Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band. Gerstäcker Friedrich
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Das aber verhinderte Steinert nicht eine sehr lebhafte, und natürlich außerordentlich laut geführte Unterhaltung von der Back der Haidschnucke aus, mit einigen Passagieren des Orinoko, über das Dampfschiff weg, anzuknüpfen, sich nach Zeit der Abfahrt und Erlebnissen der Reise zu erkundigen, und seine einzelnen Ansichten über die Haidschnucke, die nicht immer zu Gunsten derselben ausfielen, einzutauschen. Andere schlossen sich dem an, und die Conversation, von allen hohen Theilen des Schiffs und selbst den Wanten und Marsen ausgeführt, wurde bald allgemein; bis die Scenerie auf dem Strome selbst diesem ein Ende machte.
Schon seit einiger Zeit hatte ein Theil der Passagiere Bäume wirkliche Bäume voraus entdeckt, denn das einzige was sich ihnen bis jetzt an Vegetation außer dem Schilf und alten eingeschwemmten und versenkten Baumstämmen gezeigt hatte, waren nur niedere Weidenbüsche gewesen, und wie sie jene erreichten sahen sie auch den ersten festen Boden aus der gelben Fluth hervorragen.
»Da ist Land – da ist Land!« jubelte es in dem Augenblick vom Deck, als ob die Leute in der That geglaubt hätten daß Amerika im Wasser liege – »da sind Bäume, da ist Gras. Hurrah für Amerika.«
»Hurrah für Amerika!« jauchzte das Schiff nach und die Matrosen des Schleppdampfers hatten Nichts dagegen in den ihrer eignen Heimath gebrachten Jubelruf mit einzustimmen.
Es war indessen ziemlich spät am Tag geworden; während das Ufer aber zu beiden Seiten einen festeren Charakter annahm, mit hohen Bäumen besetzt und nur noch hie und da von Schilf durchwachsen, ließen sich noch immer keine menschlichen Wohnungen, hie und da eine kleine unansehnliche Hütte abgerechnet, erkennen; das Land schien eine unbewohnte Wildniß, die von den Passagieren schon mit Bären, Panthern und Büffeln belebt wurde, und die cultivirte Gegend lag jedenfalls noch weiter oben. Einzelne Schiffe begegneten ihnen jedoch jetzt, und zweimal sogar eine ordentliche kleine Flotte, von einem einzigen Dampfer stromab bugsirt, der an jedem Bord ein großes Schiff führte, und drei kleinere noch hinten an langen Leinen im Schlepptau hatte. Auch kleine Küstenfahrzeuge segelten und ruderten auf dem Strom, manche von ihnen mit farbigen Leuten bemannt, ihre kleinen Fahrzeuge bunt bemalt, und herüber und hinüber kreuzend gegen die starke Strömung des »Vaters der Wasser«.3
Aber die Sonne neigte sich ihrem Untergang, und was Manchem von ihnen schon auf der See aufgefallen war, die kurze Dämmerung, machte sich hier, wo sie das schattige Laub der hohen Bäume an ihrer Seite hatten, nur noch mehr bemerkbar. Kaum war das Taggestirn hinter dem dunkeln Waldstreifen, der das jenseitige ziemlich ferne Ufer deckte, verschwunden, als die Nacht mit einer Schnelle anbrach, von der sie bis jetzt wirklich keine Ahnung gehabt. Sie hielten dabei dem linken Ufer des Stromes zu, dort Holz für den Dampfer, dessen Kohlen auf die Neige gingen, einzunehmen, und die Passagiere freuten sich schon das Ufer betreten und die wunderliche Vegetation des neuen Landes beschauen zu dürfen, dessen riesige Bäume hier alle mit wehendem silbergrauen Moos bis hinab auf den Grund behangen schienen; doch hatten sie dasselbe noch lange nicht erreicht, als es schon unter den Bäumen dunkelte und das Licht der einzelnen dort wie versteckten Hütte, seinen rothglühenden Schein herüberschickte.
Das Einnehmen von Holz zeigte mit den tiefgehenden Schiffen seine Schwierigkeit, da der Dampfer mit diesen nicht so dicht an Land fahren konnte, und die Capitaine nicht gern vor Anker gehen wollten. Der Eigenthümer des Holzes war aber schon darauf eingerichtet, und hatte eine Anzahl Klafter in einem niederen und sehr breiten Boote mit flachem Boden aufgestapelt, mit dem er, auf den Anruf des Capitains eine Strecke in den Fluß hinaus fuhr und sich queer vor dem Bug des Dampfers legte. Von hier aus wurden die Scheite, während die Maschine wieder an zu arbeiten fing, und alle vier Fahrzeuge doch wenigstens gegen die Strömung stemmte, rasch an Bord geworfen, die Taue der Haidschnucke aber dann gelößt, damit das entladene Holzboot zwischen ihnen durch mit der Strömung zurücktreiben konnte, und der Schleppdampfer setzte seinen Weg jetzt wieder, in der Nacht ziemlich die Mitte des Stromes haltend, den zahlreichen im Flußbett angeschwemmten Stämmen auszuweichen, langsam fort.
