Charles Finch: Lautlos fiel der Schnee. Thomas Riedel
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Читать онлайн книгу Charles Finch: Lautlos fiel der Schnee - Thomas Riedel страница 6
»Danke, aber ich muss zurück zu meinen eigenen Kohlrüben«, entgegnete Chapman.
»Diese reichen Bauern! Denen ist es bei uns einfachen Menschen nicht gut genug!«, maulte Elizabeths Vater. »Und dann steht er dumm herum … Tun Sie was! Gehen Sie fort oder kommen Sie herein!«
»Ich komme ein anderes Mal vorbei«, lachte Chapman. »Gute Nacht, Elizabeth.«
»Gute Nacht, William, und hab lieben Dank fürs Mitnehmen.«
»Immer zu Ihrer Verfügung, Miss!«, grinste er und tippte mit zwei Fingern an seine Hutkrempe. »Bis bald!«
Sie wartete noch, bis er mit seinem Gespann um die nächste Biegung verschwunden war. Dann drehte sie sich um und schritt mit ihren Paketen langsam den Pfad zum Häuschen hinauf.
***
Kapitel 6
Marvin Cooper nahm seiner Tochter die Pakete ab und trug sie in die kleine Küche. Er war ein großer, breitgebauter Mann, dem der graue Vollbart und die buschigen Brauen ein recht grimmiges Aussehen verliehen. Dieser Eindruck wurde von den grauen Augen mit dem durchdringenden Blick noch verstärkt. Das Häuschen der Coopers war nicht für Marvin nach Maß erbaut worden. Er musste sich immerzu bücken, wenn er durch die Türen ging, und wenn er es einmal vergaß, schlug er sich den Schädel an, sodass er die englischen Architekten im Allgemeinen und das Haus im Besonderen häufig verfluchte.
In den kleinen Räumen befand sich ein Mischmasch von Möbeln, die meisten davon in schlechtem Zustand. Er konnte noch so oft versprechen, die Sprungfedern des Polsterstuhls zu ersetzen oder das wackelnde Tischbein anzuleimen – sobald das Tageslicht anbrach, vergaß er alles und rannte in sein Atelier, das er am Nordende des Hauses angebaut hatte. Seine Tochter hielt den größten Teil des Hauses einigermaßen in Ordnung, nur das Atelier war für sie tabu. Stapel von Journalen, ausgedrückte Farbtuben, zerbrochene Pastellkreiden, Palettenmesser, leere Tabakdosen, das alles lag in buntem Durcheinander herum. Elizabeths Vater hatte nur zwei Interessen im Leben: seine überschwängliche Liebe für die Arbeit und seine fast ebenso leidenschaftliche Liebe für seine mutterlose Tochter. Aber es fiel ihm schwer, seine Gefühle auszudrücken. Wenn er etwas besonders zart anfassen wollte, zerbrach es zumeist in seinen riesigen Händen. Seine Finger, die auf dem Zeichenbrett die feinsten, zartesten Linien bilden konnten, waren auf allen anderen Gebieten rau und ungeschickt. Wenn er versuchte, seine Gefühle zu äußern, war das Ergebnis zumeist ein heftiger Angriff auf alle, die sein Kind unglücklich machen könnten.
»Die Kennedy, diese idiotische Gans, kam vorbei«, berichtete er und duckte sich, um ins Wohnzimmer zu gehen, wo seine Tochter ihre Stiefel auszog. »Es scheint, dass Harold Stamford zurückkommt ... Wusstest du das?«
»Ja«, antwortete sie und betrachtete angestrengt die Schnalle ihres Schuhs.
»Diese verdammte Kuh tut immer gerade das, was man von ihr erwartet«, fuhr ihr Vater fort. »Jetzt will sie doch tatsächlich eine Willkommensfeier geben.« Er sprach das Wort ›Willkommensfeier‹ aus, als bezeichnete es eine besonders teuflische Tortur. »Sie lässt anfragen, ob du ihr bei den Vorbereitungen helfen willst. Ich habe ihr meine Meinung gesagt … Ich habe ihr gesagt, dass …«
»Ach, Vater!«, unterbrach sie ihn seufzend.
