Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea - Hans-Peter Schwintowski страница 98
13
Das auf die SE anwendbare Recht scheint sich auf den ersten Blick klar aus der oben dargestellten Normenhierarchie und dem Verweisungssystem der SE-VO ablesen zu lassen. Im Detail kann die Verzahnung der SE-VO mit dem nationalen Recht jedoch erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfen.
14
Methodisch setzt der Rückgriff auf das nationale Recht auf der Grundlage der Verweisungsnormen zunächst eine planmäßige Regelungslücke in der SE-VO voraus. Dies bedeutet zugleich, dass ein Rückgriff auf nationales Recht nicht in Betracht kommt, wenn die Regelung der SE-VO abschließend und der Tatbestand der Verweisungsnorm somit gar nicht eröffnet ist. Es muss daher in jedem Einzelfall zunächst der materielle Gehalt und die Reichweite der Vorschriften der SE-VO – einschließlich der Verweisungsnormen – im Wege der Auslegung ermittelt werden.
15
Bei der Ermittlung von Regelungslücken ist grundsätzlich auf die Auslegungsgrundsätze für sekundäres Gemeinschaftsrecht zurückzugreifen.[9] Allerdings können für die Auslegung der SE-VO zwei weitere Leitlinien aufgestellt werden, die sich aus der Verweisungskonzeption der Verordnung ableiten lassen: Aus der Existenz der Generalverweisung kann geschlossen werden, dass der Gesetzgeber selbst von der Lückenhaftigkeit des Verordnungstextes ausging. Bestimmungen, die für das Funktionieren der Rechtsform der SE unerlässlich sind, aber in der SE-VO nicht geregelt sind, müssen grundsätzlich über den Weg der Verweisung durch Rückgriff auf das Recht des Sitzstaates aufgefüllt werden.[10] Die Annahme einer Regelungslücke liegt gleichfalls nahe, soweit für den in der SE-VO nicht geregelten Bereich in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten einschlägige Regelungen bestehen; dies umso mehr, wenn es sich bei dem jeweiligen einschlägigen mitgliedstaatlichen Recht um harmonisiertes Recht handelt.[11]
16
Im Falle planwidriger Regelungslücken kann ein Lückenschluss auch durch Analogie auf Ebene der Verordnung erfolgen, wobei allerdings sowohl die geringe Regelungstiefe der Verordnung als auch die grundsätzliche Entscheidung zur Lückenfüllung durch das Recht der Mitgliedstaaten dieser Vorgehensweise enge Grenzen setzt.[12] In Betracht kommt ein Analogieschluss zur Lückenfüllung insbesondere, wenn das nationale Recht für die Fragestellung keine analogiefähige Regelung bereithält. Derartige SE-spezifische Regelungslücken, die also Bereiche betreffen, die sich ausschließlich auf die Rechtsform der SE beziehen, können nicht durch Rückgriff auf das jeweilige nationale Recht geschlossen werden, da gewöhnlich keine Auffangregelungen zur Verfügung stehen. SE-spezifische Regelungslücken sind auf Ebene des Gemeinschaftsrechts im Wege der Rechtsfortbildung durch den EuGH zu füllen.[13]
17
Die Feststellung einer Regelungslücke, die in der Regel zugleich eine Entscheidung über die Anwendung des nationalen Rechts des Sitzstaates ist, kann im Einzelfall schwierige Auslegungsfragen aufwerfen. Beispiele hierfür bilden das Konzernrecht und das Umwandlungsrecht.[14] In den meisten Fällen ist der Rückgriff auf das nationale Aktienrecht jedoch unproblematisch.
