Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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einflößen kann und umgekehrt. Wer kein Integral auflösen kann oder keine Experimentaltechnik beherrscht, sollte heute überhaupt nicht über seelische Fragen reden dürfen.« – Wissen Sie noch, zu wem Sie das geäußert haben?

      Thomas: Ja, natürlich.

      Stader: Das ist aus dem Brief an Seine Exzellenz. Das hat mir mächtigen Eindruck gemacht. Verstehen Sie? Denken Sie sich, welche Bedeutung für die Moral und Kriminalistik, ganz abgesehen von den Perspektiven für die detektivische Verkleidungskunst. Er steht auf. Herr Professor! Soll man das praktisch unausgenützt lassen?

      Thomas: Ihre Exzellenz hat mir davon erzählt.

      Stader: Ihre Exzellenz? Ihre Exzellenz hat –? Hat doch –?

      Thomas: Wollen Sie sie nicht zum Dank aus einer peinlichen Situation retten?

      Stader: Mhm; ich weiß schon, was da herauskommt. Sie meinen, ich soll diese Mappe stehlen? Diesen Geschäftszweig kultiviere ich höchst ungern.

      Thomas: Oh? Nein; es war mir nur etwas durch den Kopf gefahren. Es ist doch eigentlich recht unanständig, wie Sie sich gegen meine Kusine benehmen?

      Stader wehrt ab: Ein Mann hat höhere Interessen. Wieder von seinem Gefühl übermannt. Ja; auch ich war ein Schwärmer! Aber ich bin darauf gekommen, daß das nicht genügt. Lassen Sie mich Ihnen einen Vorschlag machen; wenn Sie auf den eingehn, tue ich alles für Sie! Er setzt sich wieder. Ich biete Ihnen an, die Firma Stader, Newton & Co. mit Ihrem Eintritt als wissenschaftlicher Sozius zu beehren.

      Thomas belustigt: Es kommt mir unerwartet. Ich weiß auch nicht ganz, was ich mir darunter vorstellen soll.

      Stader: Ich spreche zu einem Mann wie Sie gar nicht erst von dem finanziellen Ertrag; wenn Geist nicht in Bücher verschleudert, sondern kaufmännisch verwaltet wird, bleibt sein Erfolg nicht aus. Sie wissen, ich war Diener?

      Thomas: Ja.

      Stader: Ich war damals schon nicht nur Diener. In der Nacht –

      Thomas abwehrend: Bitte!

      Stader: Nein, nein, in der Nacht bin ich durchgebrannt; immer. Ich war Sänger, das heißt Dichter; Volkssänger, verstehen Sie, so in den Wirtschaften und ich hab nur in der Nacht Zeit gehabt. Das hab ich aber später bald aufgegeben; ich war dann Hundefänger, Paukdiener, Vertrauensmann der Polizei, Kaufmann – ach, ich war noch mancherlei. Man hat etwas in sich, das in allen Berufen nicht seine Befriedigung findet. Eine Unruhe des Geistes, möchte ich sagen. Eine letzte Überzeugung fehlt. Da bleibt noch so etwas und zieht einen immer wieder hinaus. Man möchte immerzu auf der Straße gehn, einfach gradaus. Es ist etwas in einem! – Aber der Herr Professor lassen mich nur erzählen – –?

      Thomas hat sich eine Zigarre angezündet und hört aufmerksam zu. Seine Erschütterung ist in bitter heitere Laune übergegangen: Nein, nein, erzählen Sie; es interessiert mich mehr als Sie denken können.

      Stader: Da bin ich endlich daraufgekommen, daß es nur die Wissenschaft ist, welche Ruhe und Ordnung verleihen kann. Und habe mein Institut aufgebaut.

      Thomas: Ich habe mich darüber unterrichtet.

      Stader: Kennen Sie seine wissenschaftlichen Einrichtungen?

      Thomas: Man hat mir davon erzählt. Sehr strebsam.

      Stader: Hierfür wäre nun Ihre Leitung geradezu – ein Schlager! Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß wir mit der Unfertigkeit der Methodik zuweilen noch zu kämpfen haben. Die Wissenschaft ist eben auch nicht immer praktisch genug angelegt worden; man erlebt Enttäuschungen. Größere aber mit dem Unverständnis der Menschen! Gerade in wissenschaftlichen Kreisen erfreut sich mein Institut noch nicht des Verständnisses, das es verdient. Wofür Ihre Hilfe daher ganz unersetzlich wäre, ist: Die Ausbildung der Detektivik als der Lehre vom Leben des überlegenen wissenschaftlichen Menschen.

