Die Kunst der kleinen Lösung. Klaus Henning

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Die Kunst der kleinen Lösung - Klaus Henning

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gab. Dass man Brücken sprengen würde und welche und dass es im ganzen Land verteilt geheime Nachschublager gab. Außerdem gab es konkrete Pläne, wie man die deutschen Autobahnen nutzen wollte, wie man zivile Lkw und Supermärkte im Kriegsfall einsetzt und so weiter. Alles war nur eine Frage des Nachschubs.

      Zwölf verschiedene Muttern von zwölf Zulieferern

      Ich war also angehender Offizier bei den Starfightern und für kritische Fälle des Nachschubs verantwortlich. Und da hatten wir ein Problem: Es gab Muttern im Nachbrenner der Turbinen, die einer Betriebstemperatur von 3000 Grad nicht standhielten und mit dem Gewinde verschmolzen. Natürlich Zollgewinde und nicht metrisches Gewinde. Ein Problem, das nicht unbedingt zu Abstürzen geführt hatte. Aber wenn man beim Check vor dem Abflug verschmolzenes Material findet, kann die Maschine nicht starten, gibt es keine Startfreigabe. Ohne eine Mutter, die 3000 Grad aushält, kein Start.

      Die Mutter musste 3000 Grad aushalten und ein Zollgewinde haben.

      Die Herausforderung lag in folgender Tatsache: Es gab zwölf verschiedene Muttern von zwölf verschiedenen Zulieferern, darunter auch vier amerikanische. Und keiner wusste, welches die anfälligen Muttern sind, welche Muttern die Hitze aushalten und welche nicht. Es ging nur um eine kleine Mutter, ein kleines Detail. Daraus ergab sich ein großes Problem für den Flieger.

      Als Verantwortlicher für Logistik machte ich mich also auf die Suche nach den richtigen Muttern. Rund 10 000 Ersatzteile waren für den Starfighter gelistet, allerdings nicht im Computer, so etwas wie ein IT-System gab es nicht.

      Damals in den frühen 1960er Jahren waren alle Daten auf Karteikarten geschrieben. Jedes einzelne Ersatzteil hatte eine Karte. Ich sehe den Raum noch vor mir, ein großer Raum, etwa 300 Quadratmeter groß, vollgestellt mit Kisten und Karteikarten, auf denen sämtliche uns verfügbaren Ersatzteile des Starfighters abgeheftet waren. Heute würde dafür vermutlich ein USB-Stick reichen. Und dann habe ich gesucht. Unter Druck. Nach einer einzigen Mutter.

      Sie musste nur die Temperatur aushalten

      Ich besuchte geheime Nachschublager, verglich aus den Schadensberichten, welche Mutter bei welchem Einsatz verschmolz und welche nicht. Ich prüfte, wo und warum welche Mutter verschraubt war. Ich meldete mich bei den Herstellern, fragte nach Eigenschaften und Herstellungsverfahren. So unbedeutend das Ding an sich war, nach dem ich suchte, so fasziniert war ich von dem Gedanken, eine Lösung für das »Mutter-Problem« zu finden. Nach einigen Tagen war ich so weit: Vier Muttern hielten der Temperatur stand, acht Muttern nicht. Also wurde gesucht, wo die acht Mutter-Typen eingesetzt wurden – und man tauschte sie aus.

      Es ging nicht darum, aus welchem Material die Muttern beschaffen sind, auch nicht um deren Form, auch nicht um das Herkunftsland. Der Preis spielte auch keine Rolle. Nein, die Muttern mussten einzig und allein die Schrauben fest- und die Temperatur von 3000 Grad aushalten. Das war ihr Zweck. Es ist zweitrangig, wie sie gestaltet sind, welches Material für sie verwendet wird. Es ist wichtig, dass sie das Ganze möglich machen.

      Die Wirkung des Details auf das Gesamtsystem – darauf kommt es an.

      Damals begann ich ein Gespür für das Detail zu entwickeln. Und für den Zusammenhang zwischen einem relevanten Detail und dem Ganzen. Ich weiß, es ist verführerisch, das Detail optimieren zu wollen. Das habe ich auch später oft genug erlebt. Techniker können da eine ganz besondere Leidenschaft entwickeln. Was ich aber meine, ist das Gespür für das Detail im Zusammenspiel mit dem Ganzen. Bei der Suche nach der richtigen Mutter habe ich genau das verstanden.

      Doch nicht nur auf der sachlichen Ebene hat mich die Zeit bei der Bundeswehr geprägt – sondern auch auf der emotionalen. Denn auch im Umgang mit Menschen darf man das Detail nicht aus den Augen verlieren. Auch da kommt es auf die Wirkung des Details auf den Gesamtzusammenhang an. Man läuft schnell Gefahr, das Ganze aufs Spiel zu setzen.

