Charles Finch: Lautlos fiel der Schnee. Thomas Riedel

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Charles Finch: Lautlos fiel der Schnee - Thomas Riedel

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Kennedy hing die Hörmuschel am Wandtelefon ein und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus: »Wie schön. Eine Unannehmlichkeit weniger!«

      Stanley, ihr sechzehnjähriger Sohn, blickte vom dem Schiffsmodell auf, an dem er seit mehreren Monaten eifrig bastelte. Stanley war etwas linkisch und unbeholfen. Körperlich glich er seinem Vater, doch seine Gesichtszüge waren nach denen Paulines geformt. Er sah den Saunders' ähnlich und hatte deren sanften Gesichtsausdruck mit der besorgten Miene.

      »Wer war das?«, wollte er wissen.

      »Elizabeth Cooper«, antwortete seine Mutter. »Sie will Papierhüte, Trompeten und die übrigen Sachen für die Feier besorgen.«

      »Klingt als würde es ein Kinderfest«, meinte Stanley spöttisch und beugte seinen blonden Kopf wieder tief über das Modell.

      Seine Mutter setzte sich in ihrem Lehnstuhl beim Kamin zurecht und nahm Bleistift und Papier zur Hand. Sie wurde von einigen Dorfbewohnern spaßeshalber ›die Listenreiche‹ genannt. Sie liebte Aufstellungen jeder Art. Sie schrieb sie für den Kaufmann, für Dinge, an die sie denken wollte, für Weihnachtsgeschenke fürs nächste Jahr, erstellte sie für Schmutzwäsche, obwohl sie die Wäsche selbst wusch, machte welche für ihre Sommerkleider und wo sie aufbewahrt wurden, Listen von Arbeiten, die der Erledigung harrten. Der einzige Nachtteil ihres Systems war, dass sie keine Liste besaß, auf der sie den Aufbewahrungsort dieser Listen notieren konnte, sodass sie die Tabellen niemals wiederfand, wenn sie sie benötigte. Darum begann sie immer wieder neue Listen anzulegen, bis man, wie ihr Mann abfällig betonte, in ihnen erstickte.

      Natürlich gab es auch eine Liste für die Feier. Namen standen darauf, Speisen, Getränke und Zigaretten, Hinweise wo zusätzliche Teller und Gläser auszuleihen waren, ein Vermerk ›Richter Brown wegen Orchester‹ und ein anderer, mehrmals unterstrichen ›mit Dr. F. sprechen‹. Stanleys Einwurf hatte ihre Aufmerksamkeit für den Augenblick von der Liste abgelenkt. Sie erinnerte sich an die wunderbaren Kinderfeste ihrer Jugend, als das Haus noch ihrem Vater gehört hatte. Alle Leute hatten Major Saunders für einen reichen Mann gehalten, was wohl an dem großen Haus lag. Immerhin hatte es vier Zimmer für die Dienerschaft, einen Stall für Reitpferde, sogar ein Schwimmbassin, Blumen- und einen Gemüsegarten, der den ganzen Ort ernähren konnte. Erst als der Major starb und das Haus seinem einzigen Kind, Pauline, hinterließ, stellte es sich heraus, dass nicht mehr da war als das Haus. Geldmittel waren nicht vorhanden.

      Den größten Schock erlitt Raymond Kennedy, der die Tochter des Majors geheiratet hatte, um nie wieder arbeiten zu müssen. Aber dieser Schock änderte nichts an seinen Zukunftsplänen: Er arbeitete nicht.

      Das Haus wurde allmählich baufällig, weil kein Geld für die erforderlichen Reparaturen da war und weil ihr Mann einfach nicht imstande war, mit Werkzeugen umzugehen. Die Zuleitungen des Schwimmbassins und das Abflussrohr waren verstopft, und man konnte es nicht mehr benutzen. Die Wohnräume leerten sich nach und nach, denn die Möbel von Wert wurden verkauft, wenn man Geld brauchte, und entweder durch Schund oder gar nicht ersetzt. Einige gute Bilder, darunter eines von Elizabeths Vater, die der Major besessen hatte, wurden ebenfalls zu Geld gemacht und halfen über ein paar Jahre hinweg. Darüber war sogar eine Fehde zwischen Raymond Kennedy und Marvin Cooper entstanden. Der Major hatte Cooper angeblich fünfzig Pfund dafür bezahlt, während der Verkauf nur etwas mehr als die Hälfte einbrachte. Paulines Mann behauptete, dass Cooper den Major hereingelegt hatte.

      »Und was soll ich tun, zum Teufel? Sterben, damit das Bild mehr wert ist?«, hatte er lautstark gebrüllt.