      Es ist nur ein Detektivinstitut, aber auch sein Ziel ist die wissenschaftliche Gestaltung des Weltbildes. Wir entdecken Zusammenhänge, wir stellen Tatsachen fest, wir drängen auf die Beobachtung der Gesetze; aber das ist nur der gewöhnliche Teil, mit dem würde ich Sie gar nicht belästigen. Mein große Hoffnung ist: die statistische und methodische Betrachtung der menschlichen Zustände, die aus unsrer Arbeit folgt.

      Lassen Sie aus fünf zugedeckten Karten eine ziehen, so werden siebzig Prozent aller Menschen nach der gleichen Stelle greifen. Kontrollieren Sie Thermometer-oder Millimeterablesungen, wenn Bruchteile geschätzt werden müssen, so schätzen alle Menschen zu hoch oder zu niedrig, je nach der Lage zwischen den zwei benachbarten Strichen. Man hat mir erklärt, daß es Augen-, Ohren-und Muskelmenschen gibt, die durch bestimmte, für den Laien geheime Fehler voneinander unterschieden sind. Man hat mir gesagt, daß die Dichter, solange die Welt besteht, immer nur die gleiche, ziemlich kleine Zahl von Motiven benützen und nie ein neues erfinden können. Man hat mir gesagt, daß das Format, welches die vermeintlich so eigenwilligen Künstler ihren Bildern geben, nach ganz bestimmten Regelmäßigkeiten sich verlängert und zusammenzieht, wenn man den Blick über die Jahrhunderte schweifen läßt. Daß Liebende immer das gleiche sagen, ist bekannt. Im Sommer nehmen die Zeugungen zu, im Herbst die Selbstmorde. Man hat mir gesagt, daß dies eben alles so wie mit den Schaumkronen der Wellen ist: nur der Laie glaubt, dieses weiße Sichüberschlagen sei eine ungeheure vorwärts treibende Bewegung; derweil täuschen nur ein paar ausgerutschte Spritzer und das Ganze stampft auf dem Fleck eine wissenschaftliche Kurve ohne sich zu rühren. Soll man sich von sich selbst zum Narren haben lassen? Man tut etwas und heimlich ist es ein Gesetz! Man kann es einfach nicht aushalten, wenn man weiß, das alles wird man einmal genau wissen und man selbst weiß es noch nicht!

      Thomas: Mein lieber Freund, Sie sind entschieden zu früh auf die Welt gekommen. Und mich überschätzen Sie. Ich bin ein Kind dieser Zeit. Ich muß mich damit begnügen, mich zwischen die beiden Stühle Wissen und Nichtwissen auf die Erde zu setzen.

      Stader: Nein, Sie lehnen noch nicht ab!? Überlegen Sie es sich noch mehrmals!

      Thomas: Man kann jeden Augenblick hereinkommen. Hören Sie, wir können ja einstweilen in Fühlung bleiben. Ich hätte einen Auftrag für Sie; keinen interessanten, nur einen ganz gewöhnlichen. Sie haben meine Frau gesehn. Doktor Anselm ist nachts abgereist. Meine Frau folgt mit dem nächsten Zug um –

      Stader sieht auf seine Armbanduhr: Fahrplanmäßig soll er eben abgegangen sein.

      Thomas unterdrückt eine leichte Bewegung: Ja. Sie werden sich also in der Stadt treffen und eine Unterredung haben.

      Stader: Und Sie wünschen Material so wie für Seine Exzellenz?

      Thomas: Nein. Ich will nur, daß Sie mir genau berichten, wie mein Freund dabei aussah, welchen Ausdruck er hatte und auch meine Frau – ob sie sich sehr aufregte, ob sie einen leidenden Eindruck machte oder einen befreiten, frischen; kurz ganz genau, als ob ich selbst zusehen könnte. Und dann halten Sie mich am laufenden über alles, was Doktor Anselm weiter beginnt.

      Stader: Wenn ich Sie dadurch verbinden kann, das ist eine Kleinigkeit; ich habe auch Seine Exzellenz zur vollen Zufriedenheit bedienen können.

      Josef kommt, das bereits in Papier geschlagene Paket Notizen unter dem Arm, auf der Suche nach Stader.

      Josef ärgerlich: Wo sind Sie denn?

      Thomas rasch: Wir reden noch einmal später.

      Stader:

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