Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band - Gerstäcker Friedrich

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der hier in seinem guten Recht zu sein glaubte und sich als freier Amerikanischer Bürger zurückgesetzt und beleidigt fühlte – »übrigens verbitte ich mir alle Anzüglichkeiten.«

      »Where do you hail from!« tönte aber des Amerikaners Ruf noch einmal herüber.

      »Ich würde mich noch einmal bei ihm bedanken, Herr Steinert« sagte Maulbeere, der seine innige Freude an dem Zwischenfall gehabt, ermunternd; »er wird Sie wahrscheinlich nicht verstanden haben.«

      Steinert war aber zu klug Maulbeeres Rath – den er in dem sehr gegründeten Verdacht hatte, sein Bestes eben nicht zu wollen, zu folgen, und Capitain Siebelt konnte die nöthigen Antworten auf diese, wie die späteren Fragen: »wie lange Reise?« – »Alles wohl an Bord?« gehörig beantworten.

      Der schnaubende Dampfer hielt jetzt mehr auf sie zu und Matrosen sprangen an Bord der Haidschnucke mit bereit gehaltenen Tauen hin, sie in Wurfs Nähe an Deck des Schleppschiffs zu schleudern, während sie dort rasch aufgefangen und befestigt wurden. Die Zwischendeckspassagiere, die jetzt natürlich überall im Wege standen, stieß man dabei bald hier bald da zur Seite, aber sie ließen sich heute Alles gefallen, war doch das Schiffsleben überhaupt bald überstanden, und das hier nur noch eine kleine, leicht zu ertragende Unbequemlichkeit, für die sie in wenigen Stunden – sie zählten nicht einmal mehr nach Tagen – das ganze Amerikanische Reich entschädigen sollte.

      Festgeschnürt an Bord des viel niedrigeren kleinen Dampfers lag jetzt das Segelschiff, das ihnen noch nie so groß erschienen war wie in diesem Augenblick; alle Segel schlugen aber, in ihren Schoten gelöst, an den Raaen, und an den Tauen hingen die Matrosen sie aufzugeyen, während ein Theil schon wie Katzen an den steilen Wanten emporkletterte und an den Raaen hinauslief, die Segel überhaupt vollständig einzuziehn und festzuschnüren auf ihren Hölzern.

      Der Wind war indeß, wie die Seeleute sagen, fast vollständig eingeschlafen, und die Hitze schwül und drückend, nichts destoweniger setzte das Schiff mit Hülfe des Dampfers, seine Fahrt weit rascher, als sie die letzten Tage zu segeln gewohnt gewesen waren, fort, und die Küste, oder das wenigstens was sie bis jetzt für festes Land gehalten, rückte ihnen rasch näher. Das aber was ihnen bis dahin eine weite grüne Wiesenfläche geschienen, auf der sie, freilich umsonst, nach grasenden Heerden umhergesucht, zeigte sich jetzt, wie sie es endlich erreichten, als ein weiter trauriger Schilfbruch, dessen dunkelgrüne schlanke Halme aus der, ihnen nun entgegenquillenden schmutziggelben Fluth des mächtigen Mississippi, dessen untere Ufer sie bildeten, herausschauten, und in der starken Strömung zitterten und schwankten.

      »Das ist Amerika?« rief da eine der Frauen, die mit vorn auf der Back stand, und deren Blicke bis dahin nur ängstlich und erwartungsvoll an dem näher und näher kommenden Lande gehangen – »lieber Gott, da kann man ja nicht einmal an's Ufer gehn.« Manche der übrigen Passagiere schauten jetzt ebenfalls, mit keineswegs mehr so zuversichtlichen Mienen als sie noch an dem Morgen gezeigt, auf die wüste Fläche von Schilf und Wasser hinaus, die sie schon zur rechten und linken Seite umgab, und, der Aussage des zweiten Steuermanns nach, das Ufer des Mississippi bildete. Es war ein beengendes erdrückendes Gefühl das sie erfaßte – die erste getäuschte Hoffnung in dem neuen Land, das sie sich mit allem Zauber südlicher Zonen, wenn auch heimlich doch nur zu eifrig ausgeschmückt, und das jetzt vor ihren Augen wie ein stehender endloser Sumpf begann.

      »Aber wo um Gottes Willen wohnen die Menschen?« riefen Andere aus – »hier kann man ja doch nicht leben in Wasser und Schilf?« —

      »Dort sind Häuser – dort hinten – wo? – dort wo der dunkelgrüne Streif hinaufläuft und die Sonne auf das Wasser blitzt; gleich rechts davorn. Ja wahrhaftig – da stehn Häuser – das ist New-Orleans!« riefen und flüsterten zaghafte Stimmen durcheinander und Steinert selbst war auf einmal ungemein kleinlaut geworden, und saß, mit auf den Knieen gefalteten Händen vorn auf dem Bugspriet die ihn umgebende Scenerie schweigend zu betrachten.

