Unvergängliches Blut - Sammelband. S.C. Keidner
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Читать онлайн книгу Unvergängliches Blut - Sammelband - S.C. Keidner страница 4
Sie starrte ihn an.
»Wie heißt du?«, versuchte er es wieder.
Ihre Unterlippe zitterte.
Vidar kam zurück und hievte sich den Leichnam des Mannes über die Schulter.
Das Mädchen stand auf, den Blick fest auf ihren toten Vater gerichtet, und wollte ihm folgen.
Maksim erhob sich.
Sie zuckte zusammen und starrte zu ihm hoch. Er streckte ihr die Hand entgegen, dieses Mal vorsichtiger als beim ersten Versuch. »Komm. Wir reiten zusammen zur Festung. Und nehmen deine Eltern mit.«
Sie sah wieder in die Richtung, in die Vidar gegangen war. Dann ergriff sie zögernd seine Hand.
Maksim tat einen Schritt, dann noch einen. Das Mädchen folgte ihm und stolperte über Grasbüschel. Er hielt sie fest aber sanft.
Als sie am Pfad ankamen, hatte Vidar die Leichen auf den Packpferden festgeschnürt und sich auf seinen Fuchs geschwungen. »Es wird Zeit«, meinte er mit einem Blick in das Grau des Nebels, das sich zusehends zu lichten begann.
Maksim nickte und sagte zu dem Kind: »Du wirst bei mir auf dem Pferd reiten, in Ordnung?«
Sie musterte ihn und streckte ihre freie Hand, berührte sein Pferd, einen wendigen Rappen, am Bein. Das Tier senkte seinen Kopf und roch mit einem leisen Schnauben an ihrer Hand.
»Er heißt Perun«, sagte Maksim.
Das Mädchen streichelte vorsichtig Peruns weiche Nüstern.
»Willst du auf ihm reiten?«
Sie nickte scheu.
Maksim fasste sie um ihre Mitte und setzte sie in den Sattel. Dann schwang er sich hinter ihr auf den Hengst. Sie wandte sich um und sah ihn mit großen Augen an, als er einen Arm um sie legte, um sie zu halten. Perun trabte an. Vidar folgte mit den beiden Packpferden.
»Perun mag dich«, erklärte Maksim lächelnd. »Sonst würde er dich nicht auf sich reiten lassen.«
Sie drehte sich nach vorne und flüsterte etwas.
»Was hast du gesagt?«
»Ich mag Perun auch«, sagte sie mit dünnem Stimmchen.
»Das ist schön. Wenn wir auf der Festung sind, dann kannst du helfen, ihn zu füttern.«
Sie schwieg.
»Verrätst du mir jetzt deinen Namen?«
»Rodica«, sagte die Kleine leise. »Ich heiße Rodica.«
Kapitel 1
In all der Zeit, diesen dreizehn Wintern, seit sie von Maksim hierhergebracht worden war, hatte sie die Festung nicht verlassen. Nicht, dass sie den Wunsch danach verspürte. Wie alle Sklaven auf D’Aryun fühlte sie sich innerhalb der dicken Mauern sicher. Draußen, da lagen die Berge mit ihren Gefahren. Es gab Lawinen, Steinschläge, Sklavenjäger, Räuber, Bären, Wölfe. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Ihre Eltern waren den Wajaren zum Opfer gefallen. Sie hatte nur vage Erinnerungen an sie, meinte, sich langer Wanderungen durch Wälder zu entsinnen sowie Ausblicken von felsigen Höhen über grenzenlose Ebenen, auf denen hohe grün und blau schimmernde Gräser im Wind tanzten. Und einer Nacht, in der der Regen herunterprasselte und die von Todesschreien erfüllt war.
Rodica zwängte sich zwischen zwei Zinnen der Wehrmauer, um einen besseren Blick auf die Felsen und, weit unten, den von Wäldern umgebenen See zu erhaschen. Der Mond warf ein fahles Licht auf das Wasser, das kalte Böen in Wellen ans Ufer trieben. Auf dem zur Festung führenden Weg konnte sie nichts erkennen. Er lag im Dunkel der Felsen.
