Der Waldläufer. Gabriel Ferry
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In dem Augenblick, als der Zug, der sich auf dem Weg nach der Hacienda befand, noch eine ziemliche Strecke davon entfernt war – das heißt, eine Stunde vor Sonnenuntergang —, bot die Ebene in ihren Umgebungen ein prächtiges Schauspiel, besonders für das Auge des Reisenden, der es müde ist, dürre Einöden zu durchziehen.
Ein Lichtglanz, goldig wie derjenige, der die Wellen des Ozeans liebkost, wenn die Sonne in seine Fluten taucht, spielte auf den wellenförmigen Bewegungen, in die der Abendwind die grünen, biegsamen Halme der Maisfelder versetzte. Die weißen Blüten der Olivenbäume, sanft von diesem erfrischenden Windhauch geschüttelt, fielen wie Schneeflocken auf den Rasen, der sich gleich einem Teppich unter ihnen ausbreitete. Die Arbeiter suchten nach einem mühevollen Tagewerk ihre Hütten; die einen mit den Werkzeugen des Ackerbaus beladen, andere mit einem langen, spitzen Stab bewaffnet, um damit die lässigen Ochsen anzutreiben.
An den Rand des Baches, der sanft die langen Halme der Pflanzen umrieselte, die von seinem klaren Wasser Nahrung empfingen, kamen Tausende von Tieren, um nacheinander ihren Durst zu löschen. Bald waren es lange Reihen von Stieren und Färsen, die beim Anblick ihrer Tränke brüllten. Bald waren es lange Züge frei umherlaufender Pferde, die wiehernd in großen Sätzen nach dem Fluß liefen oder auf der Ebene einander verfolgten. Der Boden zitterte unter dem Galopp dieser edlen Tiere, die, wenn auch schon vertraut mit dem Anblick des Menschen, doch noch den scheuen Stolz und die prächtige Haltung der wilden Pferde bewahrten und eine Flut von Köpfen mit blitzenden Augen, weit geöffneten Nüstern und flatterndem Mähnenhaar zeigten. Je nachdem ihr Durst befriedigt war, eilten unzählbare Züge mit der Schnelligkeit des Blitzes hinweg, wie toll hinter sich ausschlagend, schüttelten stolz den stattlichen Busch ihres Schweifes und verloren sich bald inmitten des Staubes, der unter ihren Hufen emporwirbelte.
Der mächtigste arabische Chef, der reichste Patriarch der alten Zeit zählte niemals herrlichere und zahlreichere Herden als Don Agustin Peña auf seinen unermeßlichen Weideplätzen.
Zur Stunde, von der wir sprechen, durchzogen zwei Männer die Ebene nach der Hacienda hin; der eine auf einem Pferd, der andere auf einer Mauleselin. Pferd und Maulesel gehörten gewiß, jedes in seiner Art, zu den schönsten Exemplaren ihrer Rasse. Das erstere mit seiner stolzen Haltung, seiner breiten Brust und seinem Schwanenhals war kaum schöner als der Maulesel, der an seiner Seite mit den feingebauten Füßen, den runden Weichen und dem glänzenden Rücken dahinschritt.
Der erste Reiter war der Herr der Hacienda; sein Anzug bestand in einem Guayaquilstrohhut, einem feinen und weißen Batisthemd ohne Weste und einem samtenen Beinkleid mit goldenen Knöpfen, das an den Hüften zusammengeschnürt war. Der andere auf der Mauleselin war der Kaplan der Hacienda, ein verehrungswürdiger Franziskanermönch in blauer Kutte, mit einem Gürtel von seidenen Schnüren; sein Oberkleid war kavaliersmäßig oberhalb der langen Reiterstiefel, die mit langen klirrenden Sporen bewaffnet waren, zurückgeschlagen. Ein breiter grüner Filzhut, der ziemlich keck auf einer Seite saß, gab dem Franziskaner ein mehr kriegerisches als mönchisches Aussehen.
Der Hacendero, der Herr der Hacienda, schien einen stolzen Blick auf die unermeßlichen Reichtümer zu werfen, die ihn umgaben und die nach seiner eigenen Meinung – die wir übrigens vollständig teilen – viel höher anzuschlagen waren als in der Geldkiste angehäufte Goldbarren.
Was den Mönch anlangt, so schien er durch einen zu mächtigen Gedankengang in Anspruch genommen, um auf das Schauspiel großartigen Reichtums zu achten, das sich in der Ebene vor ihm ausbreitete.
