DAS GRANDHOTEL. Ursula Hass
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Dann wurde es zunächst wieder dunkel im Saal, und auch der Fernsehapparat war wieder dunkel wie der Himmel und die Nacht draußen vor der Tür, wo nur der weiße Schnee im Licht des Mondes glänzte. Ruckartig ging das warme Licht am Kandelaber an und überall gab es nur bestürzte Gesichter. Die Gäste hatten nur diesen geheimnisvollen Namen ‚Thilo‘ oder ‚Timo‘ vernommen. Wer das sein sollte, hatte nicht mal Ulla Sommer gehört. Mit herausfordernden Blicken musterte sie ihr Umfeld und sagte immer wieder diese beiden Namen laut vor sich hin. Den anderen fiel es schon auf. Aber keiner hielt sie zurück.
Der Hoteldirektor lud dann wieder zum Essen ein.
„Timo oder Thilo!, das ist hier die Gretchenfrage“, sagte Ulla Sommer laut, damit es ja jeder hören konnte. Sie hatte nämlich dieses Affentheater mit dem Neonlicht satt. Dieses grelle Neonlicht wollte sie am liebsten abstellen, es schadete ihren Augen, die seit dem Autounfall in Mitleidenschaft gezogen waren. Manchmal fing das rechte Auge zu tränen an und dann wieder das linke. Dann sah sie nur verschwommen ihre Umgebung. Und das nervte sie gewaltig.
„Wissen Sie, was dieser Name zu bedeuten hat?“, warf sie in die Tischrunde ein, als alle beisammen saßen.
Am Tisch gab es auch nur einsilbige Gespräche, denn alle hingen ihren Gedanken nach oder diesen beiden Namen, mit denen niemand etwas richtig anfangen konnte und die dieser Ölmillionär ihnen mit einem merkwürdigen Unterton genannt hatte.
Serviert wurden dann von Vanessa und Vincent eine badische Hochzeitssuppe mit dreierlei Einlagen, wie Eierstich, Markklößchen und Suppennudeln. Dazu wurde ein Kerner, ein vollmundiger Weißwein aus Württemberg kredenzt.
„Das sind wir unserem Sponsor, dem Millionär, einfach schuldig, auch einen Württemberger zu servieren“, hörte Ulla Sommer den Hoteldirektor am Nebentisch sagen. „Kenner trinken Württemberger, diesen Slogan kenne ich doch!“, murmelte sie gesprächsbereit zu ihren Nachbarn hin. Doch reagiert wurde gar nicht.
Als Hauptgang gab es einen pochierten Steinbutt mit Beurre. Dazu wurde ein Silvaner aus der Ortenau gereicht. Dieser passte wunderbar zum pochierten Steinbutt, weil er leicht und fruchtig war. Ulla Sommer fand diesen Wein sehr ansprechend, denn sie kannte sich ja mit den Weinen aus, war sie doch früher schon mal in der Organisation des Offenburger Weinmarkts oder der Badischen Weinmesse tätig gewesen.
Langsam kehrte bei diesen Köstlichkeiten bei der OIL-Gruppe wieder etwas Leben ein und hin und wieder hörte man auch ein leises Kichern. Zu späterer Stunde war es dann auch ein lautes Lachen. An Winterschlaf war nicht zu denken, fand Ulla Sommer.
Zum Nachtisch gab es ein wunderbares Soufflé mit Früchten, Eis und Sahne und dazu eine Gewürztraminer-Auslese. Ein wirklich einmaliges Bukett zeichnete diese Auslese aus, die honiggelb im Glas schlummerte und auf der Zunge wie ein samtig-warmes Zückerle schmeckte. Ulla musste unwillkürlich an ihre Kindheitserinnerung mit einer süßen, rahmigen Speise in der Dose, dem ‚Milchmädchen‘ denken, das zum Nachtisch oder für den Kaffeegenuss gereicht wurde. Dieses ‚Milchmädchen‘ weckte in ihr Heimatgefühle und irgendwie brachte diese Auslese auch so eine wunderbare Süße auf ihren Gaumen, die so ein wohlig-warmes Gefühl bei ihr auslöste. „Ach, wie schön wäre es jetzt im Paradies zu sitzen und dazu diese herrliche Gewürztraminer-Auslese zu genießen. Ihr Mann Wilhelm mochte diese edelsüßen Weine nicht. Viel davon trinken kann man nicht, aber einfach daran nippen, wie an verbotenen Früchten, das war schon ein himmlischer Genuss.