Enttäuscht schob sie sich zurück. Maksim, der junge Herr, wie sie sich pflichtschuldig berichtigte, wurde heute Nacht zurückerwartet. Er war vor vier Wintern zu einem der Stämme im Osten gereist, um seine Kriegerausbildung zu vollenden, und seitdem nicht mehr auf der Festung gewesen.
Sie freute sich, ihn wiederzusehen und seine Geschichten zu hören. Schon häufig war sie mit ihm in Gedanken durch die Berge geritten, hatte Schlachten gekämpft, war als Späher unterwegs gewesen. Was er wohl jetzt zu berichten wusste?
Ungeduldig spähte sie in die Dunkelheit. Sie stand neben dem Torhaus. Rechts von ihr verlief die aus dem dunklen Stein des Gebirges erbaute Wehrmauer in einem lang gezogenen Bogen um den mit Kalksteinen gepflasterten Hof. Vier Türme überragten die anderen Gebäude und ermöglichten einen weiten Blick in die Berge. Im hinteren Teil des Hofs schmiegte sich der große Wohntrakt mit Küche, Brunnen und Waschhaus an die Mauer. Die Stallungen und Werkstätten schlossen sich an das Torhaus an. Neben den Ställen lagen die von einem niedrigen Steinwall umgebenen Gärten der Festung. Vor dem Wall befand sich der Kampfplatz der Krieger, von dem das Klirren aufeinanderprallender Schwertklingen zu ihr wehte.
Ein Pferd wieherte in der Düsternis der Felsen unter ihr. Eines seiner Artgenossen in den Stallungen antwortete ihm.
»Da sind sie!«, sagte sie aufgeregt und lehnte sich weit zwischen den Zinnen hinaus.
»Vorsicht, Mädel«, knurrte der Wachposten, ein bärbeißiger Riese mit einem zotteligen Vollbart. »Nicht, dass du runterfällst.«
»Red’ keinen Unsinn, Warin«, entgegnete sie. »Hast du das Pferd nicht gehört?«
»Gehört und gesehen.« Warin grinste. »Und jetzt ab mit dir! Sag denen unten im Hof, dass der junge Herr gleich da sein wird.«
»Jawohl, großer Wächter!«, erwiderte sie zackig. Warins Lachen hallte ihr nach, als sie die steinernen Stufen, die neben dem Torhaus in den Hof führten, hinunterlief. Eine tiefe Freundschaft verband sie, seit Rodica vor vielen Wintern zum ersten Mal die Mauern erklettert hatte.
»Maksim ist gleich da!«, verkündete sie den Kriegern und einigen Sklaven, die das Pflaster ausbesserten.
»Das heißt: Der junge Herr ist gleich da!« Emese, die mit einem leeren Korb in der Hand über den Hof geeilt kam, schüttelte den Kopf. Auf ihr faltiges Gesicht, umrahmt von lockigen grauen Haaren, legte sich ein kummervoller Ausdruck. »Warst du etwa wieder oben auf der Mauer?«
»Ich wollte nur sehen, wann Maks .... der junge Herr kommt.«
Emese seufzte. »Ist ja schon gut. Aber nicht, dass du mir noch von der Mauer fällst.«
Rodica hängte sich bei ihr ein. »Du musst dich nicht ängstigen. Mir passiert schon nichts.«
Emese hatte sie aufgezogen und machte sich ständig Sorgen, was zugegebenermaßen nicht ganz unberechtigt war. Zu gern kletterte Rodica auf Mauern, um die Aussicht von dort zu genießen, oder verkroch sich, wenn sie allein sein wollte, in den nasskalten Gängen der Verliese, in denen es nach Moder und fauligem Wasser roch.
»Du bist so ungestüm! Das wird eines Tages noch dein Tod sein!«
»Das wird es nicht. Ich ... Maksim!«
Hufe klapperten auf dem