Diez Hermanas. Georg Vetten

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Diez Hermanas - Georg Vetten

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Barbara Butcher ist die Tochter einer Bekannten meiner Mutter«, erklärte Mikel. »Ihr Sohn Ben verschwand vor einem Jahr gemeinsam mit drei Freunden, als sie sich vom Sportunterricht auf den Heimweg machten. Niemand hat je wieder etwas von ihnen gehört. Die Jungs waren zwischen sieben und acht Jahren alt. Könnt ihr euch diese Verzweiflung vorstellen? Seitdem schreibt Mrs. Butcher Betroffene an. Die Veranstaltung soll so etwas wie ein konstituierender Auftakt sein. Barbara Butchers psychischer Zustand lässt es allerdings nicht zu, die Gesamtverantwortung zu tragen. Seit etwa zwei Monaten hält nun eine Griechin das löchrige Netzwerk zusammen. Sie wird als Gastrednerin erwartet. Immer wieder verschwinden Kinder und diese Organisation bemüht sich um Aufklärung. Da kann selbst ein konservativer Arsch keine Einwände haben.«

      »Da hast du recht. Das begreife ich auch nicht.« Sibel seufzte und legte eine neue CD ein.

      Zehn Minuten später, als Manu Chao's 'Je ne t'aime plus' aus den Boxen säuselte, klingelte es an der Wohnungstüre. Sibel erhob sich bedächtig, schaute durch den Sucher, entriegelte die Tür und begrüßte einen sichtlich aufgebrachten Bob. Er brummte ein ‚Hi‘ in die Runde und schnauzte lautstark die Nase. Bob war ein untersetzter Typ Mitte zwanzig. Seine halblangen, feuerroten Haare trug er zum Zopf gebunden und kaute sichtlich erregt auf einem Kaugummi. Er sah aus wie das Abziehbild eines typischen Iren. Sibel bot ihm ein Glas an.

      »Willkommen zur 'du glaubst nicht, was mir heute alles passiert ist'-Gruppe!«

      »Willkommen zu unserer konspirativen kleinen Runde«, frotzele Steve. »Wir decken hier und heute eine globale Verschwörung auf. Die Aliens werden uns angreifen. Doch padapapapadapapapaaaah kommt in allerletzter Sekunde die Kavallerie um die Ecke gebrettert und rettet die Welt.«

      Sibel verdrehte die Augen zur Decke und deutete auf die Akten:

      »Alles nur Spinnerei?«

      »Ich weiß ja nicht, um was es hier geht«, schaltete sich Bob ein. »Doch mir ist echt nicht nach Scherzen zumute!«

      »Erzähl, was ist los!«

      »Es geht um 251011M9.«

      »Was ist los, mit ihm?«

      »Du hast mich gebeten, ein Auge auf ihn zu werfen. Hast mir erzählt, er glaube, Arzt zu sein und, dass er sich verfolgt fühlt.«

      »Richtig. Er verriet mir, dass er mittels nicht frei gegebener Psychopharmaka Experimente an Kinder durchführen sollte.«

      »Seine Erinnerung scheint zurückzukommen. Er hat sich mir anvertraut«, raunte Bob. »Er sprach von einer Organisation, die Experimente im Bereich der Gehirnmanipulation durchführt, um Menschen aus dem Verkehr zu ziehen. Auch an Privates konnte er sich erinnern. Er glaubt, Single zu sein und in Brighton als Arzt zu praktizieren. Er habe Todesangst. Er glaubt, man wolle eine transorbitale Lobotomie bei ihm durchführen!«

      »Was?« entfuhr es Sibel. »Wo? In unserer Klinik?«

      »Ja«, antwortete Bob. Er war mittlerweile kreidebleich.

      »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Steve und zupfte nervös an seiner Nase.

      »Das ist eine neurochirurgische Operation und schon lange aus der Mode gekommen. Diese Therapie wurde durch Psychopharmaka ersetzt. Oh Gott, so eine brutale Scheiße. Das kann nicht sein!« Sibel war aufgebracht.

      »Was passiert dabei?« fragte Mikel neugierig.

      »Es ist eine Gehirn-OP, bei der die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen sowie Teile der grauen Substanz durchtrennt werden.«

      »Das ist doch Papperlapapp. Wir sind doch hier nicht in Frankensteins Laborküche«, stöhnte Steve.