      Ist schimmeliges Brot ein Problem?

      Als angehender Offizier unterstanden mir Gefreite. Ich achtete auf Sauberkeit. Regelmäßig inspizierte ich ihre Stuben und die Spinde. Ja, ich war da sehr ungemütlich. Ich war noch jung, mir fehlte es an Reife, angemessen mit Fehlverhalten von Menschen umzugehen. Im Spind eines Soldaten machte ich eine wenig angenehme Entdeckung: Er hatte völlig verschimmeltes Brot in seinem Spind. Es lag dort und schimmelte vor sich hin im Kreise anderer Essensreste. Dem Soldaten war es offenbar nicht aufgefallen, es hatte ihn wohl nicht weiter gekümmert, obwohl am Freitag genug Zeit fürs Stubenputzen eingeplant war. Es gab aber einen, den das sehr kümmerte: mich.

      Bei der Zimmerkontrolle. Ich sah den Schimmel sofort.

      Ich tobte, machte den Soldaten zur Schnecke. Was er sich erlaube, was das mit Sauberkeit zu tun habe – und strich ihm die Heimfahrt am Wochenende. Statt in seine Heimatstadt zu fahren, seine Frau und Kinder zu sehen, sollte er die Stube noch mal reinigen und vor allem seinen Spind. Er war deutlich älter als ich, und ich hielt mein Verhalten für eine Demonstration der Stärke in meiner Stellung als angehender Offizier. Vielleicht fühlte ich mich tatsächlich stark. In Wahrheit gefährdete ich unseren Auftrag.

      Heute weiß ich, dass ich alles falsch gemacht habe, was man nur falsch machen kann. Ich habe das Ganze gefährdet. Ich habe mich hinreißen lassen. Gott sei Dank hatte ich einen guten Chef, der mich am darauffolgenden Montag früh zu sich bestellte und mit der Frage konfrontierte: »Sind Sie sicher, dass Ihre disziplinarische Maßnahme vom Freitag unserem Auftrag dient?« Ich stutzte. Was für eine Frage? Und dann kam ich ins Nachdenken.

      Die Aufgabe war nicht, die sauberste Kaserne zu haben.

      Die Aufgabe unserer Einheit war es, dafür zu sorgen, dass die Kampfflugzeuge im Ernstfall einsatzbereit sind. Unsere Aufgabe war nicht, die saubersten Spinde der Kaserne zu haben. Das ist zwar schön, wenn alles sauber ist und nirgends Lebensmittel vergammeln. Für die nationale Sicherheit hatte es hingegen weniger Bedeutung. Zudem habe ich durch meine Strafe das Vertrauen des Mannes missbraucht, habe seine Motivation ordentlich gedämpft – und habe Zorn gesät. Und wozu?

      Ich begann zu verstehen: Die Kernaufgabe und damit der Kernprozess, anders ausgedrückt: der Aufgabenkernprozess bestand darin, dass Kampfflugzeuge einsatzbereit waren. Alles andere waren Nebenprozesse, und die hatten Priorität zwei.

      Kleinkriege als Machtdemonstrationen

      Das sind Situationen, bei denen ich mich heute frage: War das notwendig? War das nicht gefährlich? Sind es nicht genau diese vermeintlichen Kleinigkeiten, die eine verheerende Wirkung entfalten können?

      Es ist nicht wichtig, ob das Brot schimmelt, es ist wichtig, dass die Flugzeuge startklar sind. Dazu muss ich meine Truppe auf meiner Seite haben. Mit diesen Kleinkriegen, die doch nichts anderes sind als Machtdemonstrationen, gefährde auch ich als Vorgesetzter das Ganze. Dieses Verhalten finden Sie häufig, auch in Unternehmen und Verbänden ist mir das begegnet, wenn Vorstände oder Geschäftsführer an einer Kleinigkeit ein »Exempel statuieren«, noch dazu an einer ungeeigneten Kleinigkeit. Empfehlenswert ist das nicht.

      Der Pilot hatte das Bewusstsein verloren

      Das Militär war, wie gesagt, eine in vielerlei Hinsicht prägende Erfahrung. Wir waren die Verteidigungsarmee mitten im Kalten Krieg, der jederzeit eskalieren konnte. Im Grunde war es immer ein Ritt auf der Rasierklinge. Deshalb war die Lage auch häufig angespannt. Die Nervosität war auf allen Seiten spürbar.

      Ich selbst war mit einer Gruppe von Tankwagenfahrern für die Betankung der Flugzeuge verantwortlich, wenn alle Flugzeuge in der Luft waren. Man holte die Maschinen einzeln wie bei einem »Boxenstopp« herunter und betankte sie. Dann starteten sie wieder. Und die Tankwagen holten das Kerosin aus den unterirdischen Lagern in der Nähe unseres Standorts.

      Mir

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