Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band. Gerstäcker Friedrich
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Auch die Cajütenpassagiere waren recht still und nachdenkend geworden, Herr von Hopfgarten, der sich anfänglich mit dem Professor in einen großen ökonomischen Streit eingelassen, hatte den und die ganze Verhandlung in dem Lied vergessen, und horchte ihm noch viele Minuten, als es schon längst in dem Rauschen des Stromes und dem monotonen Klappern der neben ihnen arbeitenden Maschine verschwommen war.
Herr Henkel ging indeß auf der einen, Herr von Benkendroff auf der anderen Seite des Besahnmastes spatzieren, während Frau Professor Lobenstein, ihre beiden jüngsten Kinder an sich geschmiegt am Fuße desselben auf einer Bank saß, und der Nacht dankte die ihr die einzeln niederrollenden Thränen verbarg vor dem Auge der Menschen.
Nur Doctor Hückler lag behaglich der Länge nach ausgestreckt auf der Scheilichtklappe, dampfte seine Cigarre in den wundervollen Abend hinein, und trommelte zu den Liedern den falschen Takt auf dem Holz, auf dem er ruhte.
Eine Zeitlang hatte ununterbrochenes Schweigen an Bord geherrscht; es war fast, als ob sich Jeder scheute den Zauber zu brechen der auf den Schiffen, durch diese einfachen vaterländischen Weisen heraufbeschworen lag, als plötzlich vom vorderen Theil der Haidschnucke, ja fast wie von dem jetzt ziemlich nahen Lande kommend, an das sie das Fahrwasser des mächtigen Stromes gebracht hatte, der volle glockenreine klagende Ton einer Nachtigall herüber drang.
»Was ist das?« rief Marie fast erschreckt auffahrend – »giebt es hier Nachtigallen in den Wäldern?«
»Das ist nicht im Wald, das ist an Bord« sagte aber Anna, sich hoch empor richtend – »doch zum ersten Mal schlägt sie, seit wir in See sind.«
»Du lieber Gott, sie hat die nahen Bäume gespürt und sehnt sich nach dem Lande« sagte Marie tief aufseufzend, – »ist es uns doch selbst ganz weh und weich um's Herz geworden, als wir wieder die rauschenden Bäume hörten. Oh weißt Du, Clara, noch die Nachtigall, die immer so wundervoll vor Deinem Fenster schlug – aber – um Gottes Willen was ist Dir – Clara – liebe Clara!«
Der Ausruf galt der jungen unglücklichen Frau, die schon, von den heimischen Liedern aufgeregt, nur mit Mühe ihre Fassung bewahrt hatte, jetzt aber bei der so wohlbekannten so heißgeliebten Weise der Nachtigall, die mit furchtbarer Kraft die Erinnerung an die verlassene Heimath – an ihr jetziges Elend zurückrief in das gequälte Herz, das mächtig ausbrechende Gefühl nicht mehr zurückdrängen konnte und das Antlitz an Hedwigs Schulter bergend, heftig weinte. Marie hatte ihren Arm um sie gelegt und suchte sie emporzurichten und zu sich herüberzuziehen; sie wehrte ihr leise, behielt aber ihre Hand die sie wie krampfhaft preßte, in der ihren.
