Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band - Gerstäcker Friedrich

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selber auszuschaun; da fiel sein Blick auf das bleiche Antlitz des Dichters und zu ihm hinantretend und ihn derb an der Schulter schüttelnd rief er gutmüthig:

      »Sie da, Sie wollen wohl ein schiefes Gesicht kriegen, daß Sie hier im Monde liegen und schlafen.«

      »Ich habe nicht geschlafen – lassen Sie mich zufrieden!« rief Theobald, entrüstet aufspringend.

      »Nu, nu, Fiepchen biet mi nich« sagte der Steuermann lachend weitergehend – »es ist doch hoffentlich kein Unglück geschehn.«

      Marie, die wie Fräulein von Seebald Zeuge der Scene gewesen war, lachte heimlich vor sich hin, aber ihre ältere Freundin sagte seufzend:

      »Das ist ein entsetzlicher Mensch, dieser Untersteuermann, roh an Geist und Gemüth, wie an Gestalt.«

      »Mich amüsirt er« lachte Marie, »und was kann man von ihm viel verlangen. Er ist Seemann, und scheint sein Geschäft aus dem Grunde zu verstehen; daß er derb ist, gehört mit dazu.«

      »Ich werde schlafen gehn« sagte Fräulein von Seebald – »dieser Abend hat meine Nerven furchtbar angegriffen, und eine lange Zeit wird dazu gehören das wieder gut zu machen. Gute Nacht!«

      Sie sprach die letzten Worte ziemlich laut, und ein Seufzer klang fast wie antwortend vom Fuß des großen Mast's herauf. Marie sah sich danach um, aber ihre Mutter rief sie in dem Augenblick; es wurde feucht an Deck in dem Flußnebel, und die Damen zogen sich in ihre Cajüten zurück.

      Capitel 2

      New-Orleans

      Waren die Passagiere der Haidschnucke schon am vorigen Tage früh aufgewesen, Land zu entdecken, so zeigten sie sich heute noch viel zeitiger an Deck, denn was sie vom Land gestern Abend gesehn, hatte ihre Neugierde nur noch mehr und gewaltiger geweckt. Sehr zum Ärger der Seeleute also, die heute Morgen das Deck besonders sauber zu waschen hatten und jetzt die Passagiere überall im Wege fanden, kletterten die meisten schon mit Tagesanbruch aus ihrer Luke vor, und die Matrosen theilten manchen Eimer Seewasser mit gut gezieltem Wurf unter sie aus, wo das nur irgend mit einer Entschuldigung von »nicht gesehen haben« oder »nicht wissen können« zu ermöglichen war. Viele staken dabei schon in ihren besten Kleidern, und Manche bereuten in der That ihren »Sonntagsstaat« nicht bis zum entscheidenden Augenblick aufgehoben und solcher Art vier und zwanzig oder gar noch mehr Stunden zu früh, preisgegeben zu haben.

      Steinert besonders, kam mit seinen weißen Hosen am schlechtesten weg, denn nicht allein daß ihnen der letzte Tag an Deck keineswegs zuträglich gewesen, und einige lange und runde Theerstreifen und Flecken nur zu deutlich die Stellen verriethen, wo er sich leichtsinniger oder vergeßlicher Weise angelehnt, nein er bekam auch heute Morgen, als er vor der Cambuse stand und dem Koch unter falschen Versprechungen eine vorzeitige Tasse Kaffee abzulocken suchte, einen vollen Eimer Seewasser angegossen, dessen Urheber sich später allerdings nicht ermitteln ließ, dessen Wirkung aber total die Frage entschied, ob er möglicher Weise noch mit der Hose New Orleans betreten konnte oder nicht.

      Ein leichter dünner Nebel lag übrigens auf dem Wasser, der die angestrengteste Aufmerksamkeit der Lootsen erforderte, während er die Ufer bis ziemlich zu den Wipfeln der Bäume mit einer feinen Art von Hehrrauch füllte. Wie die Sonne aber höher und höher stieg sanken die weißen Schwaden, einem Schleier gleich zu Wasser nieder, und die armen seemüden Auswanderer konnten einen Jubelruf kaum unterdrücken, als, wie mit einem Zauberschlag die prachtvollste, herrlichste Landschaft vor ihren Augen lag, die sie sich in dem Schmuck fremdartiger Vegetation, nur je gedacht.