      Als der Erlös für die Möbel und Bilder weg war, blieb nichts anderes übrig, als Geld zu verdienen. Diese Aufgabe fiel Stanleys Mutter zu, nicht seinem Vater. Sie nahm Näharbeiten an, kochte Obst ein und lieferte Kuchen und Gebäck. Stanley, der sich oft über das Nichtstun seines Vaters entrüstete, arbeitete nach der Schule für William Chapman auf dessen Hof. Aber das alles war nicht genug. Schließlich war Major Saunders' Tochter gezwungen, sich noch weiter zu demütigen und Mieter ins Haus zu nehmen. Keine ständigen Mieter, sondern zahlende Gäste, die sich im Sommer mit Kricket und Angelsport und im Winter mit Wanderungen durch die Wälder vergnügten. Die meisten waren nett und gern bereit, einen recht hohen Pensionspreis zu zahlen. Sie kochte, wusch, machte die Betten und versuchte, einen Rest der Würde zu bewahren, die Major Saunders' Tochter und Mutter seines Enkelsohnes entsprach.

      Es war nicht leicht, zumal ihr Mann nie ganz nüchtern war und oft bissige Bemerkungen über ihre Tätigkeit und ihre Geduld machte, was seine Zuhörer zum Lachen brachte und Pauline vor Scham erröten ließ. Das hatte erst wieder vor ein paar Tagen zu einer Krise geführt: Stanley war aufgesprungen, bleich und zitternd, und hatte seinen Vater lauthals angeschrien: »Wenn du dich noch einmal über Mutter lustig machst, dann … dann bringe ich dich um!« Darauf wollte ihn sein Vater verprügeln, aber William Chapman war zugegen. Er hatte Stanley nach der Arbeit nach Hause gebracht. Als Kennedy auf seinen Sohn losstürzte, stand Chapman lächelnd zwischen ihnen – und sein Lächeln hatte etwas Bedrohliches. »Der Junge hat recht, Raymond!«, knurrte er. »Deine Witze sind meistens sehr unangebracht!«

      Raymond Kennedy lachte ein wenig gezwungen und kam merkwürdigerweise nicht mehr auf die Sache zurück – selbst nach Chapmans Fortgehen nicht.

      Stanleys Mutter seufzte noch einmal kurz und konzentrierte sich wieder auf ihre Listen. Erinnerungen haben den Nachteil, dass sie einen immer wieder in die Gegenwart zurückführen, dachte sie.

      »Wie könnte man Richter Brown dazu bringen, das Orchester zu stellen, ohne dass es unverschämt klingt?«, fragte sie plötzlich.

      »Du meinst wegen des Geldes?«, hakte Stanley nach.

      Sie nickte. »Alles andere: Essen, Getränke und der Rest soll beigesteuert werden. Aber die Tanzmusik … Sie sagen alle, wir sollen das Cunningham-Trio engagieren … Das kostet halt einige Pfund.«

      Er sah seine Mutter mit einem Lächeln an, das sie auf unangenehme Art an ihren Mann erinnerte. »Hat außer den Stamfords und dem Richter niemand Geld? Könnte man nicht eine Sammlung veranstalten? … Aber ich kann auch zum Richter gehen, wenn du willst. Er ist nett und hat es gern, wenn man ihn besucht. Es ist bestimmt nicht schön, alt und einsam zu sein.«

      »Er ist gar nicht so alt«, warf sie lächelnd ein. »Höchstens fünfzig. Ich habe ihn als junges Mädchen gut gekannt … Seine Leute waren oft bei uns zu Besuch.«

      »Es macht mir nichts aus, ihn zu fragen, Mutter. Ich gehe gern zu ihm. Er leiht mir immer Bücher, und manchmal spielt er eine Partie Schach mit mir. Natürlich bin ich viel zu schwach für ihn. Er ist ein ausgezeichneter Schachspieler. Also, wenn du willst, dann frage ich ihn wegen der Cunningham-Boys.«

      »Das ist lieb von dir, Stanley. Wenn du es ihm sagst, ist es weniger …« Sie unterbrach sich. So oft schon hatte sie ihn um Gefälligkeiten gebeten – so oft alles vertuscht, was ihren Mann betraf … »Und dann ist da noch etwas«, fuhr sie fort. »Dr. Finch.«

      »Was ist mit dem Doktor?«

      »Er kennt doch all die Leute gar nicht, und er ist hergekommen, um sich auszuruhen … Und er ist … ein bisschen sonderlich …«

      »Findest du. Ich mag ihn und sonderlich ist er auch nicht«, widersprach Stanley ohne vom Modellschiff aufzublicken. »Ich finde ihn richtig nett.«

      »Oh, … ich will nicht sagen, dass er nicht nett ist«, meinte sie. »Aber er sagt oft so sonderbare Dinge. Neulich, als ich meine Einkaufsliste verloren hatte, fragte ich ihn, ob er sie gesehen hätte. Er hat erwidert: ›Wenn Sie sich erinnern können, warum Sie sie verloren haben, dann werden Sie sich erinnern, wo Sie sie hingetan haben.‹ Das ist natürlich

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