Die Kunst der kleinen Lösung. Klaus Henning

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Die Kunst der kleinen Lösung - Klaus Henning

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ein peinlicher Zustand. Und nicht nur das, es war ein echtes Problem.

      Im Grunde ist es ein simpler Vorgang: Das Essen wird gekocht, kommt aus der Küche, wird auf Teller, Schalen und Tabletts gelegt, diese kommen in silberfarbene Essenswagen, und die wiederum werden im Haus verteilt.

      Doch dann verlor sich die Spur. Die Essenswagen mit den gestapelten Tabletts standen herum, weit mehr als eine Stunde. Jeden Tag kamen die Menüs nicht rechtzeitig zum Patienten. Das sorgte für Verdruss. Aber keiner fühlte sich verantwortlich. Keiner wusste, wie lange die Dinger schon auf den Gängen parkten. Keiner wusste irgendwas. Und wenn das Tablett dann endlich vor dem Patienten stand, das alte Lied: Schnitzel: kalt. Kartoffeln: kalt. Brokkoli: kalt.

      Die IT-Lösung war praktisch schon bestellt

      Der Vorstand meldete sich bei uns. Wir sollten ein Auge darauf werfen. »Woran liegt das?«, wollte der Vorstand wissen. »Das kann doch nicht sein.« Die Beschwerden würden sich häufen. Pflegepersonal und Patienten seien verärgert. Kein Ruhmesblatt für ein Universitätsklinikum. Man wurde unruhig. Das Essen ist ohnehin immer ein Streitpunkt im Krankenhaus. Aber sie hatten schon eine Idee: Für 300 000 Euro wollte man eine neue Software installieren. Diese sollte die Kostlieferung logistisch auf Vordermann bringen. Die IT-Spezialisten hätten ihnen eine sehr gute Lösung vorgeschlagen, hieß es: Eine Essenslogistik-Software, die registriert, wann das Essen die Küche verlässt, wo es sich befindet, wer es bekommt, wann es gegessen wird. Alles ließe sich wunderbar nachvollziehen. Sie waren fast entschlossen, die Software zu installieren. Doch vorher hatte sich der Vorstand bei uns gemeldet. Sie wollten die Sache noch einmal auf den Prüfstand stellen. Wir waren bereits in einigen Krankenhäusern und Gesundheitszentren als Berater tätig und hatten mehr als einmal erlebt, wie die Komplexität einer Klinik Management und Mitarbeiter an den Rand der Verzweiflung bringen kann.

      Im genannten Fall war das komplexe System »Essensversorgung« enorm ins Wanken geraten. Wir als systemische Berater sollten analysieren, was los war und wie das Essen schlussendlich warm und genießbar zum Patienten kommen kann.

      »Warum ist das Essen kalt?« Das war also die Frage, der wir im Team nachzugehen hatten. Wir machten ins in der Klinik auf die Suche nach Antworten. Gleich zu Beginn unseres Einsatzes stießen wir in den 15 Einzelkliniken auf eine Menge Mythen und Märchen, die im Umlauf waren, was das Essen betraf. Natürlich bekamen wir auch Handfestes zu hören: »Die in der Küche schlafen«, hieß es auf den Stationen. Damit war die Richtung klar: Schuldzuweisung. Und so ging es weiter. »Wir machen das Essen pünktlich fertig, der Transportdienst ist zu blöd, die Wagen auszuliefern«, sagten die Köche. Die Küche hatte also auch keine Schuld. Die Schwestern und Pfleger hatten grundsätzlich die Pflegeschüler und Azubis im Verdacht. Die wiederum konnten sich nicht wehren.

      Einfache Frage: »Warum ist das Essen kalt?«

      Und wenn sich die Ärzte wiederholt die Klagen von Patienten und Angehörigen anhören mussten und sie nicht auch noch mit kaltem Essen behelligt werden wollten, beschimpften sie später den Pflegedienst auf der Station – und der wiederum in guter Tradition die anderen Abteilungen: »Auf der Inneren läuft doch vieles nicht richtig – wie immer.« Kurz und gut: Immer sind die anderen schuld.

      Keiner hat Schuld – trotzdem ist das Essen kalt

      Das habe ich als Berater häufig erlebt: Niemals ist die eigene Berufsgruppe schuld. Niemals! Egal ob im Krankenhaus oder in einem Unternehmen. Die Ingenieure geben den Kaufleuten die Schuld. Die Kaufleute den Juristen. Die Vertriebler dem Innendienst. Die Produktionsleute den Entwicklern. Die Ärzte den Pflegern, die Pfleger und Ärzte der Verwaltung. Die Verwaltung dem Vorstand. Der Vorstand dem Betriebsrat.