      Verschwunden war der dunkle Wald mit seinem wehenden Moos, oder zurückgedrängt wenigstens, weit zurück zu einem niedern Streifen am Horizont, zu einem Rahmen des Gemäldes, das sich jetzt ihren Blicken entrollte, und wie aus dem Boden mit einem Schlage herausgewachsen schien. Reizende Landhäuser mit wunderlich ausgezweigten Bäumen schauten mit ihren dunklen Dächern und weißen Mauern, luftigen Verandahs und kühl verwahrten Fenstern aus dichten Bosquets blühender Tulpenbäume und fruchtschwerer Orangenhaine vor, und weite, regelmäßig angelegte Colonieen niederer aber reinlicher und vollkommen gleichmäßig gebauter Häuser – die zu den Plantagen gehörenden Negerwohnungen – schlossen sich ihnen an und trennten sie von weiten wogenden Zuckerrohr- und Baumwollenfeldern; Schaaren geschäftiger Neger in ihren weißen Anzügen arbeiteten in diesen, und auf der breiten Straße, die dicht am Ufer des Stromes hinaufzuführen schien, rasselten leichte bequeme Chaisen, und gallopirten stattliche Reiter mit breiträndigen Strohhüten und leichten lichten Sommerkleidern auf und nieder.

      Und so belebt wie das Ufer war der Strom; Massen von kleinen Segelbooten glitten herüber und hinüber zu den sonnigen Ufern, breite Dampfer schnaubten hinab, die Produkte des üppigen Landes fernen Zonen zuzuführen, und mächtige Seeschiffe lagen hie und da am Ufer vor Anker, ja oft mit Tauen an irgend einen Baum befestigt, am Land hoch aufgestapelte Baumwollenballen und lange dunkle Reihen von Zucker- und Syropsfässern an Bord zu nehmen, und zu kälteren Welttheilen hinüber zu tragen.

      Und daran vorbei keuchte das wackere kleine Dampfboot, die beiden Kolosse aufschleppend gegen den mächtigen Strom, und so dicht am Ufer streiften sie nicht selten hin, daß sie die Neger konnten in den Feldern singen hören, und die weißen Frauen erkannten, die in luftiger Morgenkleidung auf ihren Blumen geschmückten Verandas saßen und auf den Fluß und das rege Leben und Treiben um sich her hinausschauten.

      Die Passagiere der Haidschnucke waren außer sich, und so niedergeschlagen sie durch den alleinigen Anblick der flachen Sumpfstrecke an der Mündung geworden, so scharf gingen sie jetzt, und mit verhängten Zügeln zum anderen Extrem über. Die Leute sangen und tanzten und schrieen und lachten und jauchzten, wie ebensoviele dem Irrenhaus Entsprungene, und jubelten Einer dem Anderen zu, da drüben lägen die Farmen in die sie jetzt hineinziehn würden, das sei das Land, von dem der ganze Acker nur 1¼ Dollar koste, und Einzelne redeten sogar davon sich gleich Papier und Feder und Dinte geben zu lassen und nach Hause zu schreiben, daß ihr ganzes Dorf nur gleich herüber käme über's Wasser, und Theil nähme an der Herrlichkeit.

      Die Oldenburger waren die übermüthigsten, und vorn auf der Back, wo sie sich auf den Starbord-Anker gesetzt hatten und einander immer auf neu entdeckte Herrlichkeiten des Ufers aufmerksam machten, brach sich ihr Jubel endlich in einem Liede Bahn, das sie schon den ersten Tag auf der Weser einmal gesungen, dann aber ganz vergessen zu haben schienen, und dessen Schlußvers, von der ganzen Schaar als Chor gesungen lautete:

      »In Amerika können die Bauern in den Kuts-chen fahren

      In den Kuts-chen mit Sammet und mit S-e-i-de.

      Und sie essen dreimal Fleisch, und sie trinken Wein dazu

      Und das ist eine herrliche Freu-i-de!«

      Das Wort Kuts-chen sprachen sie dabei so aus, das sie das s vollkommen vom ch trennten, während das letzte Wort »Freude« mit aller Kraft der Stimmen herausgeschrieen wurde, vielleicht den empfundenen Grad von Seligkeit dadurch anzudeuten.

      Je mehr sie sich aber der Hauptstadt von Louisiana, dem prächtigen New-Orleans näherten, desto lebendiger wurde der Strom; die Fahrzeuge, welche die Verbindung der einzelnen kleinen Städtchen und Plantagen mit der »City« unterhielten, wurden häufiger – Dampffähren kreuzten herüber und hinüber, eine Anzahl kleiner Segelboote führte die Produkte des Landes nach der Stadt, und überall an den Ufern, an denen reizende Pflanzerswohnungen unter Blüthenbüschen und Fruchtbäumen versteckt lagen, ankerten volle Schiffe, Brigs, Barquen und Schooner, die letzteren meist mit Negern und Mulatten bemannt, und die bunten Flaggen im Winde flatternd.

      Aber weiter, immer weiter schnaubte das Boot; hie und da tauchten weiße Häusermassen auf, aus dunklen Streifen bis zum Ufer des Stromes reichender Waldung immergrüner Magnolien und mächtiger Cottonbäume; aber das war noch lange nicht New-Orleans, – die Villen wuchsen zu Städten an, und immer

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