Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
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2 › II › 5. Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 10 SE-VO
5. Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 10 SE-VO
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Art. 10 SE-VO ordnet an, dass eine SE vorbehaltlich der Bestimmungen der SE-VO in jedem Mitgliedstaat wie eine AG behandelt wird, die nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründet wurde. Die Vorschrift enthält ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot,[43] welches über die Frage des anwendbaren Rechts hinausweist.
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Innerhalb des Regelungsbereichs der Verordnung ergibt sich die Anwendbarkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften, die für eine nach dem Recht des Sitzstaates gegründete AG gelten, bereits aus der Generalverweisung. Diese Verweisung wird durch Art. 10 SE-VO flankiert in Bereichen außerhalb des unmittelbaren Regelungsbereichs der Verordnung, soweit mitgliedstaatliche Vorschriften an die Rechtsform der AG anknüpfen. Soweit also bspw. das UmwG nicht bereits aufgrund der Generalverweisung Anwendung findet, eröffnet Art. 10 SE-VO einer SE mit dem Sitz in Deutschland grundsätzlich die Möglichkeit, sich wie eine AG als aufnehmender oder übertragender Rechtsträger an einer Verschmelzung oder Spaltung zu beteiligen, auch wenn die SE in § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG nicht ausdrücklich als umwandlungsfähiger Rechtsträger aufgeführt ist. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob und inwieweit die Regelungen der SE-VO, namentlich die Gründungsvorschriften und Art. 66 SE-VO, als abschließend anzusehen sind, sodass die spezifischen Regelungen der SE-VO den Rückgriff auf das nationale Umwandlungsrecht sperren.[44]
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Art. 10 SE-VO kommt darüber hinaus etwa zum Tragen, wenn Mitgliedstaaten für gewisse Geschäftstätigkeiten eine bestimmte Rechtsform vorsehen: Soweit das jeweilige Betätigungsfeld einer AG offen steht, gilt dies unmittelbar aufgrund der SE-VO auch für die SE, ohne dass es einer Gesetzesänderung bedürfte.[45]
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Aus Art. 10 SE-VO ergibt sich zugleich ein allgemeines Diskriminierungsverbot gegenüber der SE, sodass ein Mitgliedstaat auch dazu gezwungen sein kann, für eine Gleichstellung mit der AG Sorge zu tragen, wenn eine unmittelbare Anwendung von Art. 10 SE-VO nicht möglich sein sollte.
2 › II › 6. Auslegungskompetenz und Reichweite der Verweisungen
6. Auslegungskompetenz und Reichweite der Verweisungen
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Da es sich bei der SE-VO um einen europäischen Rechtsakt handelt, steht die Auslegungskompetenz dem Europäischen Gerichtshof gem. Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu. Dies gilt auch für Entscheidungen über die Frage, ob über eine Verweisung in der Verordnung nationales Recht anzuwenden ist. Die Auslegung des nationalen Rechts, das kraft Verweisung Anwendung findet, hingegen bleibt Sache des nationalen Gerichts, da sich der europäische Gesetzgeber insoweit einer Regelung enthalten hat und das mitgliedstaatliche Recht nicht aufgrund der Verweisung zu europäischem Recht wird.
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Die Verweisungen beziehen sich als dynamische Verweisungen auf das nationale Recht des Mitgliedstaats in der jeweils gültigen Fassung unter Einschluss des Richterrechts des einzelnen Mitgliedstaates.[46] Die Einbeziehung des Richterrechts mag sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der SE-VO ergeben, die nur von Rechtsvorschriften spricht, ist jedoch zwingend erforderlich, da nur bei Einbeziehung der Rechtsprechung und der richterlichen Rechtsfortbildung eine effektive Lückenschließung gelingen kann.[47]
Anmerkungen
Vgl. 6. Erwägungsgrund der SE-VO.
Zur historischen Entwicklung s. o. 1. Kap. sowie Heinze ZGR 2002, 66 ff.; Lutter BB 2002, 1 ff.
Vgl. Hirte NZG 2002, 1, 2; Lutter AG 1990, 413, 414; Ulmer FAZ v. 21.3.2001, S. 30 spricht von nationalen AG im europäischen Gewand.
Vgl. Study on the operation and the impacts of the Statute for a European Company (Final Report) v. 9.12.2009, http://ec.europa.eu/internal_market/consultations/docs/2010/se/study_SE_9122009_en.pdf.
Vgl. statt aller Schweitzer/Hummer Rn. 849 ff.
Teichmann ZGR 2002, 383, 395 f.
So Abmeier NJW 1986, 2987, 2991 zur EWIV und ihm folgend Wagner NZG 2002, 985 in Bezug auf die SE.
Bsp. für satzungsdispositive Regelungen sind etwa Art. 43 Abs. 3 S. 2, Art. 47 Abs. 3, Art. 50 Abs. 1 und 2, Art. 55 Abs. 1 SE-VO. Zur Satzungsstrenge des SE-VO s. zusammenfassend Habersack/Drinhausen/Schürnbrand SE-VO Art. 9 Rn. 51 f.
Zusammenfassend zur Auslegung von sekundärem Gemeinschaftsrecht Schwarz Rn. 86 ff.
So schon Raiser FS Semler, S. 276, 283 zum VO-Entwurf aus dem Jahre 1991 (ABlEU Nr. C 176 v. 8.7.1991, 1 ff.), der in seinem Art. 7 eine mit Art. 9 Abs. 1 c SE-VO vergleichbare Verweisungshierarchie enthielt; ebenso Brandt/Scheifele DStR 2002, 547, 552; Wagner