»Liebe, liebe Clara!«
»Laß mich, mein liebes Kind – es wird gleich besser sein« flüsterte die Frau – »nur eine Art von Weinkrampf ist's, der wohl mit meinem Unwohlsein zusammenhängt.«
»So will ich Deinen Mann rufen – es muß doch wohl – «
»Nein – nein!« rief Clara aber rasch und fast heftig – »nicht – nein, es ist nicht nöthig« setzte sie langsamer hinzu, »und wird gleich vorüber gehen ja ist schon vorbei. Mir ist schon wieder besser Marie, so ängstige Dich nicht meinethalben.«
»Du solltest doch einmal einen Arzt fragen liebes Herz« sagte aber auch jetzt Anna, die zu ihr getreten war und ihren Arm leise berührte »Du siehst seit einigen Tagen bleich und krank – recht krank aus, Clara, viel kränker wie Du es vielleicht selber denkst, und darfst nicht zu fest auf Deine, sonst so kräftige Natur trotzen. Auch das Plötzliche Deines Zustandes hat etwas beunruhigendes, das nicht vernachlässigt werden darf.«
»Was kann ihr der Doctor helfen« flüsterte aber Marie, von dem, unfern von ihnen ausgestreckt liegenden Stiefsohn Aesculaps nicht gehört zu werden – »der ließe sie höchstens zur Ader und erzählte uns bei Tisch wieder ein paar blutige Geschichten.«
»Der Doctor soll ihr auch Nichts helfen« erwiederte Anna, »aber im Zwischendeck ist, wie mir Hedwig erzählt, ein recht tüchtiger junger Arzt, der schon viele dort, rasch und anspruchslos wieder hergestellt, und den zu fragen, da wir ihn doch jetzt bei der Hand haben, gewiß Nichts schadete.«
»Nein, nein« bat aber Clara jetzt »ich weiß selber besser, wie nur ein Arzt, und wäre er der geschickteste, mir sagen könnte was mir fehlt. Es ist Nichts wie Erkältung mit vielleicht einiger Aufregung dazu, die mir der Abschied von zu Hause doch gemacht, und die sich, wenn auch etwas spät, in den Folgen zeigt. Ruhe ist das Einzige was mir helfen kann. Laßt mich still meinen Weg gehen, und wenige Tage haben mich vollkommen wieder hergestellt.«
»Oh wenn die Nachtigall nur noch einmal schlagen wollte« sagte Marie – »es war gar so schön – wenn ich nur wüßte wer sie mit auf See genommen.«
Während sie sprach war sie vorn an die Reiling des Quarterdecks getreten, an der Fräulein von Seebald stand und nach dem Mond hinaufschwärmte. Unten in Sicht auf dem niederen Deck saß nur eine einzige Person, und das helle Licht des Mondes fiel voll auf die ebenfalls andächtig erhobenen Züge des jungen Dichters.
Der zweite Steuermann kam jetzt von vorn und ging zu dem, seit das Schiff im Schlepptau hing, befestigten Steuer, die Taue nachzusehn.
»Oh wie wundervoll das war« seufzte in diesem Augenblick Fräulein von Seebald, mit dem Taschentuch eine Thräne von der Wange entfernend – »wie das Herz und Seele ergreift und mit den weichen, liebevollen Klängen alle Nerven nachfibriren läßt.«
»Ja, Schultze pfeift recht hübsch« sagte der Seemann, der gerade die kleine Treppe heraufkam und an ihnen vorbei wollte – »er macht seine Sache ausgezeichnet – es klingt ordentlich natürlich.«
»Wer pfeift recht hübsch?« rief Fräulein von Seebald entsetzt, die gegen den prosaischen Menschen seit jenem Gespräch einen Widerwillen hatte, den sie kaum so weit bezwingen konnte nicht unartig gegen ihn zu sein.
»Ih nu Schultze« sagte der Untersteuermann lachend – »er sitzt vorn auf der Back und pfiff wie eine Nachtigall; wie sie aber von allen Seiten auf ihn zu kamen, schwieg er still und will das Maul nicht mehr aufthun.«
»Das war keine Nachtigall?« rief Marie erstaunt, und Fräulein von Seebald seufzte nur leise und mit innerster Entrüstung.
»Schultze!«
»Ach das ist der Mann!« rief die lebendige Marie, die in der neuen Entdeckung bald die Nachtigall vergaß, »von dem Sie uns erzählten daß er den sonderbaren Glauben hätte, wir Menschen seien alle früher Vögel gewesen, und meine Mama eine Nachtigall. Eduard war er schon in Bremen aufgefallen, wo er sie scharf beobachtet hatte, wahrscheinlich mit der Entdeckung der Ähnlichkeit beschäftigt.«
»Jede Enttäuschung schmerzt« sagte aber Fräulein von Seebald, »und ich hatte mir das schon so reizend ausgemalt, es war ein so hochpoetischer Gedanke, daß wir in den waldigen Schatten Amerikas durch eine heimische Nachtigall begrüßt werden sollten – es ist vorbei – der Traum ist verschwunden und wir sind erwacht.«
Ein tief ausgeholter Seufzer vom untern Deck antwortete – es war Theobald, der ihre Worte gehört und schmerzlich mit empfunden hatte – er saß still und regungslos, den Kopf auf die Hand gestützt, an der Nagelbank des großen Mastes, und wie ihm die dunklen Locken fast unheimlich die bleiche Stirn umspielten, schaute er voll und lange in den Mond und nach dem Deck hinauf, auf dem die beiden Damen standen, und schloß dann die Augen, das Bild in seinem Inneren fest zu halten.
Der Untersteuermann kam wieder zurück (Fräulein von