»Ich will verdammt sein, wenn ich dich helfen lasse, eine Feier zu organisieren, damit die verfluchten Klatschbasen herumsitzen und aus dir Hackfleisch machen können!«
»Vater! Bitte!«, mahnte sie müde. »Siehst du nicht ein, dass ich helfen muss? Konntest du nicht mir die Entscheidung überlassen?«
Marvin Cooper zerknüllte das Taschentuch, das er hervorgeholt hatte, um sich über seine Stirn zu wischen. »Haben diese Leute denn überhaupt Taktgefühl? Schweine sind sie! Alle! Nichts als widerliche Schweine!«
»Aber Vater! Wir leben hier und ich kann mich nicht ausschließen. Das würde ihnen doch nur noch mehr Stoff zum Klatschen geben. Und du hilfst mir gar nicht, wenn du ihnen laufend sagst, was du denkst.«
»Es hat nie etwas geholfen, wenn ich meine Gedanken verstecken wollte«, meinte er. »Es gelingt mir einfach nicht. Man sieht es meiner Nase sofort an.«
Wider Willen musste sie lachen. »Ja, stimmt. Du weißt gar nicht, wie recht du damit hast!«
Ihr Vater versuchte, eine seiner unvermeidlich verstopften Pfeifen mit Tabak zu versorgen, was ihm aber nicht gelingen wollte. »Diese Kennedy hat sich natürlich nicht zu fragen getraut, aber ich habe es gespürt, wie sie vor Neugierde platzt. Die will natürlich wissen, wie du auf die Neuigkeit reagierst. Wie ich darauf reagiere, das habe ich ihr gesagt: dass es mir schnurz und piepe ist, ob dieser vermaledeite Stamford zurückkommt oder nicht. Es ist zu spät!«
»Ach, Vater!«
»Aber so ist es doch!«, erklärte er und folgte ihr in die Küche, wo sie begann, das Abendessen zu bereiten. Er setzte sich auf eine Ecke des Küchentisches und nahm ihr den größten Teil der Arbeitsfläche weg. »Ich frage mich halt nur, was dieser Kerl von einem Jackson jetzt tun wird?«
Sie machte Feuer. Dann holte sie die Bratpfanne hervor und packte die beiden Schweinekoteletts aus, ohne weiter aufzusehen.
»Ich habe Kenneth auf dem Marktplatz getroffen«, ließ sie ihn wie nebenbei wissen. »Er wollte wissen, ob er herkommen darf.«
»Du hast ihm natürlich erklärt, dass er sich zum Teufel scheren soll, oder?«
»Nein, habe ich nicht. Ich habe ihm gesagt, dass er kommen könne.«
»Elizabeth, … Liz, meine Kleine, … bist du vollends verrückt? Hast du denn überhaupt keinen Stolz?«
»Aber Kenneth ist sehr unglücklich, Vater … Und er hat keine Freunde hier. Ich bin doch seine einzige Freundin … Ich muss ihm helfen.«
»So wahr ich hier sitze, mein Kind«, rief er, »wenn Kenneth mit seinem Gewinsel herkommt, breche ich ihm das Genick … Das ist mein Ernst!«
»Das wirst du ganz gewiss nicht tun, Vater!«, lachte sie. »Vergiss nicht, dass ich ihn eingeladen habe.«
Er glitt vom Tischrand herunter, packte sie mit seinen großen Händen an den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. »Ja, liebst du den Burschen denn immer noch, Elizabeth?«
»Ja, Vater«, antwortete sie daraufhin schlicht. »Ich glaube auch nicht, dass man plötzlich aufhören kann, jemand zu lieben, nur weil er einem wehgetan hat.«
Cooper seufzte. Er packte seine Tochter fester und drückte sie an sich. »Verdammt, Kind! Ich kann es nicht aushalten, wenn man dir weh tut!«
Sie schaffte es nicht direkt zu antworten, sonst hätte er die Tränen in ihrer Stimme gehört. Schließlich entzog sie sich ihm. »Du bist wirklich süß, Vater. Nun pass mal einen Augenblick auf die Koteletts auf, ja?«
»Wohin gehst du?«
»Ich muss Pauline Kennedy anrufen und ihr sagen, dass ich gern bei der Feier helfen will.«
Er sah ihr nach, hob seine riesige Faust und schlug auf den Küchentisch. »Verflucht … verdammt und verteufelt!« Er achtete nicht auf den Teller, der dabei zu Boden fiel und klirrend zerbrach.