Die Kunst der kleinen Lösung. Klaus Henning

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Die Kunst der kleinen Lösung - Klaus Henning

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einem unterentwickelten Glauben an die eigene Konstruktion. Winograd und Flores haben diesen Gedanken in ihrem Buch Understanding Computer and Cognition dargelegt. Das hat mich in meinem Denken stark beeinflusst. Wenn etwas zusammenkracht, soll es möglichst wenig Schaden anrichten.

      Wie gesagt: Es geht nie darum, das Chaos zu beherrschen, es geht darum, es zu meistern. Oft genug werden die Mängel der Systeme erst offenkundig, wenn das System zusammenbricht.

      Deshalb muss schon bei der Entwicklung von komplexen Systemen gelten: Ready for Breakdown. Denn »unkaputtbar« gibt es nicht. Unser Glaube an die Technik bietet eine trügerische Sicherheit. Doch vor allem wir Ingenieure, Informatiker und Naturwissenschaftler sind leider viel zu oft zu technikverliebt, als dass wir unserer geliebten Technik Böses zutrauen.

      »Unkaputtbar« gibt es nicht.

      Die computergestützte Technik gibt einem noch mehr das Gefühl, schnelle und genaue Lösungen auch für die kompliziertesten Probleme zu erhalten.

      Nicht wenige Studenten und vor allem auch Professoren sind der festen Meinung, wir seien heute in einem Stadium angelangt, in dem alle Probleme technisch lösbar sind. Das ist ein Irrtum. Technische Machbarkeit muss immer auch die jeweiligen Fähigkeiten der beteiligten Menschen berücksichtigen.

      Aber zurück zu meinen Grunderfahrungen. Mein Vater arbeitete nach dem Krieg als Ingenieur bei Siemens. Das Land berappelte sich wieder. Man konstruierte, man baute, man ermöglichte eine Zukunft. Mein Weg schien vorgezeichnet, und doch war er es nicht. Ich habe Elektrotechnik studiert, im Wesentlichen in München. Parallel begann ich dann, auch politische Wissenschaft zu studieren. Das war eine Entscheidung, die mein weiteres Leben stark beeinflusste. Wenn ich nach dem Grund gefragt wurde, habe ich immer gesagt: »Auf zwei Beinen steht es sich besser.«

      Ich war und bin der Überzeugung, dass die Welt nie nur aus einem Blickwinkel betrachtet werden kann. Sie ist viel zu komplex. Ich kann ein technisches Problem nicht nur als technisches Problem betrachten, weil Technik für Menschen da sein soll. Auf der anderen Seite kann ich nicht einfach technischen Fortschritt ablehnen, wie es viele meiner Altersgenossen taten, nur weil mit dem technischen Fortschritt auch immer Risiken und Zerstörungspotenziale verbunden sind. Ich begab mich also schon während meines Studiums mitten in das Spannungsfeld Mensch und Maschine und ahnte nicht, dass ich da drin bleiben sollte. Und dass ich mich darin bis heute äußerst wohl fühle.

      Jede Woche fast ein atomarer Kollaps?

      Alles hat eine Vorgeschichte. Nichts passiert zufällig. Vor meinem Studium war ich Mitte der sechziger Jahre zwei Jahre lang bei der Bundeswehr in der Ausbildung zum Nachschuboffizier, zuletzt bei einem Jagdbombergeschwader, und zwar einem Atomwaffengeschwader. Ich war sozusagen mittendrin im Kalten Krieg. Ein Atomwaffengeschwader, das war nicht nur Militär oder Logistik – das war immer auch Politik. Es war der negative Aspekt des »technischen Fortschritts« mit seinem Zerstörungspotenzial.

      Europa stand zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem atomaren Kollaps. Und zwar jede Woche. Wir haben das in einer furchteinflößenden Regelmäßigkeit erlebt.

      Ständig gab es sogenannte Alarmflüge. Wir wussten nie, ob es ein Ernstfall war oder eine Übung. Wir befanden uns in einem Daueralarm. Immer schien die Welt am Rande eines Krieges zu stehen. Immer war die Bedrohung unmittelbar. »Bereite dich auf den Abgrund vor.« Drohten schon wieder Trümmer? Welche Rolle spielten die technischen Möglichkeiten, welche die Politik? Wer beherrscht hier wen? Das wollte ich verstehen. Der rein technische Blick schien mir nicht ausreichend.

      Ich will mehr als nur Technik!

