Gesammelte Werke. Robert Musil

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Robert Musil страница 122

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Werke - Robert Musil

Скачать книгу

mit Johannes?

      Regine: Thomas, für mich hat Johannes gelebt, nur für mich! Er hatte keinen andren Zweck und Lebensinhalt anerkannt als mich! So verrückt war ich nie, zu vergessen, daß das alles war; an Wirklichkeit. Aber daß es dieses Wesen in der Welt nicht mehr gab: dagegen lehnte ich mich auf. Es war Flucht in die Unwirklichkeit, gut – Sie denkt nach und wiederholt es ohne die Mißbilligung im Ton. Flucht in die Unwirklichkeit: auch das hat er immer gesagt, Anselm … In die Nochnichtwirklichkeit, auf den Berg. Es ist etwas in uns, das zwischen diesen Menschen nicht zu Hause ist: wissen wir, was es ist? Und hat nicht den Mut dazu gehabt! … Ich war ja plötzlich ganz blöd und keusch geworden, als ich merkte, es handelt sich um andres. Das war nicht mehr dieses traumhaft einfache einen Menschen hineinziehn hinter die vier Papierwände der Phantasie. Seine Ideen schoben einen Widerstand davor. Zum erstenmal war es nicht dieser sinnlos direkte Weiberweg von den Augen unter das Herz; ich begriff: starke Menschen sind rein. Und ob du mich auslachst: ich wäre immer gern stark gewesen wie ein Riese, von dem man noch nach Geschlechtern erzählt! Und jeder kann es; jeder läßt sich nur in sich hineinpacken wie in einen zu kleinen Koffer. Aber er hat den Mut nicht gehabt! Er hat sich gerettet! Thomas! Was er mit Maria tut: das ist feige Flucht in die Wirklichkeit!

      Thomas: So einfach geht es bei Maria nicht, du wirst sehn.

      Regine bereitet sich Tee: Ich war, bevor ich an die Tür kam, noch einmal durch das Haus gegangen. Zu den alten Kinderzimmern, zu den Bodenkammern, zu allen Plätzen unsrer Phantasie. Auch an der Stelle, wo sich Johannes getötet hat, war ich. Sie zuckt die Achseln mit dem Ausdruck: es war nichts. Alles war fast genau so wie einst. Die Dienstleute standen hinter ihren Türen auf; etwas später, so warten sie in ihren Zimmern darauf, daß man klingle. Alles ist dann aufgeräumt und aufgezogen. Bereit, loszuschnurren wie an allen den fünfzehnmal dreihundertfünfundsechzig nicht mehr vorhandenen Tagen. Darunter die Tage, wo ich nicht hier war, wo ich unglücklich war, wo ich in einem fremden Haus ins Bettlaken biß und weinte.

      Thomas: Immer leerer wird das Haus. Anselm ist fort. Maria ist fort; ich wette, daß Josef den nächsten Zug nimmt.

      Regine: Oh, ich möchte mich noch einmal niederwerfen dürfen auf die Erde, zwischen die Blumen des Teppichs. Sieh mich nur so an – halt mich mit deinen bösen nüchternen Augen, damit ich es nicht tue!

      Thomas: Auf solchen großen Blumen sind wir manchmal Ornamente gegangen. So groß waren sie nicht, aber sinnlos verschlungen.

      Regine: Die Blumen wachsen maßlos, wenn man auf der Erde liegt. Die Stuhlbeine stehen wie Bäume ohne Kronen steif und warumlos in ihre Stellen gepflanzt: Das ist die Welt. Die große Welt.

      Thomas: Wir saßen einmal in einem Schrank – erinnerst du dich noch? – versteckt.

      Regine geht aufmerksam den paar großen Kurven des Teppichmusters nach; vor und zurück, manchmal von der einen zur andren übertretend: Das ist so unheimlich. Ich kann mich überall hin bewegen und kann mich doch nicht überall hin bewegen. Nachts, wenn ich wach bin, würde ich mich nie trauen, aufzustehn und aufrecht durchs Zimmer zu gehn. Selbst wenn ich nur meine Hand hervorziehe und unter den Kopf lege, muß ich sie rasch wieder zurücknehmen. So unheimlich ist es, daß sie daliegt in der fremden Welt, ohne daß ich sie sehe. Sie ist gar nicht mehr meine Hand; ich muß sie rasch unter die Decke ziehn und wieder anheilen lassen.

      Thomas seinen Gedanken verfolgend: Wir saßen in einem Schrank und unsre Halsadern glucksten vor Aufregung. Er unterbricht sich. Aber Unsinn, wir sind keine Kinder mehr. Auf die von Regine abgeschrittenen Muster deutend. Man kommt nie aus dem Vorgezeichneten heraus. Manchmal ist mir, als wäre alles schon in der Kindheit beschlossen gewesen. Steigend, kommt man immer wieder an den gleichen Punkten vorbei, dreht sich über dem vorgezeichneten Grundriß im Leeren. Wie eine Wendeltreppe.

