Interviews Aus Dem Kurzen Jahrhundert. Marco Lupis
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Ihre Feinde bezeichnen Sie als Fanatikerin, oder ist sie â nach eigenen Aussagen â eine Frau, die etwas für ihr Land tun will? Politische Kreise in Bogotà boykottieren ihre Kandidatur. Insgeheim fürchten sie sie jedoch. Omar, der Chef ihrer Leibwächter sagt: «Wenn du in diesem Land ehrlich bist, riskierst du dein Leben». Sie kontert: «Ich habe keine Angst zu sterben. Die Angst schärft nur meine Sinne».
Punkt eins ihrer Wahlcampagne ist der Kampf gegen Korruption. An zweiter Stelle steht der Bürgerkrieg: «Der Staat muss mit den linken Guerillas verhandeln und zwar ohne Wenn und Aber» sagt sie abschlieÃend «und sich vom AUC, den rechtsgerichteten para-militärischen Gruppen distanzieren, die für die meisten Morde in diesem Land verantwortlich sind».
Aber wie kann man tagtäglich ein Leben unter Bedrohung und in Angst führen?
«Möglicherweise wird auch das zur Gewohnheit. Eine schreckliche Gewohnheit. Erst kürzlich» sagt sie abschlieÃend mit ruhiger Stimme, «fand ich beim Ãffnen der Post das Foto eines abgeschlachteten Kindes. Darunter stand: âSe ñ ora Senatorin, auch Ihr ist schon bezahlt. Für Ihren Sohn haben wir eine Sonderbehandlung reserviertâ¦â»
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6
Aung San Suu Kyi
Friedensnobelpreisträgerin 1991
Frei von Angst
Auf Druck der UNO wurde Aung San Suu Kyi am sechsten März 2002 freigelassen. Die Nachricht ging um die Welt, auch wenn ihre Freiheit nur von kurzer Dauer war. Am dreiÃigsten Mai 2003 eröffnete eine Gruppe Militärs das Feuer auf ihren Konvoi, in dem sie sich zusammen mit vielen Anhängern befand. Es gab viele Tote und nur den Reflexen ihrer Fahrers Ko Kyaw Soe Lin war es zu verdanken, dass Aung San Suu Kyi sich retten konnte; allerdings wurde sie erneut unter Hausarrest gestellt.
Am Tag nach ihrer Freilassung im Mai 2002 gelang es mir auf Grund einiger Kontakte zu birmanischen Dissidenten, ihr eine Reihe von Fragen für ein âFerninterviewâ per Mail zukommen zu lassen.
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Die Wachen, die vor der Residenz von Aung San Suu Kyi, Leader der demokratischen Opposition von Birma Posten bezogen hatten, waren um zehn Uhr des gestrigen Tages still und heimlich wieder in ihre Kaserne zurückgekehrt. Durch diesen überraschenden Schachzug hatte die Militärjunta von Rangun die Restriktionen aufgehoben, die die Anführerin der Pazifisten oder âdie Ladyâ, wie sie von der birmanischen Bevölkerung genannt wurde, in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkten. Die Friedensnobelpreisträgerin von 1991 stand nämlich bereits seit Juli 1989 unter Hausarrest.
Seit gestern Morgen zehn Uhr stand es Aung San Suu Kyi nach fast dreizehn Jahren frei, das Haus am See zu verlassen; sie durfte reden, mit wem sie wollte, sich politisch betätigen, sie durfte ihre Kinder sehen.
Aber ist die schreckliche Isolation der âpassionierten Birmaninâ wirklich vorbei? Die im Exil befindliche Opposition glaubt noch nicht an die hochtrabenden Worte der Militärjunta, die erklärt hatte, sie ohne Bedingungen freizulassen.
Die birmanischen Exilanten warten ungläubig und beten. Seit gestern hat nämlich die birmanische Diaspora in allen buddhistischen Tempeln Thailands und Ostasiens zu Gebetszeremonien aufgerufen.
Sie, die Lady , hat nach ihrer Freilassung keine Zeit verloren und sich sofort im Auto zu ihrer Parteizentrale begeben, zum
Hauptquartier der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), die bei den Wahlen von 1990 (mit achtzig Prozent aller Stimmen) eine überwältigende Mehrheit gewinnen konnten, während die Regierungspartei der Nationalen Einheit sich nur zehn der 485 Sitze sichern konnte. Die Militärregierung annullierte das Wahlergebnis, verbot alle Aktivitäten der Opposition, unterdrückte gewaltsam alle StraÃendemonstrationen und die Oppositionsführer wurden ins Gefängnis geworfen oder ins Exil verbannt. Das neue Parlament wurde nie einberufen.
Die italienische Ausgabe ihrer Autobiographie trägt den Titel âLibera dalla pauraâ. [frei von Angst] Entspricht das ihren aktuellen Gefühlen?
Jetzt fühle ich mich zum ersten Mal nach über zehn Jahren frei, frei im physischen Sinne. Insbesondere frei zu handeln und zu denken. Wie ich in meinem Buch schreibe fühle ich mich schon seit etlichen Jahren âfrei von Angstâ. Seit ich begriffen habe, dass der in meinem Land herrschende Machtmissbrauch mich verletzen und demütigen konnte, ja mich sogar hätte umbringen können, aber das konnte mir keine Angst mehr machen.