich zweimal pro Woche eine Aufwartefrau leisten konnte. Aber die konnte er sich nur leisten, weil Stamford ihm das Geld vorgestreckt hatte.

      »Ich will nicht, dass du irgendwelche Sorgen hast«, hatte er ihm gesagt. »Du sollst nur an deine Arbeit … an deinen Roman denken.«

      Der dunkelhaarige, lebhafte, unglaublich enthusiastische Harold Stamford war ihm wie ein Gott erschienen. Er hatte alles, was man sich wünschte: Reichtum, eine wundervolle Frau, ein reizendes

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