Es war ein wundervoller Abend, der Mond hob sich, als sie kaum eine Stunde gefahren waren, über die Bäume, und goß sein silbernes Licht auf den breiten Strom, und die Passagiere der verschiedenen Schiffe hatten sich vorn auf Deck gelagert, und sangen wechselsweise in volltönenden oft harmonischen Chören ihre heimischen Lieder, die meist ernsten, schwermüthigen Inhalts gar wunderbar ergreifend über den stillen Strom klangen.
Frau von Kaulitz hatte unter der Zeit versucht ihre gewöhnliche Whistparthie zu Stande zu bringen, heute jedoch nicht einmal Herrn von Benkendroff bewegen können daran Theil zu nehmen, und saß jetzt, eine Patience legend, allein in der Cajüte. Es war ihr ein verlorener Abend den sie ohne Karten zubrachte. Die übrigen Passagiere saßen und standen in schweigenden Gruppen auf dem Quarterdeck umher, oder flüsterten leise mit einander, so eigen berührt waren sie selber von den heimischen Klängen denen sich das Herz, mag es das Vaterland noch so lang verlassen und es fast vergessen haben, doch nie verschließt.
Es liegt ein eigener Zauber in den Tönen die wir als Kind gekannt, geliebt, und die nicht selten schon Wurzel in der Kindesbrust geschlagen. Alte Gedanken, liebe und trübe Erinnerungen wecken sie dann wo wir sie wieder hören, und das Herz lauscht ihnen wollte selbst das Ohr den lieben Lauten den Eingang weigern.
»Wie das so reizend klingt auf dem stillen Strome« sagte Marie, die den Arm um der Schwester Schulter gelegt, neben Clara und Hedwig unfern der Quarterdeckstreppe stand, und nach dem Mond hinüberschaute – »ich könnte den Liedern die ganze Nacht lauschen, und doch habe ich sie schon so oft, so oft gehört.«
»Das ist es ja gerade was sie uns so lieb macht« lächelte die Schwester sich freundlich zu ihr neigend – »weißt Du noch wie wir daheim in unserem Gärtchen saßen, und die Zimmerleute unten vom Bauplatz, Abends, wenn sie an unserer Mauer vorbei zu Hause gingen all diese Lieder sangen, und wir sie weit weit noch hören konnten durch den stillen Abend.«
»Unser liebes Gärtchen« seufzte leise Marie, und auch der Schwester Brust hob sich in der schmerzlichen Erinnerung an das Zurückgelassene, aber sie wollte jetzt nicht jene Bilder heraufbeschwören und sagte rasch, der Schwester Arm berührend und dann nach dem Nachbarschiffe hinüber deutend, wo sie eben wieder ein anderes Lied begannen.
»Kennst Du das, Marie?«
»Noah« lachte die Schwester, »Herrn Kellmanns Leiblied, ei wenn er jetzt bei uns wäre, wie er da einstimmen würde nach Herzenslust. – Was er jetzt wohl treibt?«
Anna schwieg und lauschte den Tönen, bis sie in der Nacht verklungen waren.
Die Passagiere der Haidschnucke antworteten dem letzten Lied mit »Schweizers Heimweh«. Wenn aber die einzelnen Schiffe bis dahin allein gesungen, und so gewissermaaßen einen Wechselchor gebildet hatten, dessen einer immer erst begonnen wenn der andere geendet, und dem die Mannschaft des Schleppdampfers mit lautlosem Schweigen lauschte, so waren die ersten Töne dieses alten lieben heimischen Sanges kaum angeschlagen, als das Hamburger Schiff ebenfalls mit einstimmte, und der volle Chor weich und klagend durch die Nacht drang.
Herz mein Herz, warum so traurig,
und was soll das ach und weh,
S' ist ja schon im fremden Lande —
Herz mein Herz, was willst Du mehr.
Still und lautlos lauschten die Mädchen den lieben, schwermüthigen Klängen, und leise, leise, mit kaum bewegten Lippen fielen sie endlich mit ein in die Melodie, bis sie mehr Muth gewannen, und mit lauterer Stimme, aber innigem Gefühl dem Liede folgten. Wie aber der Schluß verklang, »doch zur Heimath wird es nie«, schwiegen beide Chöre –
3
Der Mississippi heißt in der bilderreichen Sprache der Indianer der »Vater der Wasser.«