Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
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Teilweise wird die Einführung der paritätischen Mitbestimmung im monistischen System aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie) sogar als verfassungswidrig angesehen.[109] In seinem Grundsatzurteil zur Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung hat das BVerfG[110] vorgegeben, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Lichte der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nicht dazu führen darf, dass über das im Unternehmen investierte Kapital gegen den Willen der Anteilseigner entschieden werden kann. Die Mitbestimmung darf mit anderen Worten nicht dazu führen, dass die Anteilseigner ihr Letztentscheidungsrecht bei Fragen der Unternehmensführung verlieren.[111]
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Unter Zugrundelegung dieser Verfassungsrechtsprechung wird teilweise unter Hinweis auf die Rechtslage in Frankreich gefolgert, dass ein Verwaltungsrat im monistischen System in Deutschland nur verfassungsgemäß wäre, wenn Vorsorge dafür getroffen wird, dass die laufenden Geschäfte und die Strategieentscheidungen allein von den Arbeitgebern getroffen werden können. Die Möglichkeit der Mitberatung durch die Arbeitnehmervertreter in Fragen der Unternehmensplanung wird als Verletzung der vom BVerfG definierten Eigentumsgarantie angesehen.[112]
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In seinem Mitbestimmungsurteil hat das BVerfG jedoch nicht auf die Mitberatung der Arbeitnehmer bei Fragen der Unternehmensleitung, die im dualistischen System zugegebenermaßen auch nicht zur Diskussion standen, abgestellt, sondern allein darauf, ob über das im Unternehmen investierte Kapital gegen den Willen der Anteilseigner entschieden werden kann. Erst die Entscheidungsmöglichkeit und nicht bereits die Beratungsmöglichkeit führt zu einer Gefährdung oder Beeinträchtigung der Eigentumsrechte. Aufgrund des durch Art. 50 Abs. 2 S. 2 SE-VO vorgegebenen Stichentscheid des Verwaltungsratsvorsitzenden, der gem. Art. 45 S. 2 SE-VO von den Aktionären bestellt wird, ist eine Entscheidung über Fragen der Unternehmensplanung nicht gegen den Willen der Anteilseigner möglich, sodass auf Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG nicht begründbar erscheint.[113]
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Aufgrund der von ausländischen Investoren ohnehin kritisch gesehenen deutschen Mitbestimmung wäre die Schaffung einer für die SE mit monistischem System qualitativ neuen und weitergehenden Form der paritätischen Mitbestimmung jedoch sehr problematisch. Es stünde zu befürchten, dass deutsche Unternehmen als Partner einer SE keine Berücksichtigung finden würden. Da der Gesetzgeber aufgrund der Vorgaben in Art. 45 S. 2 SE-VO, Art. 7 Abs. 3 b SE-RL von der grundsätzlichen Eröffnung der Möglichkeit, die paritätische Mitbestimmung auch in der monistischen SE zuzulassen, nicht abweichen kann, muss im Rahmen der bestehenden Gestaltungsfreiheit ein Weg gefunden werden, die Mitbestimmung im monistischen System der Mitbestimmung im dualistischen System anzupassen.[114]
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Aufgabe eines solchen angepassten Systems wäre die weitgehende Trennung zwischen den dem Verwaltungsrat übertragenen Leitungsaufgaben und den ihm gleichzeitig zufallenden Kontrollaufgaben. Die Leitungsaufgaben müssten soweit wie möglich von der Arbeitnehmermitbestimmung freigehalten werden, während die Kontrollaufgaben der Arbeitnehmermitbestimmung im vollen Umfang zu unterliegen haben, um den derzeit im dualistischen System der Mitbestimmung bestehenden Status quo zu erhalten. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Funktion des Verwaltungsrats im monistischen System als einheitliches Verwaltungs- und Kontrollorgan nicht in Frage gestellt wird. Es muss der Geschäftsleitung und den Arbeitnehmervertretern aufgrund der bestehenden Gestaltungsfreiheit die Möglichkeit eingeräumt werden, über das Verhandlungsgremium sich auf ein eigenes Mitbestimmungsmodell zu einigen.[115]
