Rabenflüstern. Philipp Schmidt

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Rabenflüstern - Philipp Schmidt

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den Knauf seines Schwertes, das über seine rechte Schulter ragte, und schmunzelte. Die Klinge auf seinem Rücken hatte einen Tag zuvor vier Männern die Seele aus dem Leib gerissen, etliche Lieder füllten überall im Land die Hallen mit seine Heldentaten, aber Sedain ließ keine Gelegenheit aus, sich über die moralischen Bedenken seines Freundes, die er als Schwäche auslegte, lustig zu machen.

      Sedain dachte laut nach. »Mal ehrlich, unser lieber Fürst Bran weiß ganz genau, was er an dir hat. Wenn es nicht anders geht, erzählen wir ihm einfach, dass die Waffen sowieso Schrott waren.«

      Kraeh zog an den Zügeln, um sein Tier aus einem Sumpfloch zu ziehen. Mit einem Ruck kamen die Vorderläufe frei und der junge Krieger fiel rückwärts in den Morast. Sein Freund lachte laut auf.

      »Manchmal denke ich, zwischen deinen langen Ohren befindet sich nichts als Dreck! Willst du Bran vielleicht erklären, warum wir ihm erst einmal diese bescheuerte Lügengeschichte von Heimaturlaub und so aufgetischt haben?«

      Umständlich rieb er den Schmutz von seinem Fellumhang. »Manchmal glaube ich, ihr Halbelfenstricher seid genauso dämlich wie Orks.«

      Sedain lehnte an seinem Schimmel. »Du bist nur ärgerlich, weil du im Matsch gelandet bist.«

      »Und stinken tut ihr auch wie sie«, grollte Kraeh.

      Das Sterben des Tages kündigte sich in den Auen stets mit einem Knistern an. Abergläubische Männer behaupteten, es läge an den Kobolden und anderen Wesen aus dem Feenreich, die sich in ihren Hügeln und Astlöchern anschickten, die Welt der Menschen zu betreten. Sedain und Kraeh neigten dazu, nur an das zu glauben, was sie sehen und anfassen konnten, doch es gab unleugbare Fakten, die die Existenz von Zwischenwelten nahelegten. Wie die Irrlichter, die jetzt in einem für sterbliche Wesen fast unhörbaren Ton summend ihren Weg erleuchteten.

      Was ihre eigene Sterblichkeit betraf, waren sie sich beide in Ermangelung eines Beweises nicht sicher. Die Andersartigkeit Kraehs spiegelte sich nicht nur in seinen weißen Haaren, sondern auch in der schnellen Genesung von Wunden wider. Außerdem war niemandem bekannt, wer ihn als Säugling damals vor so vielen Jahren in einen Binsenkorb gelegt hatte. Wenige Tagesreisen von ihrem derzeitigen Standort entfernt war er von einer Fischerfamilie aufgenommen und großgezogen worden. Dort hatte er eine harte und einsame Kindheit erlebt. Als die anderen Kinder in der Siedlung gemerkt hatten, dass es besser war, ihn nicht mit seinen Haaren und seiner Fremdheit ausstrahlenden Art aufzuziehen, waren sie dazu übergegangen, ihn zu ignorieren. Die etwa zwei Sommer ältere Tochter seines Ziehvaters war lange Zeit die einzige Spielgefährtin für den Heranwachsenden gewesen. Schnell hatte Kraeh gelernt, dem guten, aber einfältigen Mann, der sich seiner angenommen hatte, unter die Arme zu greifen. Er holte die schweren Netze ein und nahm Fische aus, aber dem Mann wurde bald klar, dass dem Jungen eine andere Bestimmung als die eines Fischers in die Wiege gelegt worden war. Nach dem Tagewerk übte er sich im Kampf. Mit einem Stock bewaffnet, besiegte er Legionen aus Gestrüpp bestehender Feinde und bewies darin wesentlich mehr Geschick und Leidenschaft als in den handwerklichen Tätigkeiten. Als der erste Saum von Barthaaren sich in seinem blassen Gesicht zeigte, nahm sich der Dorfvorstand, der einzige Mann des kleinen Ortes, der ein Schwert besaß, seiner an. Ein Jahr darauf waren sie unter dem Banner Brisaks zum ersten Mal in die Schlacht gegen die Orks gezogen, die damals in Kriegsbanden über den Rhein kamen. Inmitten der Grausamkeiten der Schlachtfelder wuchs er, begleitet von den Schreien der Sterbenden, zum Mann heran. Als der einzige Krieger seines Dorfes fiel, nahm er dessen Platz ein. Stück um Stück arbeitete er sich fortan in der Hierarchie der brisakschen Armee nach oben. Es war nicht so, als ob ihm das Töten Spaß bereitete, vielmehr stellte sich heraus, dass es schlichtweg das war, was er am besten konnte. Mittlerweile hatte seine Schwester selbst zwei erwachsene Kinder, und der Vater war nicht weit vom Alterstod entfernt. Da Kraeh, den zweithöchsten Rang der Armee bekleidend, ein stattliches Einkommen zustand, hatte das abgelegene Fischerdorf es zu einem relativen Wohlstand gebracht. Nicht bloß Dankbarkeit verband Kraeh mit den Menschen, die ihn aus den Fluten des Flusses gerettet und bei sich aufgenommen hatten, sondern auch Liebe, und wann immer es sich einrichten ließ, besuchte er sie, die Satteltaschen voller Geschenke.

