Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Mertens: Oh, Regine, Sie haben sich rasch getröstet; ich wollte fortgehn, ohne ein Wort zu sagen. Eine mir unverständliche Auffassung herrscht in diesem Haus.

      Regine und Thomas brechen in ein etwas erzwungenes Lachen aus.

      Thomas: Verstehen Sie, das war keine Liebesszene, was Sie überrascht haben. Das war eine Anti-Liebesszene. Das war eine Sozusagen-Verzweiflungsszene.

      Fräulein Mertens: Ich maße mir kein Urteil an.

      Thomas: Worüber waren wir verzweifelt, Regine?

      Regine noch im Ton: Wir waren darüber verzweifelt, daß uns nichts mehr übrigblieb, daß wir uns wieder benehmen mußten wie als Schulkinder. Aus der Rolle fallend. Mertens! Hören Sie, lassen Sie mich nicht allein! Ich brauche jemand, der meinen Kopf hält. Thomas würde traurig neben mir sitzen, wenn ich sterbe, und mir erklären, daß ich ihn dabei nur störe. Er würde verlangen, daß ich als Sterbende ihm ausdrücken helfe, warum dieser Augenblick nur eine glanzlose körperliche Katastrophe ist, während Angst und Trauer zu seinen beiden Seiten so verzaubert glühn.

      Thomas: Aber sei doch nicht albern.

      Fräulein Mertens: Ich reise abends. Ich werde den Rest dieses Tags außer Haus verbringen. Treiben Sie bitte nicht bis zum Ende Scherz mit mir; Sie denken nicht ans Sterben.

      Regine: Aber Mertens! Habe ich nicht immer daran gedacht?

      Fräulein Mertens: Ich weiß nicht, woran Sie gedacht haben, während Sie mir einen herrlichen Glauben vorspiegelten, der sich in der engen Wirklichkeit nicht zufrieden gab. Ich bin einer Illusion unterlegen. Denn auch ich habe einst den Geliebten verloren; aber ich habe ihm durch einundzwanzig Jahre reine Treue gewahrt bis heute. Ab.

      Thomas: Da hast du’s! Das Laster ist Schmutz. Aber die Tugend ist auch nur frisch genießbar!

      Regine: Nun wird sie wirklich gehn. Maria, Josef, sie –: Die Ordnung weicht zurück wie das Fleisch beim Skorbut von den Zähnen; nun müssen sie bald ausfallen.

      Thomas: Warum läßt du dich niederdrücken! Selbst von so einer Person. Sie sitzen geduckt fern voneinander und können den Versuch nicht wieder aufnehmen.

      Regine trotzig: Weil ich nicht weiß, was ich tun soll. Verstehst du denn nicht, ich habe immer etwas tun müssen. Nun weiß ich nichts mehr. Komm! Nein, bleib! Das Geheimnis: ich mitten zwischen alldem – ist zu Ende.

      Thomas: Nichts behält in der Nähe die Leuchtkraft und bei liebloser Betrachtung; Leuchtwürmchen: fängst du eins, ist es ein lichtloses graues Würstchen! Aber das zu wissen, gibt ein verteufelteres Gefühl als zu poesein: Gotteslaternchen!

      Regine: Für mich haben Gedanken wenig Reiz.

      Thomas: Da hast du vielleicht recht. Dagegen ist vielleicht wenig zu sagen … Aber dann kann ich dir nicht helfen.

      Regine: … Als ich von euch fortging, nach Johannes, besaß ich noch Mut. Irgendeine Erwartung; ich nannte sie, falsch natürlich: Trauer.

      Thomas: Hunger war es natürlich.

      Regine: Ja, Mut. Aber was kam, war ein endloses Quellen von leeren Stunden. Ich verstehe einfach nicht, wie die andren Menschen es machen, sie richtig auszufüllen.

      Thomas: Sie schwindeln natürlich; sie haben einen Beruf, ein Ziel, einen Charakter, Bekannte, Manieren, Vorsätze, Kleider. Wechselseitige Sicherungen gegen den Untergang in den Millionen Metern Raumtiefe.

      Regine: Aber es ist alles, was geschieht, doch nur halb Ernst; halb Spiel! Man beschwört das Entsetzlichste, und es kommt ganz gleichgültig herauf, ohne Grauen und Spannung. Weil gerade ein Telephon in der Nähe ist oder nicht in der Nähe ist, aus Langweile, aus Sinnlosigkeit des Widerstands. Weil das ganze Dahinleben so schrecklich von selbst und ohne dich geht, ohne Schuld und Unschuld, wenn man es einmal begonnen hat.