2 › II › 3. Das System der Verweisungsnormen der SE-VO
3.1 Kollisionsrechtliche Fragen
18
Die Verweisungsvorschriften der SE-VO berufen nationales Recht der Mitgliedstaaten zur Anwendung. Der Sache nach handelt es sich hierbei um Rangkollisionsrecht,[15] durch welches die Anwendung von europäischem Recht und mitgliedstaatlichem Recht abgegrenzt wird, wobei jedoch der europäische Gesetzgeber jederzeit eine gemeinschaftsrechtliche Regelung an die Stelle des nationalen Rechts setzen könnte. Die territoriale Abgrenzung des Anwendungsbereichs ist in diesem Zusammenhang nur insoweit von Interesse, als die SE-VO auf das Recht verschiedener Mitgliedstaaten verweist, sodass für die Entscheidung, welches nationale Recht der in Frage stehenden Mitgliedstaaten Anwendung findet, ein Anknüpfungspunkt vorgesehen werden muss. Die SE-VO stellt hierfür durchgängig auf den Sitz der Gesellschaft ab. Gleichzeitig bestimmt die SE-VO in Art. 7, dass der statutarische Sitz und der Verwaltungssitz einer SE in einem Mitgliedstaat – nicht aber zwingend am selben Ort[16] – liegen müssen.
19
Aus dem Blickwinkel des internationalen Privatrechts fragt sich, ob es sich bei den Verweisungen in der SE-VO um Sachnormverweisungen, also Verweisungen, die das Kollisionsrecht des Mitgliedstaates ausblenden, oder um Gesamtnormverweisungen[17] auf das mitgliedstaatliche Recht unter Einschluss der Bestimmungen des jeweiligen internationalen Privatrechts handelt. Es besteht im Schrifttum weitgehend Einigkeit, dass es sich sowohl bei den Spezialverweisungen als auch bei der Generalverweisung in Art. 9 Abs. 1 c SE-VO um Sachnormverweisungen handelt, die einen direkten Anwendungsbefehl hinsichtlich des aufgerufenen Sachrechts enthalten.[18]
20
Im Falle der speziellen Verweisungen der SE-VO ergibt sich der Charakter als Sachnormverweisung bereits aus dem Wortlaut.[19] Hinsichtlich der Generalverweisung sprechen vornehmlich systematische und teleologische Erwägungen für eine solche Einordnung. Es muss aus Gründen der Rechtssicherheit gewährleistet sein, dass auf eine SE einheitlich das Recht eines bestimmten Mitgliedstaates angewandt wird.[20] Unterschiedliche Anknüpfungspunkte im internationalen Privatrecht der verschiedenen Mitgliedstaaten gefährden die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung. Da in einigen Mitgliedstaaten der sog. Sitztheorie gefolgt wird, die das Gesellschaftsstatut nach dem Ort des effektiven Verwaltungssitzes bestimmt, während in anderen Mitgliedstaaten die sog. Gründungstheorie vorherrscht, nach der das Recht des Gründungsstaates Anwendung findet, sind derartige Bedenken berechtigt.[21] Die SE-VO hat zwar hinsichtlich der Bestimmung des Personalstatuts einer SE einen Gleichlauf der Anknüpfungspunkte erzwungen, indem sie auf “die Rechtsvorschriften, die auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründete AG Anwendung finden würden” verweist. Die einheitliche Anwendung des Sachrechts des Sitzstaates kann jedoch am besten durch eine Sachnormverweisung gewährleistet werden.
3.2 Die Spezialverweisungen
21
Die SE-VO enthält eine Vielzahl von speziellen Verweisungen, durch die einzelne Aspekte der SE den Bestimmungen des nationalen Rechts des Mitgliedstaates unterworfen werden, in dem die SE ihren Sitz hat.[22] Anknüpfungspunkt für die Verweisungen ist also der Sitzstaat der SE. Als direkte Verweisung auf das nationale Recht wirken daneben jene Vorschriften, die den nationalen Gesetzgeber ermächtigen, abweichende Regelungen für SE mit Sitz im jeweiligen Mitgliedstaat zu schaffen.[23] Sofern von dieser Kompetenz Gebrauch