»Beim heiligen Julian, dem Schutzpatron der Reisenden«, sagte Don Agustin, »in den vierundzwanzig Stunden, da Ihr abwesend wart, fürchtete ich, ehrwürdiger Vater, daß ein Jaguar Euch zerrissen oder irgendein Sumpf Euch samt Eurem Maultier verschlungen hätte.«
»Der Mensch denkt und Gott lenkt«, antwortete der Mönch. »Es ist wahr – ich war auf einige Stunden abgereist, um dem armen Joaquin, dem ein Stier den Leib aufgerissen hatte, ein christliches Begräbnis zu geben, und hatte eben die Erde, wo er eingescharrt werden sollte, gesegnet, als ein junger Mann zu Pferd schnell wie der Blitz mit bestürzter Haltung und aufgeregtem Gesicht erschien, um mich zu bitten, nach seiner Wohnung zu kommen und die Beichte seiner sterbenden Mutter zu hören; ich mußte zehn Meilen wieder zurücklegen. Ich mochte dringende Geschäfte vorschützen, soviel ich wollte, um den jungen Mann loszuwerden – ich mußte doch endlich seinen inständigen Bitten weichen. Wißt Ihr, wer es war?«
»Wie sollte ich?« antwortete der Hacendero.
»Tiburcio, der Adoptivsohn des Gambusinos Marcos Arellanos, war es.«
»Wie? Seine Mutter ist tot? Das tut mir sehr leid; er ist ein braver junger Mann. Ich habe nicht vergessen, daß wir ohne ihn vielleicht vor Durst gestorben wären, meine Tochter, meine Leute und ich. Habt Ihr ihm auch gesagt, daß, wenn er ohne Hilfsquellen wäre, er willkommen sei auf der Hacienda del Venado?«
»Nein, denn dieser Bursche hegt eine unsinnige Leidenschaft für Eure Tochter, wenn man es Euch sagen darf!«
»Und was liegt daran, wenn meine Tochter ihn nicht wieder liebt?« antwortete Agustin. »Hätte sie ihn aber geliebt, so hätte ich mich für reich genug gehalten, um bei dem Mann, den sie ausgezeichnet hätte, nur die moralischen und physischen Eigenschaften zu suchen, die Tiburcio besitzt. Ich hatte mir zum Schwiegersohn nur einen Mann geträumt, schön, einsichtig und brav genug, um diese Grenzen gegen die indianischen Horden zu verteidigen, und ich würde alles bei ihm gefunden haben. Aber jetzt habe ich für Rosarita höhere Aussichten.«
»Und vielleicht würdet Ihr nicht unrecht gehabt haben«, erwiderte der Mönch ernst. »Was ich erraten … was ich erfahren … habe, könnte aus Tiburcio einen noch viel begehrenswerteren Schwiegersohn machen, als Ihr ahnt.«
»Es ist zu spät!« sagte der Hacendero. »Mein Wort ist gegeben, und ich werde es nicht wieder zurücknehmen.«
»Dennoch habe ich gerade von ihm mit Euch zu sprechen«, erwiderte der Mönch. »Und wie dem auch sein mag, vielleicht wird es Euch nicht leid tun, mich anzuhören.«
Die beiden Reiter waren gerade, nachdem sie durch den Palisadengürtel geritten waren, an den Fuß einer Treppe gelangt, die auf eine weite Halle und von da in den Salon der Hacienda führte. Es war dies ein weiter Saal, der durch eine Luftströmung, wie es in den heißen Ländern gewöhnlich ist, ständig kühl erhalten wurde. Feine chinesische, ausgezeichnet gearbeitete Matten bedeckten den Fußboden, der aus großen Werksteinen bestand, und andere, noch reicher gezeichnete Matten dienten als Vorhänge an den Fenstern. Die mit Kalk geweißten Mauern hoben sich durch einige seltene ausgemalte Kupferstiche in goldenen Rahmen ab; lederne Putacas, kleine Gesimse in den Ecken – auf denen in silbernen Braseros für die Raucher Kohlen, mit weißer Asche bedeckt, bereitlagen —, Sessel und ein Pfühl aus Palmrinde von englisch-amerikanischem Gepräge bildeten das ganze Hausgerät.
Auf einem Tisch aus geglättetem Balsaholz ließen poröse Krüge das frische Wasser durchschimmern, das sich in ihnen befand. Breite Melonenschnitten boten auf einer großen silbernen Platte ihr rötliches Fleisch dar, das ein schmackhafter Saft mit rosigen Tröpfchen überstreute; Pitallas zeigten den dunklen Purpur ihrer Kerne neben Melonen und halbgeöffneten Granatäpfeln. Endlich waren auch noch Orangen, Grenadillen und süße Limonen da, und alle Früchte der heißen Klimate, die den Durst reizen beziehungsweise löschen, zeugten von den gastfreundlichen Absichten Don Agustins.
»Erwartet Ihr denn Gäste?«