„Ob es diese ‚Milchmädchen-Dose‘ überhaupt noch gibt?“, fragte sie sich und ein paar Tränen traten in ihre Augen, als sie an ihre Jugendzeit dachte. Doch zu ihrer Zufriedenheit hatten die paar Tränentropfen niemand bemerkt, denn alle waren mit dieser Gewürztraminer-Auslese beschäftigt, die die Zunge vielleicht weiter öffnete.
So machten alle nur verzückte Augen, keiner sprach ein Wort und diese ausgezeichnete Auslese löste aber auch nicht die Zunge, obwohl dies in dieser vertrackten Situation vielleicht besser gewesen wäre. Keiner dachte mehr an den toten Axel Lehmann, der in diesem Eiskeller lag und keiner wollte auch nur daran erinnert werden an diesen Namen Thilo oder Timo. Diese Gewürztraminer-Auslese hatte es auch in sich. Der Wein benetzte nur zaghaft die Lippen von Ulla Sommer.
Den Gästen ging es, was das königliche Menü und die dazu ausgewählten Weine betraf, einfach hervorragend, wie sie feststellte. Doch was in ihren Seelen vorging, das konnte niemand erkennen. Selbst wenn ein Seelsorger hier gewesen wäre, er hätte nie sagen können, ob die Menschen ausnahmsweise alle glücklich waren. Selbst die herrlichsten Speisen und die bestens ausgesuchten Weine hatten nicht vermocht, die Seelen dieser Gäste zu lockern. Darauf hatte wohl der Millionär gehofft, gewartet und spekuliert, überlegte sie weiter.
„Dieser Koch ist geradezu genial“, murmelte sie zu den Herren Bloch, Rehlein und Neurer.
Alle nickten nur mit ihren Köpfen und widmeten sich der herrlichen Nachspeise und dieser einmalig genussvollen Gewürztraminer-Auslese.
Als es gerade so schön und wohlig-warm in diesem Grand Salon war, alle Gäste nun gemütlich beisammen saßen, stürzte wieder dieser unbeholfene Hoteldirektor unheilverkündend herein. Wie ein Unglücksrabe wirkte er mit seiner leichenblassen Miene, die nur auf eine rabenschwarze Botschaft schließen ließ.
Ulla Sommer sah nur den Hoteldirektor taumelnd hereinkommen, oder taumelte sie selbst ein bisschen von dieser glückseligen Auslese, als sie aufstehen wollte beim Anblick des Hoteldirektors. Sie wollte schon einen Schrei ausführen, als fast ihr letztes Stück Soufflé noch in ihrem Hals steckengeblieben war. Dann musste sie kräftig husten und niesen und fast wäre ihr dieses letzte köstliche Soufflé-Stück auch noch aus dem Mund gefallen.
Sie hob nur leicht ihren Finger und deutete auf Monsieur Laurent. Doch da hatten auch schon die anderen Gäste den leichenblassen Philippe Laurent erblickt.
„Es gibt wieder einen Mord!“, flüsterte Laurent nur, der stumm auf einen leeren Platz an Tisch Eins deutete. Wieder fehlte eine Person an Tisch Eins.
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass überhaupt jemand an ihrem Tisch aufgestanden war. Sie war so mit ihrem Nachtisch und der Auslese beschäftigt gewesen und mit ihren Gedanken, die sie mit der Badischen Weinmesse in Erinnerung brachte, dass sie überhaupt nichts bemerkt hatte. Sie schwelgte noch ein bisschen in ihren Erinnerungen, die ihr noch geblieben waren.
Fast wie damals bei dem herrlichen Menu oenologique bei der Badischen Weinmesse!, dachte sie nur. Doch dann wurden ihre Gedanken durch den leichenblassen Monsieur Laurent abrupt unterbrochen.
„Das ist doch Arnim Hermann, der fehlt“, bemerkte sie leise zu ihrem Nachbarn Albert Rehlein. Sie starrte nur auf seine im Rollstuhl sitzende Frau Renate, die anscheinend auch nichts mitbekommen hatte.
„Mein Mann ist nur kurz auf die Toilette gegangen!“, entgegnete Renate Hermann und schaute bestürzt und etwas vorwurfsvoll zu den Anwesenden, als hätten sie Schuld an diesem zweiten Mord.
„Wer sollte denn meinen Mann umbringen wollen?“, ereiferte sie sich.
Auch Ulla Sommer dachte, dass dieser Arnim Hermann doch eine unscheinbare Person war mit seinem Lockenkopf. Weshalb sollte man diesen Mann umbringen, war auch ihr erster Gedanke?
Wie am Abend zuvor sprangen wieder Rehlein und Bloch auf und wollten den toten Hermann sehen.
Dann