      »Da bist du leider falsch informiert, mein Lieber. Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, Frankenstein war immer unter uns. Ich schaue noch mal genau nach, antwortete Sibel und griff nach einem medizinischen Schinken.«

      Nach zwei, drei Minuten peinlichen Schweigens, wurde sie fündig:

      »Hier: Die Hirnoperationstechnik wurde von dem Italiener Mario Fiamberti und dem Portugiesen António Egaz Moniz vorangetrieben. 1936 wurde sie erstmals am Menschen durchgeführt. 1949 erhielt Moniz den Nobelpreis für Medizin. Anfang der 40er Jahre entwickelte vor allen Dingen der Amerikaner Walter Freeman die Methode zu einer populären Standardtechnik der Psychiatrie. Wurde bis 1955 in den meisten Industriestaaten eingesetzt«, las Sibel weiter. »Die massenhaften psychischen und psychiatrischen Erkrankungen waren in den USA eine Folge des Zweiten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise ...«

      »Die haben also operiert, was das Zeug hält?« fragte Bob ungläubig.

      »Hier steht«, fuhr Sibel weiter fort: »Walter Freeman schrieb ohne Beschönigung: Die Psychochirurgie erlangt ihre Erfolge dadurch, dass sie die Fantasie zerschmettert, Gefühle abstumpft, abstraktes Denken vernichtet und ein roboterähnliches, kontrollierbares Individuum schafft. Walter Freeman ließ jedoch auch nach der Einführung von Psychopharmaka und der weitgehenden Ablehnung der irreversiblen operativen Methoden in der Praxis nicht von seiner transorbitalen Lobotomie ab. Sein Wille, die Methode zu verbreiten und Kollegen zu überzeugen, erreichte dabei bizarre Auswüchse: So operierte er vor den Augen zahlreicher Zuschauer sowohl im Fernsehen als auch in Hörsälen Patienten im Akkord (mehrere Dutzend pro Tag). Zeit seines Lebens pries er die Lobotomie als optimale Behandlungsform und operierte bis zu seiner Pensionierung 1962 weiter, insgesamt ca. 3600 Patienten.« *P.R. Breggin: Elektroschock ist keine Therapie, 1989, Urban & Schwarzenberg, S. 175.

      »Und das ist auch heute noch erlaubt?«

      Mikel schien wie vor den Kopf gestoßen.

      »Verboten ist es jedenfalls nicht, so weit ich weiß.« Sibel kaute nervös auf einer Haarsträhne. »Hier steht es: Bei der Lobotomie werden die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontlappen sowie Teile der grauen Substanz durchtrennt – und zwar im Nerotex-Abschnitt. Angewendet zur Schmerzausschaltung, bei Psychosen und Depressionen. Folgen: Persönlichkeitsveränderung mit Störung des Antriebs und der Emotionalität.«

      »Am Hirn herumschnipseln, wo gibt’s denn so was?« Steve verzog angewidert das Gesicht.

      »Das ist ganz normal«, erwiderte Sibel. »Heute macht man das mit Hilfe von Lasern, Ultraschallaspiratoren und Neuronavigationssystemen. Das Laserzielgerät wird dabei am Mikroskop angeschlossen. Setzt man vor allen Dingen bei Gehirntumoren und Hirnblutungen ein. Wie immer kann man diese Methode zu guten Zwecken nutzen oder zu schlechten missbrauchen. Doch eine Lobotomie verheißt meines Erachtens nichts Gutes!«

      Sibel musterte Bob nachdenklich. »Was hat Löwenherz noch gesagt?«

      »Er fantasierte von Manipulationen apokalyptischen Ausmaßes. Auf allen Ebenen haben sie uns bei den Eiern, sagte er wortwörtlich. Auch hier in eurer Klinik sind sie unterwegs. Immer wieder wiederholte er den Begriff Diez Hermanas. Keine Ahnung, was er damit andeuten wollte, oder was es damit auf sich hat.«

      »Hmmm,« Sibel schaute nachdenklich. »Diez Hermanas ist Spanisch und heißt übersetzt zehn Schwestern.«

      »Noch jemand einen Zug?« fragte Steve, der liegend mit dem Kopf unter den Couchtisch abgetaucht war.

      Erneut entstand eine längere Redepause.

      »Sie müssen es sein«, durchbrach schließlich Sibel das Schweigen. Diez Hermanas. Zehn Schwestern.

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