      Thomas geht zu ihr und sieht sie unschlüssig an: Aus tausend Gründen quellend; die ein Detektiv oder ein Menschenkenner erforschen kann; nur nicht aus dem einen, dem tiefsten Grund: aus dir.

      Regine abwehrend: Wir können es nicht noch einmal machen. Sie geht weiter weg von ihm. Menschen glauben dich zu besitzen, dein ganzes Wesen liefert sich ihnen aus und du bist gar nicht vorhanden in diesem wahnsinnig abschnurrenden Spielwerk …: Das war einmal schön, Geheimnis, Zauberei, eine Formel von wahnsinniger Kraft. Irgendwie gut und groß.

      Thomas: Aber doch auch bloß: die Anfangsillusion, die jeder junge Mensch von sich hat, das Morgengefühl. Man kann tun, was man will, denn alles kommt zu einem selbst zurück wie ein in die Luft geworfener Bumerang.

      Regine: Man hatte Freude daran, sich exzentrisch zu parfümieren und komplizierte leichte Speisen zu essen. Und eines Tags ertappt man sich dabei, daß man nur mehr Tee trinkt, Bonbons ißt und Zigaretten raucht. Hineingezogen fühlt man sich in einen Plan, der vor allem Anfang gemacht war, und eingeschlossen. Das Vorherberechnete kommt über dich, das was alle wissen; der Schlaf zu bestimmten Stunden, die Mahlzeiten zu bestimmten Stunden, der Rhythmus der Verdauung, der mit der Sonne um die Erde geht …

      Thomas: Und im Sommer nehmen die Zeugungen zu und im Herbst die Selbstmorde.

      Regine: Es zieht dich hinein! Und die Männer werden noch immer wie etwas unverständlich Kriechendes zu mir kommen; wie Tausendfüßer, wie Würmer; du merkst keinen Unterschied und fühlst doch, daß in jedem von ihnen das Leben verschieden ist …!

      Thomas wie mit einer Vision vor sich, sieht von fern durchs Fenster ins Ferne: Bald wird jetzt Maria mit Anselm weit draußen stehn; in einer fremden Landschaft. Die Sonne wird auf Gras und Sträucher scheinen wie hier, das Gestrüpp wird dampfen und alles in der Luft fliegende Fleisch wird jubeln. Anselm wird vielleicht lügen, aber in jener fernen Landschaft kann ich gar nicht wissen, was er sagt …

      Regine: Bist du unglücklich?

      Thomas: Jeder Konflikt hat seine Bedeutung nur in einer bestimmten Luft; sowie ich sie in dieser fernen Landschaft sehe, ist alles vorbei. Das ist nicht in Einklang zu bringen, Regine; alle letzten Dinge sind nicht in Einklang mit uns zu bringen. Wohl ist nur denen, die es nicht brauchen.

      Regine: Hilf mir, Thomas, rate mir, wenn du es kannst.

      Thomas: Wie soll ich dir helfen? Man muß einfach die Kraft haben, diese Widersprüche zu lieben.

      Regine: Was wirst du denn tun?

      Thomas: Ich weiß nicht. Jetzt denke ich so, aber vielleicht denke ich später anders. Ich möchte bloß vor mich hingehn …

      Regine: Geh mit mir fort! Machen wir etwas! Nur irgend etwas! Hilf mir doch! Mein Wille von einst wird sonst zu einem Brei von Ekel!

      Thomas: Aber Regine. Fast körperlich weiter erscheint die Welt, wenn vordem die rechte Seite immer durch die Nachbarschaft eines andren Menschen abgeblendet war. So steht man mit einemmal erstaunt in einem weiten Halbkreis. Allein.

      Regine: Bleiben wie ich bin, kann ich nicht! Und anders werden, wie denn?! Wie Maria?!

      Thomas: Man wandert einfach so umher. Feindlich sind dir alle, die ihren bestimmten Weg gehn, während du auf der unbestimmten Bettlerfahrt des Geistes durch die Welt bist. Trotzdem gehörst du ihnen irgendwie zu. Nicht viel sagen, wenn sie dich

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