      Es gibt immer eine Menge Schuldige. Aber leider ganz selten einen Verantwortlichen. Es sind immer erst mal die anderen. Und das wird heißblütig verteidigt. Mit dieser Emotion muss man umgehen, da muss man als Berater erst mal die Ruhe bewahren, sonst wird man konfus. Alles brav anhören, nicken, zum Nächsten gehen. In dieser Situation ist die Lösung weit. Solange das gegenseitige Schuld-in-die-Schuhe-Schieben die vorherrschende Kultur ist, gibt es keine Lösung und schon gar nicht eine elegante »kleine Lösung«.

      Solange jeder dem anderen Schuld gibt, ist eine Lösung weit weg.

      In unserem Beispiel hatte diese Phase vor allem die eine Folge: Es gab immer noch kein warmes Essen! Nachdem wir uns alles angehört hatten, niemand etwas dafür konnte und offenbar jeder alles richtig machte, standen wir noch immer vor der Frage: Warum schaffen es die Essenswagen nicht rechtzeitig auf die Stationen? Wo im System ist der Haken? Warum ist das Essen kalt?

      Nun musste – im wahrsten Sinne – alles auf den Tisch. Es war an einem heißen Sommertag, draußen brannte die Sonne. Wir saßen in einem klimatisierten Konferenzraum bei zu kühlen 18 Grad und suchten nach Ursachen. Was ist mit dem Essen?

      Wir hatten gute, weniger gute und auch spleenige Ideen. Wir diskutierten eine ganze Zeit. Dann hatte einer meiner jungen Kollegen eine recht simple Idee, um herauszufinden, woran es liegen konnte. Er sagte: »Wir kleben einfach einen Zettel an die Essenscontainer, schreiben drauf, wann sie die Küche verlassen haben.« Neben der Uhrzeit, so seine Idee, sollte noch notiert werden, dass »das Essen 45 Minuten warm ist«. Das klang simpel. Wir stimmten sofort zu und machten das.

      Folgender Text kam auf Papier, das auf die Essenswagen geklebt wurde: »Aus der Küche: 11.05 Uhr. Das Essen ist 45 Minuten warm.« Die Idee kam bei allen gut an. Auf diesem Weg betrieben wir also Ursachenforschung. Wir waren sicher, jetzt konnten wir forschen: Wo stockt es? Wo stehen die Wagen? Wie lange stehen sie dort? Und vor allem: Warum?

      Das Essen ist 45 Minuten lang warm.

      Auf diese Weise, so war der Gedanke, können wir nachvollziehen, wo es hakt, wo man ansetzen muss. Also stellten wir uns wenige Tage später zur Mittagessenszeit an das Ende des Fließbands der Küche. Wir warteten, bis alle Tabletts im Essenscontainer verstaut waren. Dann klebten wir einen unserer Zettel mit Tesafilm auf den Wagen, schrieben die Uhrzeit drauf, ergänzt durch den Satz: »Das Essen ist 45 Minuten warm.« Wir machten das ganz klassisch: mit Stift und Papier. Alles kein großer Aufwand. Als wir fertig waren, hatten alle Container einen Zettel. Und dann ging es los.

      Was dann geschah, verblüffte alle Beteiligten. Vor allem auch uns.

      Ohne einen Plan. Ohne Meetings. Ohne Rundmails

      Es dauerte nicht lange, und das Essen kam warm bei den Patienten an.

      Warm. Innerhalb kürzester Zeit war das Problem gelöst.

      Was war geschehen? Was war denn da passiert? Alle waren verblüfft.

      Aber es war offensichtlich: Es hatte sich etwas geändert. Ohne eine Anordnung. Ohne einen Plan. Ohne Meetings. Ohne Rundmails. Ohne eine einzige Software.

      Wenn die Suche nach der Lösung schon zur Lösung wird

      Und das hatte einen einfachen Grund: Die Suche nach der Lösung kann bereits die Lösung sein. Und es ist ein Beispiel für die Kunst der kleinen Lösung.

      Was genau war geschehen?

      Inmitten der hochkomplexen Logistik und Technologie der Klinik zeigte sich plötzlich eine vernachlässigte, aber im entscheidenden Augenblick doch absolut zuverlässige multifunktionale Lösungssoftware: der Mensch. Der Mensch, der lesen kann und ohne Anleitungen plötzlich zu denken beginnt …

      Mit einem Mal wurden die Container wahrgenommen, wurden die Zettel gelesen. Ein Papierzettel, mit Klebeband am Wagen befestigt, versehen mit zwei zentralen Botschaften. Erstens: Kochzeit, zweitens: »Das Essen ist 45 Minuten warm.« Das reichte.

      Es

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