Hann Klüth: Roman. Georg Engel
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Читать онлайн книгу Hann Klüth: Roman - Georg Engel страница 16
»Line,« lockte er nochmals.
Kein Laut!
Nur die Eichenkronen schüttelten sich und an dem bröckligen Mauerwerk lachte die Abendröte.
Ein Eichhörnchen hockte in einer Fensternische und zog ihm eine Nase.
Unvermittelt erhielt er im Rücken einen Stoß, so daß er vorwärts taumelte. Eine Baumwurzel krümmte sich vor seinen Füßen. Die ließ ihn stolpern.
Er kniete jetzt.
»So wird's gemacht,« klang hinter ihm Lines schadenfrohe Stimme, »du bist doch nicht klug genug.«
»Teufel nochmal, Ding; woher kommst du?«
»I, ich wollte dir bloß zeigen, daß ich auch manches kann, was du nicht weißt.«
Sie weidete sich einen Moment an dem Knienden und zeigte ihre weißen Zähne.
Plötzlich schrie sie auf.
Der Sekundaner war auf die Füße geschnellt und preßte mit einem festen Griff ihre Hände in den seinen.
»So,« forderte er atemholend, »nun bitt' ab.«
»Nein,« widersprach Line.
»Kleine, sei artig,« ermahnte der Lehrling. »Solche Wildheit muß dir abgewöhnt werden. Immer friedlich, Wurm.«
Allein sie sträubte sich, und er gab sie nicht frei. Bei dem Winden und Drehen stieg ihr das Blut in die Wangen, der geschmeidige Körper bog sich wie eine schlanke Gerte. Eine kurze Zeit, dann verließ sie die Kraft, und allmählich drängten sich ihr ein paar große Tropfen in die Augen.
»Tu ich dir weh?« forschte Bruno gespannt.
Line verbiß den Schmerz.
Er aber zog hastig seine Hände von ihr zurück und gab sie frei.
Merkwürdig – jetzt hätte sie entwischen können. Doch sie blieb und ging von jetzt an ruhig neben ihm her.
So waren sie bis an die niedrige, verfallene Feldsteinmauer gelangt, welche die Ruinen der Landstraße abschließt.
In der Abendsonne wand sich hier die Chaussee wie eine goldene Schlange vorbei, zur Seite schob der Wald seine dunklen Massen weiter ins Land hinein, und ganz hinten aus den nebligen Äckern, umquollen von den sich hebenden Abenddünsten, rollte unter undeutlichem Läuten die Sekundärbahn heran.
Bruno blieb stehen. Ihm kam der Gedanke, daß er das alles heute für lange Zeit zum letztenmal sehen würde.
Leise vor sich hinsummend, ließ er sich auf dem Mauerwerk nieder und starrte in die weite, nebeldampfende Ebene hinein. So merkte er erst nach einer Weile, wie das Mädchen unschlüssig neben ihm verharrte, weil sie sich scheuen mochte, in ihrem weißen Festkleid ebenfalls auf der schmutzigen Mauer Platz zu nehmen. Da zog er sie einfach an sich.
»Komm!«
Und ohne viel Umstände, kindlich und natürlich setzte sie sich ihm auf die Knie. Er schlug seinen Arm um sie, und sie rückte sich zurecht.
Nach geraumer Zeit erst äußerte der Sekundaner: »Das ist hübsch.«
Und Line nickte ernsthaft dazu und sagte: »Ja, das ist es.«
Dazu lag still und warm und rot die scheidende Abendsonne auf ihnen und aus den herbstlichen Bäumen raschelten braune Blätter auf ihre Häupter.
Da wandte sich Line nach ihm zurück. Als sie ihn ansah, bemerkte sie mit Erstaunen, daß in dem hübschen braunen Gesicht des Pflegebruders ein dunkles Schnurrbärtchen auf der Oberlippe zu sprossen begann. Das war ihr neu. Und aus ihren Augen und aus dem sich langsam öffnenden Munde sprach so viel Bewunderung, daß Bruno, der wohl fühlte, daß etwas Schmeichelhaftes für ihn darin lag, das kleine Ding plötzlich lachend und doch mit Hast an sich riß.
Sie sträubte sich gar nicht.
Ganz eng schmiegte sie sich an ihn, ja, sie verkroch sich geradezu an seiner Brust, so daß er deutlich empfand, wie weich und fest zugleich ihre Glieder sich fügten.
Eine schülerhafte, scheue Begierde stieg in ihm auf, auch ihren Mund zu berühren. Die roten Lippen leuchteten ihm so dicht!
Aber nein – nein, das wagte er nicht.
Es war überhaupt das erste Mal, daß er so kosend nah sich einem Mädchen fand. Und nun noch gerade diese! —
Nein!
Er schämte sich, fürchtete sich und lächelte doch ein wenig unwillig über sich selbst.
Ein merkwürdiger, angenehmer Schauer begann ihn dabei zu überrieseln. Und sie wand sich immer wohliger in seinem Arm. Noch war ihr unklar, warum, doch immer tiefer nistete sie sich bei ihm ein, blinzelte verstohlen zu dem Schnurrbärtchen empor und spann vor Freude, wie eine kleine Katze vor dem Schlummern.
Wieder wiegten sich beide einen fröhlichen Moment. – Dann surrte die Sekundärbahn mit ihren drei schwarzen kreischenden Waggons heran, und ein schriller, durchdringender Pfiff weckte beide auf.
Sie sahen sich an.
Dann mußten sie lachen. Keiner wußte den Grund.
Es war das Lachen zweier blutjunger Menschen, die sich entdeckt haben.
Aber sie wußten es nicht.
Langsam schlich der Abend über die Landstraße. Rechts und links fing er in seinem schwarzen Sack die letzten Sonnenstrahlen, die wie goldene Mäuschen über den Weg huschten.
Überall stiegen Schatten an Mauern und Bäumen empor und griffen nach der Röte, die dort noch ruhte.
Die Sekundärbahn, die am Fluß entlang auf die Stadt zustrebte, fuhr wie in einen dunklen Tunnel hinein. – Nur ihre roten Augen, die sie auf dem Rücken besaß, glimmten noch eine Weile nach dem einsamen Paar zurück.
Da wand sich Line von Brunos Knien herab und streckte den Arm nach den roten, blinzelnden Augen aus. »Morgen abend bist du auch da drin,« begann sie beinah anklagend.
»Ja, morgen abend schlafe ich schon in der Stadt,« entgegnete er rasch.
Hastig atmete er dabei auf.
»Was wirst du in der Stadt anfangen?« fragte sie weiter.
Er sah sich um, ob ihn auch niemand höre. Dann schlüpfte ganz heimlich das Unterste, Verborgenste aus ihm heraus.
Der Traum, der tief in der Seele im verschlossenen Kämmerchen auf weichem Bette geschlummert, der stieg scheu und schämig auf die Erde.
»Reich will ich werden, Line.«
»Reich?«
»Sehr reich. Unermeßlich reich.«
»Wozu willst du das?«
Mit