Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Warum willst du es nicht verstehn? Wenn sie schon lebend ins Grab stieg, sollte sie auch noch drin liegen bleiben?

      Thomas: Gut, einmal. Aber der Nächste? Der Übernächste? Vom Zehnten ab?!

      Maria: Es hätte ja nicht so Sein müssen, aber wenn man zu Hause nur Spott gefunden hat, so weiß ich wenigstens: tiefste Liebe braucht der, dem das widerfahren konnte. Johannes selbst hätte nicht so hart geurteilt wie du; er wußte, daß Regine noch viel zu jung war, und nicht lange vor seinem Ende hat er mich gebeten: Sag ihr, was immer geschieht, ich werde ihr alles verzeihn.

      Regine steht auf: Ich kann es nicht anhören. Ich muß aus Ehrgeiz und Verlegenheit heulen wie damals, als ich bei Jahresschluß aus Versehen in der Klasse die Erste geworden war.

      Maria: Er hat an sie geglaubt: das ist eine Kraft, welche gut macht!

      Thomas: Und Anselm? Ich weiß doch, worauf ihr hinauswollt! Hast du verschlafen, daß du ihm nachstellst?!

      Maria fast ein wenig lächerlich in ihrer Aufrechtheit: Es ist eine seiner Entgleisungen. Man darf sich davon nicht abschrecken lassen. Man darf sich nicht seinen Einbildungen anpassen. Man muß auf das Gute in einem Menschen hören wollen, dann findet er dafür die Worte!

      Thomas nachspottend: Man muß nur nicht gering denken wollen, dann erschließt er sich, der andere Mensch.

      Maria: Du hast ihm stets nur weh getan bei seinen Schwächen.

      Thomas: Also was soll ich tun?

      Maria: Man darf ihn nicht einfach verkommen lassen. Man darf etwas, das gut sein könnte, nicht verfallen lassen.

      Thomas: Soll ich ihn vielleicht bitten, noch eine Weile bei uns zu bleiben?

      Maria: Ja. Du hast mich nicht vor ihm gewarnt; du hast nur gespottet.

      Thomas ruhig und entschieden: Nein. Einen, der uns so bloßgestellt hat, hole ich nicht zurück.

      Regine zu Maria: Sprich gar nicht erst darüber! Erinnre dich doch: den ersten Schritt haben weglose Schwindler, wie Anselm oder ich, und bedeutende Menschen gemeinsam; aber den letzten macht Thomas allein! Ab.

      Maria geht plötzlich ganz nah zu Thomas und sieht ihn hilflos an. Thomas tritt traurig zurück.

      Thomas: Hast du jetzt eingesehn? Daß du ihm aufgesessen bist?

      Maria: Ich habe es eingesehn. Aber Thomas! Thomas!! Wenn man alles vorhersieht, will und eintreffen macht: – das macht nicht glücklich.

      Thomas eine Erschütterung verbergend: Erklär dich.

      Maria: Ich vermag euch ja nicht zu folgen, ich bin nur ein einfacher Mensch. Aber glücklich kann man nur durch etwas Unberechenbares sein; durch etwas Unvorhergesehenes; das einem gerade so einfällt und da ist und vielleicht gar nicht richtig ist. – Ich kann mich nicht so ausdrücken. Man hat soviel mehr Kräfte als Worte in sich! Ich muß mich ja vielleicht schämen: Aber Anselm gab mir etwas!

      Thomas: Was du bei mir entbehrt hast?

      Maria: Ja … Was würdest du tun, wenn ich fortginge?!

      Thomas: Ich weiß es nicht. Geh doch.

      Pause. Maria kämpft mit den Tränen.

      Maria: Ja, so bist du. Auf alles verzichten, wenn ein neuer Plan dir besser erscheint. Ich weiß, daß du mich gern hast. Du weißt, daß ich Anselm nie verzeihen werde. Nie! Aber selbst dieser arme Mensch spendet mehr Ruhe und Wärme als du. Du willst zuviel. Du willst alles anders. Das mag alles richtig sein. Aber ich habe Angst vor dir!