      Sedains einzige Leidenschaften hingegen waren der scharfe Stahl an seiner Seite, die zwei Armbrüste, deren filigran verzierte Wurfarme unter seiner Fellweste hervorlugten, und die Freundschaft, die sein Schicksal mit dem Kraehs verflocht. Nach den großen Orkkriegen war immer mehr das angrenzende Rhodum, mit dessen Soldaten man zuvor gemeinsam im Schildwall gestanden hatte, zum Rivalen geworden. Sedain hatte zu jener Zeit als Söldner unter der Standarte des Feindes gedient.

      Er entstammte einem Volk mystischer Krieger, die an der Quelle des Rheins herrschten. Man nannte sie Gaesen. Sie waren leicht an den Runentätowierungen zu erkennen, die die größten Teile ihrer Körper schmückten. Niemand wusste, weshalb Sedain seinen Stamm verlassen hatte, aber das bizarre Muster, das sich verästelnd von der rechten Schläfe an seinen Hals hinunterzog, ließ keinen Zweifel an seiner Herkunft.

      Nach einem Schlagabtausch beider Mächte war es Kraeh gewesen, der ihn auf dem Feld, auf dem die Schlacht ausgetragen worden war, halb verblutet gefunden hatte. Er hatte seine Wunden versorgt und später behauptet, ihn abgeworben zu haben. Zuerst war es seitens Kraeh Berechnung gewesen, den todbringenden Halbelfen auf seine Seite zu ziehen, nachdem er ihn im Kampf mehrere seiner Männer hatte niedermachen sehen. Im Laufe der Zeit aber hatte sich eine Verbundenheit entwickelt, wie er sie einzig zu seiner Stiefschwester in den Tagen seiner Kindheit empfunden hatte.

      Auf einer moosbewachsenen Lichtung machte Kraeh halt. Der Mondschein tauchte den Platz in milchiges Grau.

      »Wir bleiben hier bis zum Morgengrauen.«

      Die beiden Freunde luden die Pferde ab und richteten sich eine behelfsmäßige Schlafstätte auf dem feuchten Untergrund. Eine Weile lauschten sie noch dem Heulen eines Wolfsrudels. Als es sich entfernt hatte, ließen sie sich vom Schlaf übermannen.

      ***

      Am Morgen brachte ein halber Tagesmarsch Kraeh und Sedain aus dem Sumpfland auf eine weite Ebene. Sie bestiegen ihre Pferde. Im Trab hielten sie auf die in der Ferne bereits zu erkennende Feste Brisaks zu.

      Die Spätwintersonne lag matt auf den strahlenförmig angelegten Wehrgängen, als die Hufe der Tiere hart auf Pflasterstein schlugen. Sie hatten das Weideland verlassen und befanden sich nun auf der großen Straße, die nach Südosten folgend das Feindesland Rhodum, die Auen umgehend, mit dem Hauptsitz ihres Herrn verband.

      Eine Gewitterfront drängte sich von den jenseitigen Ufern des Rheins in ihr Sichtfeld.

      »Es könnte heikel werden, wenn Bran von unsrem kleinen Geschäft erfahren hat«, sagte Kraeh düster.

      »Mir schlottern die Knie«, antwortete Sedain ironisch, kniff aber die Augen zusammen, während er an dem höchsten Turm der Festung hochsah, hinter dessen Mauern Fürst Brans Gemächer lagen.

      Eigentlich hätten Sträucher und Wiesen allmählich wieder an Farbe gewinnen müssen, doch von vereinzelten Schneeglöckchen abgesehen, lag das Land noch kahl und trostlos im Winterschlaf. Ostara, die Festlichkeit zur Tag- und Nachtgleiche stand in weniger als einem Mond an. Es würde traurig ausfallen, dachte Kraeh, wenn der Frost nicht bald seinen erbarmungslosen Griff lockerte. Zwar gab Kraeh wenig auf die Anbetung von Göttern, dennoch begrüßte er die freie Wahl der Bräuche und Kulte, die Bran seinem Volk zubilligte. Über etliche Generationen hinweg war eine Mischform aus zahlreichen Vielgott-Religionen entstanden. Germanische Gottheiten wurden gleichberechtigt neben keltischen, schamanistischen und anderen verehrt. Auf Brans Standarte, die über der Stadt im Wind flatterte, war zwar der Hammer Donars abgebildet, doch der Grund dafür lag schlicht darin, dass die meisten seiner Krieger sich eben diesem Gott verschrieben hatten.

      Die Feindschaft mit dem benachbarten

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