      Schon im zweiten Semester Elektrotechnik habe ich als Wahlvorlesung Frederic Vester »Vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter« gehört. Der 2003 gestorbene Biochemiker war einer der Ersten in Deutschland, der unter Berufung auf die Kybernetik ein systemisches, vernetztes Denken propagierte. Er sah als Eigenschaften eines Systems ein vernetztes Wirkungsgefüge, in dem die Wechselwirkungen zwischen den Teilen wichtiger sind als die Eigenschaften der einzelnen Teile. Seine Vorlesung war für mich ein Wendepunkt. Danach habe ich das Parallelstudium politische Wissenschaften begonnen. Einerseits faszinierte mich der kybernetische Ansatz, andererseits war mir klar: »Ich will mehr als nur die Technik!« Das grenzenlose Vertrauen in die Technik hielt ich für nicht angebracht.

      Bei der Bundeswehr hatte ich erlebt, wie schon damals Kampfflugzeuge vollautomatisch flogen. Alle Probleme schienen technisch lösbar. Wie riskant war das? Wie riskant darf Technik überhaupt sein? Und wer hatte die Verantwortung? Diejenigen, die die Maschinen entwickelten? Oder diejenigen, die sie einsetzten? Darf alles gebaut werden, was machbar ist? Wo ist die Grenze? Und wer zieht gegebenenfalls Grenzen? Und mit welcher Begründung?

      Technik über alles – und wer trägt die Verantwortung?

      Früh war klar, dass ich dafür mehr als nur technische Antworten benötigte.

      Und früh suchte ich mir Menschen und Vorbilder, die Antworten geben konnten – oder zumindest die richtigen Fragen in die Debatte warfen.

      Neben der Erfahrung in einem Jagdbombergeschwader hat mich die Zeit davor an der Logistikoffiziersschule in Hamburg geprägt. Meine experimentelle Prüfungsarbeit enthielt die Aufgabe, einen Munitionstransport mit 40 Lastwagen quer durch Deutschland zu bringen. Wie steuert man einen solchen Nachschubtransport? Als gravierendes Problem dieser Aufgabe erwies sich ein heiß gelaufenes Radlager eines mit Sprengstoff gefüllten Lastwagens. Wegen dieses Radlagers mussten umgehend die Menschen in den umliegenden Orten evakuiert werden. Ein verunglückter Munitionstransporter hätte durchaus eine Katastrophe auslösen können.

      Oft hängt alles von der Logistik ab.

      Es hat mir gezeigt: Das Funktionieren eines Systems hängt oft von einer vermeintlichen Kleinigkeit ab. Das Erlebnis hat mich auch tief und emotional mit der Logistik verbunden. Wie werden die Dinge in Bewegung gebracht?

      Wie organisiert man intelligent und nachhaltig den Warennachschub?

      Wie hält sich ein Organismus durch eine laufende »Nährstoffversorgung« am Leben? Faszinierende Fragen, in gewisser Weise auch globale Fragen. Denn viele Systeme müssen am Laufen gehalten werden. So zog sich neben dem Strang der Kybernetik die Logistik wie ein roter Faden durch mein Leben.

      Die Welt als riesiges Uhrwerk?

      Im Grunde gab es für mich nie eine eindeutig nur technische Frage und nie eine eindeutig nur politische oder nur emotionale oder nur religiöse Frage.

      Geprägt von Frederic Vester habe ich von Anfang an einen systemischen Ansatz verfolgt, der gleichzeitig die Menschen, die Organisation und die Technik in den Blick nimmt. Also das relevante »System«. Das geht aber nur, wenn man vorgezeichnete Wege verlässt. Ein Ingenieursjob bei Siemens oder einem anderen Großkonzern – und da gab es genügend Angebote – hätte mich in meiner Sichtweise eingeengt. Das hat mich nicht gereizt. Weil mir immer etwas gefehlt hätte.

      Es gab den Drang, aus dem reinen »Maschinenmodell« auszubrechen. Der Glaube des Menschen, dass die Welt funktioniert wie ein riesiges Uhrwerk, ist alt. Den hat schon der Philosoph René Descartes vertreten.

      Aber die Welt als riesiges Uhrwerk ist ein Modell, eine Denkweise, ein Glaube. Dennoch sitzt dieses »Maschinenmodell« bis zum heutigen Tag tief in unserem Bewusstsein – meist als Gewissheit. Die Erfahrung lehrt uns aber etwas anderes: Die Welt funktioniert nicht so.

      In den letzten Jahrzehnten hat sich das Bewusstsein gewandelt, von der Welt als Maschinenmodell zu dem Bild der Welt als einem lebenden, auf den Menschen zentrierten Organismus. Der Begriff »lebende Systeme« gewinnt an Bedeutung.

      Auch

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