Der Waldläufer. Gabriel Ferry
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Jeder setzte sich in einen Schaukelstuhl, von denen wir oben gesprochen haben, und während der Hacendero sich nachlässig, die Zigarre im Mund, darin wiegte, begann der Mönch zu erzählen.
»Ich fand die alte Frau auf einer Steinbank ruhend an der Tür ihrer Hütte; denn sie hatte sich bis dahin schleppen können, um meine Ankunft zu erwarten.
›Seid gesegnet, mein Vater!‹ sprach sie zu mir. ›Ihr kommt noch zur rechten Zeit, um meine letzte Beichte zu empfangen. Mit Eurer Erlaubnis aber sollt Ihr, während Ihr Euch ein wenig ausruht, das mit anhören, was ich jetzt demjenigen sagen will, den ich immer als meinen Sohn angesehen habe und dem ich eine Rache zu hinterlassen habe, wenn ich nicht mehr sein werde.‹«
»Wie denn, mein Vater?« unterbrach Don Agustin. »Ihr habt diesen Bruch des göttlichen Gesetzes erlaubt, das sagt: Die Rache ist mein, spricht der Herr!«
»Warum nicht?« fragte der Mönch. »Darf nicht in diesen Einöden, in denen wir keine Tribunale haben, ein jeder an deren Stelle treten?« Nach dieser kurzen Rechtfertigung fuhr der Mönch fort: »Ich setzte mich also und hörte.
›Dein Vater ist nicht als ein Opfer der Indianer gefallen, wie wir es geglaubt haben‹, sagte die Kranke, sich an Tiburcio wendend; ›sein Begleiter hat ihn vielmehr erwürgt, um sich eines Geheimnisses zu bemächtigen, das ich dir sogleich sagen werde – aber nur dir allein!‹
›Gott allein, meine Mutter‹, erwiderte Tiburcio, ›könnte uns auch nur diesen Mann wiederfinden lassen, der uns unbekannt ist.‹
›Gott allein?‹ rief die Witwe mit verächtlicher Miene. ›Ist das die Sprache eines Mannes? Wenn die Indianer kommen, das Vieh des Vaqueros zu stehlen, sagt er dann: ›Gott allein kann mir zeigen, was daraus geworden ist?‹ Nein, er sucht, und sein Auge weiß die Spur zu finden. Von heute an, wenn ich deiner nicht mehr bedarf, wirst du es machen wie der Vaquero, und du wirst den Mörder wiederfinden. Das ist der letzte Wunsch der Frau, die deine Kindheit behütete, und du wirst ihn erfüllen!‹
›Ich werde gehorchen, Mutter‹, erwiderte der junge Mann.
›Höre, was ich dir noch zu sagen habe!‹ fuhr sie fort. ›Die Ermordung Arellanos‘ ist keine Vermutung – sie ist eine Wirklichkeit! Folgendes hat mir ein Vaquero gesagt, der aus der Gegend jenseits von Lubac zurückkehrte. Einige Tage zuvor war er zwei Reisenden begegnet; der eine war dein Vater, der andere war ihm nicht bekannt. Der Vaquero, der denselben Weg als sie zu verfolgen hatte, war durch Untersuchung ihrer Spuren zu der Überzeugung gekommen, die er mir mitteilte: Dicht an der Stelle, wo die beiden Reisenden übernachtet hatten, bewies das niedergetretene und mit Blut überschwemmte Gras, daß hier der Schauplatz eines schrecklichen Kampfes gewesen war. Die blutigen Spuren führten bis zu einem Fluß, in den wahrscheinlich das Opfer hineingestürzt war. Dieses Opfer war Marcos; denn weiterhin hatte der Vaquero die Richtung, die der Mörder eingeschlagen hatte, an der in den Sand gedrückten Hufspur seines Pferdes wiedererkannt; das Pferd nämlich, das dieser Mann ritt, strauchelte zuweilen auf dem linken Vorderfuß. Außerdem mußte in dem Kampf der Mörder am Fuß verwundet worden sein, denn der Eindruck des einen Fußes war viel tiefer als der des anderen und bewies offenbar, daß er seit kurzer Zeit hinke.‹«
Der Hacendero hörte aufmerksam auf diese Probe des Scharfsinns seiner Landsleute, von dem sich zu überzeugen er täglich so viele Gelegenheiten hatte.
Der Mönch fuhr in seiner Erzählung fort. »›Höre mich!‹ nahm die Sterbende wieder das Wort. ›Schwöre, Arellanos zu rächen, und du sollst reich genug sein, daß deine Wünsche selbst von dem stolzesten und reichsten Mädchen – wäre es auch von der Tochter Don Agustin Peñas, für die deine Neigung mir nicht entgangen ist – günstig aufgenommen werden würden. Heute kannst du ohne Torheit daran denken, denn du kannst ebenso reich sein als ihr Vater. Sage mir, ob du schwörst, überall den Mörder Arellanos‘ zu verfolgen.‹
›Ich schwöre es!‹ antwortete Tiburcio.