      Regine mit halb gespieltem, halb wirklichem Entsetzen auf die emporführende Treppe deutend: Da ist sie! Ich mag sie nicht sehn! Sie verbirgt sich am Diwan.

      Thomas selbst erschrocken: Kannst du erschrecken! Er setzt sich brüderlich ungeniert zu ihr. Heute nacht habe ich geträumt; von dir. Wir saßen wieder in einem Schrank –

      Regine: Aber wie dein Herz klopft. Durch den Rock.

      Thomas: Aber gleicht denn dieses Zimmer nicht einem Schrank? Ist denn dieses ganze leergewordene Haus nicht wie ein ausgeräumter Schrank? So wird man wieder zurückgedreht.

      Regine richtet sich halb auf, von einem beängstigenden Gedanken erfaßt: Was werden wir jetzt machen?!

      Thomas: Nichts, Regine. Die vergoldeten Nüsse hängen nie an den wirklichen Bäumen. Man sucht sie bloß dort; was merkwürdig genug ist. Ich habe mir vielleicht einigemal in jedem Jahr heimlich gewünscht: Marias Abwendung. Loslassen, leise durch die Weite wandernde Begleitmusik zu einem Marsch, der noch gar nicht vor sich geht. So wie du bist. Sie sieht auch wahrscheinlich nur etwas wie Sterne, an Tragstangen schwankend; Blätter, durch deren Schlaf Licht wie mit Händen fährt. Aber es mag schön an so etwas zu denken sein –

      Regine: Und ist holprig durch solche Nacht zu gehn? Braver Thomas! Sie legt sich wieder hin.

      Thomas: Nein, unsinnig, unsinnig beides! So ziellos, so zwecklos das Ganze!

      Regine: Warte. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie das früher bei mir war. Ich lag unter einem Gebüsch und nahm einen Käfer in den Mund. Der stellte sich tot. Und mein Puls zählte. Und ich sagte mir, bei einer bestimmten Zahl wird er als kleiner Prinz aus meinem magisch erleuchteten Mund heraustreten. Ja, das war noch Zauberei. Einen Teil der Welt verschlucken. Dann spuckte ich das Ding aus, wenn die Zahl vorbei war, aber dachte mir doch das nächstemal das gleiche, denn ich hatte ein geheimnisvolles Gefühl von mir. So habe ich gelebt. Lange. Dann wurde es immer gewöhnlicher. Ja. Immer zweckloser. Immer sinnloser.

      Thomas: Spürst du nicht, daß es von den Wiesen herein nach Fischen riecht? Ein unanständiger Geruch. Er steht hinter ihrem Kopf. Und wenn ich dich anschaue, so verkehrt, bist du wie eine plastische Karte, ein gräßlicher Gegenstand, keine Frau.

      Regine: Hast aber nachts mit Herzklopfen geträumt, daß wir in einem Schrank saßen?

      Thomas: Du warst älter als du bist, so alt wie Maria, und zugleich sahst du aus wie vor fünfzehn Jahren. Du schriest so wie gestern, aber es war leis und schön. Wir sind ganz ruhig gesessen. Dein Bein lag an meinem wie ein Boot an seinem Landungssteg; dann wieder wie das süße glitzernde Hin-und Herrinnen des Winds in den Wipfeln. Das war Glück.

      Regine: Aber wie soll man das tun?

      Thomas: Tun? Ich weiß nicht. Aus Verzweiflung einander aufschneiden und sich in fremdem Innern wälzen wie ein Hund auf dem Aas?

      Regine: Das Ende war vorgezeichnet! Wir wissen nicht, was wir tun sollen! Wir werden immer wieder vor dieser Wand stehn! Ich kann nicht mehr!

      Thomas hält ihren Kopf fest und küßt sie: Dich kann ich küssen: Verkommene Schwester. Unsre vier Lippen sind vier Würmer, nichts sonst!

      Regine: Ich möchte dich mit den weichsten Teilen meines Körpers umschließen. Wie er mich umschließt. Weil ich dich immer lieb hatte. Wie mich. Aber nicht mehr. Nicht mehr.

      Thomas: Ah … erst stand dieser Kuß weit vor mir lockend. Nun ist er ebensoweit hinter mir, brennend. Hindurchgekommen sind wir nie. Nie. Nie. Du fühlst das!

      Fräulein Mertens ist eingetreten und hat das mitangesehn. Sie will sich eben empört zurückziehn,

Скачать книгу