      »Das New-Orleans? – Unsinn« lachten aber einige der Matrosen, die jene Bemerkung gehört, und schon früher einmal die »Königin des Südens« – wie New-Orleans von den Amerikanern genannt wird, besucht hatten – »das ist hier nur eine der Mündungen des Mississippi und die Häuser dort sind La Balize; das hohe Land aber liegt weiter oben.«

      »Weiter oben« das war ein neuer Hoffnungsstrahl in die Nacht des Zweifels, der die armen Auswanderer eben zu erfassen drohte – »weiter oben.« Aber noch immer ließen sich keine Berge erkennen; die öde Fläche schien sich viele viele Meilen weit auszudehnen und der Fluß wälzte trüb und reißend seine schmutzige Fluth an ihnen vorüber.

      »Dort liegt ein Schiff – dort noch eins – « ging jetzt der Ruf über Deck, »ha dort oben kommen eine ganze Menge – ich kann die Masten erkennen« zeigten Einzelne den Anderen ihre Entdeckung. Die kamen von oben herab, ja die wußten wie es dort aussah, und mit einer gewissen Ehrfurcht hingen ihre Blicke an den fernen Fahrzeugen, deren Umrisse sie noch nicht einmal deutlich unterscheiden konnten.

      Bis sie aber die immer deutlicher werdenden Häuser erreichten, wollten manche der Zwischendeckspassagiere gern von den Matrosen, die schon erklärt hatten daß sie in New-Orleans gewesen waren, etwas Näheres über die Stadt und deren Umgegend wissen; die Leute waren aber viel zu sehr beschäftigt ihren Fragen Rede stehn zu können, und sie mußten sich zuletzt darein finden eben abzuwarten, wie sich ihnen die Stadt selber zeigen würde. Ewig konnte das ja nun doch nicht mehr dauern.

      Ziemlich langsam gegen die starke Strömung rückten sie indessen vorwärts, die schon in Sicht gekommenen Gebäude, in den Windungen des Flusses bald rechts bald links lassend, und erreichten endlich den Platz wo eine Anzahl hölzerner Gebäude auf Pfählen, und nur von Schilf und Schlammwasser umgeben mitten in diesem entsetzlichen Sumpfe standen und in der That auch nur durch hochgelegte Planken unter sich verbunden waren.

      Dieß Lootsendorf, die sogenannte Balize, bot in der That einen traurigen Anblick, und man begriff nicht wie Menschen dort überhaupt existiren konnten. Die weite Fläche der See selbst that dem Auge, in Vergleich mit dem öden Sumpfe wohl, der sich hier nach Norden, Osten und Westen ausdehnte, und die Passagiere erschraken als die Glocke des Dampfschiffs läutete, denn sie fürchteten jetzt das, was sie noch an dem Morgen so heiß ersehnt – gelandet zu werden. Das Signal galt aber einem, noch eine kleine Strecke weiter oben liegenden Segelschiff, das jetzt seine Flagge aufhißte und zur Freude der Auswanderer die Hamburger Farben zeigte. Dort waren halbe Reise- und ganze Leidensgefährten, und als die Haidschnucke, mit der Bremer Flagge noch immer auswehend, dem Hamburger Schiffe näher kam, grüßte sie von dort, wie sie erst selber den Amerikaner bewillkommt, ein donnerndes Hurrah, das sie allerdings, aber lange nicht mehr so kräftig wie heute früh, beantworteten.

      Sie erfuhren jetzt auch, daß der Dampfer das andere deutsche Schiff ebenfalls in's Schlepptau nehmen würde, aber sie freuten sich nicht besonders darüber, denn nicht mit Unrecht fürchteten sie dadurch nur soviel langsamer von der Stelle zu rücken. Das kümmerte jedoch den Amerikaner wenig, der sich für die Fahrt den doppelten Verdienst natürlich nicht entgehen ließ, und das Hamburger Schiff, Orinoko wie es hieß, erst hierher gebracht und vor Anker gelegt hatte, noch ein zweites aus dem Golf dazu zu holen, ehe er es nach New-Orleans hinauf zog.

      Der Hamburger hatte indeß, unter dem lauten taktmäßigen Singen der Matrosen, seinen Anker aufgeholt, als der Dampfer an ihn hinanlief und ihn an den anderen Bug nahm, die Taue wurden befestigt, wie sie früher an der Haidschnucke befestigt waren, und wenige Minuten später schnaubt das kleine aber kräftige Boot mit seiner doppelten Last, aber nicht viel langsamer als vorher, den mächtigen Strom hinauf.

      Die Zwischendeckspassagiere der Haidschnucke hatten nun allerdings nichts Eiligeres zu thun als einen Versuch zu machen, von ihrem Schiff hinunter, über das Dampfboot hinweg, an Bord des Landsmannes zu klettern, und dort Bekanntschaft mit dessen Passagieren zu machen. Darin sollten sie sich aber getäuscht sehn, denn die Steuerleute verboten es ihnen nicht allein auf das Entschiedenste,

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