Hierauf«, schloß der Franziskaner, »händigte die alte Frau ihrem Sohn ein Papier ein, auf dem Arellanos bei seiner Abreise die Marschroute verzeichnet hatte, die er selbst zu verfolgen gedachte. ›Mit den Schätzen, die dieses Papier dich wird finden lassen‹, fuhr die Sterbende fort, ›kannst du, wenn du willst, die Tochter eines Vizekönigs bestechen. Jetzt, mein Kind, da ich deinen Eid habe, laß mich diesem heiligen Mann beichten; ein Sohn darf niemals die Beichte der Mutter hören!‹«
Der Mönch erzählte nun mit wenigen Worten den Tod der Witwe Arellanos‘; darauf schloß er mit den Worten: »Seht, Don Agustin, das nahm mich ganz in Anspruch und bewog mich zu dem Wort, daß Tiburcio Arellanos, obwohl von unbekanntem Herkommen, nichtsdestoweniger ein sehr annehmbarer Vorschlag für die schöne Doña Rosarita sei.«
»Ich stimme bei«, sagte Don Agustin; »aber ich habe Euch schon gesagt, mein Wort ist an Don Estévan de Arechiza verpfändet!«
»Wie? Dieser Spanier«, fragte der Mönch, »sollte Euer Schwiegersohn werden?«
Der Hacendero lächelte mit geheimnisvoller Miene. »Er? Nein«, sagte er, »aber ein anderer! Don Estévan würde diese Verbindung nicht eingehen.«
»Pest!« rief der Mönch. »Er ist schwer zu befriedigen!«
»Vielleicht hat er ein Recht dazu«, erwiderte Don Agustin, mit derselben Miene lächelnd.
»Aber wer ist denn dieser Mann?« fragte der erstaunte Mönch abermals.
In dem Augenblick, als Don Agustin antworten wollte, kam ein Diener in das Zimmer, in dem diese Unterredung stattfand. »Don Agustin«, sagte er, »es sind zwei Reisende an der Eingangspforte, die Eure Gastfreundschaft für diese Nacht in Anspruch nehmen. Der eine von ihnen behauptet, mit Euch bekannt zu sein.«
»Sie sind willkommen«, sagte der Hacendero; »laßt sie eintreten! Zwei Gäste mehr – bekannt oder unbekannt – werden hier nicht zuviel sein.«
Einige Sekunden später kamen zwei Reiter an die Treppe, an deren oberem Ende sie der Besitzer der Hacienda erwartete. Der eine war ein Mann von etwa dreißig Jahren, dessen offenes Gesicht und hohe Stirn von ebensoviel Kühnheit als Verstand zeugten. Er war gewandt, schön gewachsen und mit Eleganz, wenn auch einfach, gekleidet.
»Ach, Ihr seid es, Pedro Diaz!« rief Don Agustin. »Gibt es etwa einige Indianer nicht weit von hier zu töten, daß Ihr Euch in unseren Einöden befindet?«
Pedro Diaz war in der Tat bekannt durch seinen Haß gegen die Indianer, durch seine Kühnheit im Kampf mit ihnen und durch seine Geschicklichkeit, sich aus der schlimmsten Lage zu ziehen. »Bevor ich Euch antworte«, sagte er, »erlaubt mir, Euch den König der Gambusinos und den Prinz der Musiker vorzustellen: Don Diego Oroche, der das Gold wittert wie ein Hund das Wild und die Mandoline spielt wie nur er allein.«
Die unter dem Namen Oroche vorgestellte Person grüßte den Hacendero ernst.
Es war indes wahrscheinlich schon lange her, daß das feine Gefühl, von dem Pedro Diaz sprach, Gelegenheit gehabt hatte, sich zu üben, oder die Karten waren dem Señor Oroche sehr ungünstig gefallen, denn sein Äußeres war nichts weniger als einnehmend. Um mit der Hand an seinen Hut zu fassen, brauchte er nicht die Falten seines Mantels in Unordnung zu bringen, in den er sich kunstvoll gehüllt hatte. Es war hinreichend, unter den Löchern dieses Mantels eines zu wählen, um nach Belieben seine mit harten und spitzen Nägeln bewaffnete Hand auszustrecken, deren wunderbare Länge ihn als einen Mandolinenspieler ankündigte. Wirklich trug er eine solche quer über dem Rücken. Während er sich höflich vor dem reichen