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Das SEEG enthält keine Vorschriften zur Anpassung des monistischen Systems an das deutsche Mitbestimmungsrecht. In Art. 38 SEBG wird ausdrücklich klargestellt, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE dieselben Rechte und Pflichten haben wie die Mitglieder, die die Anteilseigner vertreten, um die Prinzipien des deutschen Mitbestimmungsrechts zu wahren.[116]
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Einen Ansatz für die Funktionstrennung enthält § 40 SEAG. Er sieht vor, dass der Verwaltungsrat ein oder mehrere geschäftsführende Direktoren für die Wahrnehmung des Tagesgeschäftes bestellen muss. Dabei lässt er dem Verwaltungsrat die Wahlfreiheit, ob Verwaltungsratsmitglieder zu geschäftsführenden Direktoren bestellt werden sollen (Executive Directors) oder nur externe geschäftsführende Direktoren, die nicht gleichzeitig dem Verwaltungsrat angehören (Non-Executive Directors) bestellt werden.[117]
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Der Forderung in der Literatur vor Erlass des SEAG, gesetzlich anzuordnen, dass Arbeitnehmervertreter im monistischen System nicht gleichzeitig geschäftsführende Direktoren werden können,[118] ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Auch der Forderung, die Arbeitnehmer nur an der Wahl der nichtgeschäftsführenden Verwaltungsräte zu beteiligen, um die Mitbestimmung auf die Überwachung zu beschränken,[119] ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Die ebenfalls geforderte Einschränkung des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter bei Fragen der Unternehmensleitung[120] ist mit § 38 Abs. 1 SEBG, der die gleichen Rechte für Arbeitnehmer und Anteilseignervertreter vorsieht, nicht vereinbar.
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Da die SE-VO keine ausdrücklichen Regelungen enthält, wonach die Satzung der SE die Rechte der Mitglieder des Verwaltungsrats unterschiedlich ausgestalten kann (Art. 9 Abs. 1 b SE-VO), gelten gem. Art. 9 Abs. 1 c i SE-VO vor etwaigen Ausgestaltungen der Rechte der Verwaltungsräte in der Satzung die Regeln des SEAG. Nachdem der Regierungsentwurf keine Regelung zur Lösung der „überschießenden Mitbestimmung“ im monistischen System enthielt, hat der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf[121] vom 2.7.2004 in erster Lesung beraten und zur federführenden Beratung dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages überwiesen. Dieser hat am 18.10.2004 eine öffentliche Anhörung unter Hinzuziehung von acht Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis durchgeführt.[122] Neben anderen Änderungen, die überwiegend redaktioneller Art sind, ist als Ergebnis der Anhörung des Rechtsausschusses empfohlen und mit den Stimmen der SPD, Grünen/Bündnis 90-Fraktionen in 2. und 3. Lesung im Bundestag beschlossen worden, einen neuen Absatz 3 in § 35 SEAG einzufügen, der wie folgt lautet: „Ist ein geschäftsführender Direktor, der zugleich Mitglied des Verwaltungsrats ist, aus rechtlichen Gründen gehindert, an der Beschlussfassung im Verwaltungsrat teilzunehmen, hat insoweit der Vorsitzende des Verwaltungsrats eine zusätzliche Stimme.“[123] Nicht geregelt ist mit dieser Ergänzungsformulierung, was passiert, wenn der Verwaltungsratsvorsitzende, der auch geschäftsführender Direktor sein kann,[124] einem Stimmverbot unterliegt. Hier sollte § 35 Abs. 3 SEAG dahingehend ausgelegt werden, dass in diesem Fall der stellvertretende Verwaltungsratsvorsitzende die „Ergänzungsstimme“ erhält.