      Thomas: Du bist schön. Habe ich dir das nie gesagt? Du bist schön wie die Himmelswölbung – den ergriffenen Ton verbessernd – oder irgend so etwas, das sich seit Jahrtausenden gleich blieb. Das hat auch Anselm verführt. – Gewiß bin ich an allem schuld. Ich kann nicht anders sein als ich bin. Denn siehst du, Anselm und ich denken beide anders als du.

      Maria: Anselm und du –?

      Thomas: Ja. Er war bloß zu schwach dazu, er hielt es nicht aus. Er drängt sich plötzlich zwischen die Menschen, die sich in dieser Welt zu Hause fühlen, und fängt an, in ihrem Stück mitzuspielen; in wunderbaren Rollen, die er für sich erfindet – –: Ich meine aber trotzdem, Anselm und ich können nie die Wahrheit vergessen.

      Maria: Und ich? Ich lüge vielleicht?

      Thomas: Nicht in diesem Sinn; in diesem Sinn lügt er ja. Ich meine mehr so –, mehr die Wahrheit, daß wir mitten in einer Rechnung stehn, die lauter unbestimmte Größen enthält und nur dann aufgeht, wenn man einen Kniff benützt und einiges als konstant voraussetzt. Eine Tugend als höchste. Oder Gott. Oder man liebt die Menschen. Oder man haßt sie. Man ist religiös oder modern. Leidenschaftlich oder enttäuscht. Kriegerisch oder pazifistisch. Und so weiter und so weiter, diesen ganzen geistigen Jahrmarkt entlang, der heute für jedes seelische Bedürfnis seine Buden offen hält. Man tritt bloß ein und findet sofort seine Gefühle und Überzeugungen auf Lebensdauer und für jeden denkbaren Einzelfall. Schwer ist es nur, sein Gefühl zu finden, wenn man keine andre Voraussetzung akzeptiert, als daß dieser entsprungene Affe, unsere Seele, auf einem Lehmhaufen kauernd, durch Gottes unbekannte Unendlichkeit saust.

      Maria: Vielleicht hast du recht, alles so zu komplizieren. Ich kann nicht widerlegen. Aber ich kann das auch nicht ertragen. Immer vor solchen Aufgaben zu stehn. Auch Anselm ist an dir zusammengebrochen!

      Regine tritt aufgeregt ein.

      Regine: Er ist fort!

      Thomas: Aufgefahren aus dem Grabe. So gehört sich’s für einen Wundermann.

      Regine zu Maria: Für dich liegt ein Zettel in seinem Zimmer. Er wartet bis morgen mittag auf dich in der Stadt.

      Thomas: Was heißt das?

      Maria: Daß er noch einmal sprechen möchte. Daß er noch einmal angehört werden will.

      Thomas zuckt die Achseln. Maria geht hinaus.

      Regine scharf: Weißt du genau – wie Anselm ist?

      Thomas: Ja.

      Regine: Dann handelst du grausam gegen Maria.

      Pause.

      Thomas: Weil ich sie gewähren lasse? Die schwere, hilflose Maria, verstehst du? Sie soll sich nur anstoßen! Verstehst du? Wie ein schwerer Kreisel geht sie ihre innere Bahn. Peitschen möchte ich …!

      Regine: Ich hätte so gern etwas Böses angefangen mit dir, um mich an Maria zu rächen: ich brachte es nicht zuwege. Anselm hat das gebrochen in mir. Wie man einen Nachtwandler weckt. Thomas sieht sie erstaunt und erwartungsvoll an. Ich glaube, ich wollte einmal ein sehr guter Mensch werden. Gelobt von allen; gehätschelt wie ein Hund, dem man sagt: gutes Hündchen!: Nie habe ich gut sein können.

      Thomas: Ja das ist auch viel schwerer. Nur dumme Menschen haben es darin leicht.

      Regine: Nicht so wie Maria; das vertrage ich nicht. Frenetisch gut. Zwischen den höchsten Trapezen der

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