Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Sport ist bei uns ungefähr zur gleichen Zeit Mode geworden wie die große Hornbrille. Ich will nichts gegen die Hornbrille sagen, sie ist kleidsam, hat dadurch Unzähligen den Mut zu ihrer Kurz-oder Weitsichtigkeit gegeben und verleiht ihren Trägern eine gewisse Liebe zur Intelligenz, was nach Platon der erste Schritt zu deren Erwerb ist. Ich will ja aber auch gar nichts gegen den Sport sagen; die folgenden Bemerkungen sollen im Gegenteil einem gewissen Zusammenhang zwischen Sport und Brille dienen und verstehen lassen, daß sich der Sport heute bei uns schon der Würde der Brille nähert. (Während er sich auf der anderen Seite fest im Ernst des Geschäfts verankert.)

      Ich will darum gleich strenge, erkenntnistheoretische Forderungen an den Anhänger des Sports stellen. Er denke daran, daß sich ein Geigenspieler mit einem Klavierspieler vergleichen läßt, denn es läßt sich sagen, wer von beiden der größere Musiker ist. Man kann sogar von einem Musiker und einem Maler sagen, wer von beiden der größere Künstler sei. Man kann einen Künstler etwa an einem Politiker messen und herausfinden, welcher der größere Reklamefachmann sei. Aber kann man einen Hoch-mit einem Weitspringer vergleichen? Das bereitet mir ernste Sorgen um die Zukunft und die seelische Vertiefung des Sports!

      Auf allen anderen Gebieten gibt es nämlich schon von altersher ein dichtes Netz von Kreuz-und Querbeziehungen (weiß Gott warum!), einen Hoch-mit einem Weitspringer kann man aber höchstens in ihrem «Stil», gewöhnlich aber nur durch ihr Verhältnis zum Rekord ihrer Disziplin, also mit Hilfe der Zentimeter vergleichen, um die sie von der Zwei-und Achtmetergrenze abweichen. Man müßte der Idealfigur des Sportsmanns auf den Statuen, die ihr errichtet werden, also eigentlich ein Metermaß in die Hand geben, wie es die Schneider um den Hals tragen, u. nicht nur das Lorbeerreiß. Denn die Wahrhaftigkeit ist doch eine der obersten Eigenschaften, zu denen uns der Sport erziehen soll? Und es bleibt auch nichts übrig als sich einzugestehn, daß die «Befreiung der Seele vom nüchternen Messen u Wägen des Alltags», die uns einige mit Federn ausgestattete Begleitpersonen des Sports verkünden, ihre Schwierigkeiten in sich hat.

      Ich möchte da zu Hilfe kommen, und weil ich selbst ein alter Sportsmann bin, einige Beobachtungen und Fragen mitteilen.

      Warum bringt man den Sport nicht in Zusammenhang mit den mystischen Bedürfnissen des modernen Menschen, die andere sind als zur Zeit der Scholastik? Ich habe gelesen, daß das in Amerika schon mit Erfolg geschieht, u. da der Mensch in seinen Zeitungen viel mehr vom Sport liest als von der Theologie, ist das sehr begreiflich. Wenn der Mensch am Steuer eines sehr schnell fahrenden Kraftwagens sitzt, wenn er scharfe Flugbälle placiert oder ein Florett führt, hat er in einem kleinsten Zeitraum u. mit einer Schnelligkeit, wie sie im bürgerlichen Leben sonst nirgends vorkommt, so viele genau auf einander abgestimmte Akte der Bewegung u. Aufmerksamkeit auszuführen, daß es ganz unmöglich wird, sie mit dem Bewußtsein zu beaufsichtigen. Im Gegenteil, man muß einige Tage vor dem Wettkampf sogar das Training einstellen, u. das geschieht aus keinem anderen Grund, als um den Muskeln u Nerven die letzte Verabredung untereinander zu ermöglichen, ohne daß sie von Wille, Absicht u Bewußtsein dabei gestört werden. Das ist einer der größten Reize des Sports. Im Augenblick der Ausführung springen u fechten dann die Muskeln u Nerven mit dem Ich, nicht dieses mit ihnen, u sowie nur ein etwas größerer Lichtstrahl von Überlegung in dieses Dunkel gerät, fällt man schon aus dem Rennen. Das ist aber nichts anderes als ein Durchbruch durch die bewußte Person, eine Entrückung.

      Noch erheben unsere Sportsleute nicht den Anspruch, heilig gesprochen zu werden. Wenn sie es aber einmal tun sollten, wären ihren Wortführern diese Beobachtungen sehr zu empfehlen.

      Das Wohlgefühl für Genies zu gelten, haben sie beinahe schon hinter sich.

      Es ist schon recht lange her, daß man zum ersten Mal in einer Zeitung das Wort «das geniale Rennpferd» hat lesen können, und ich glaube, es ist auf Grund einer Verwahrung geschehen, die ein Rennverein bei dem Sportredakteur damit begründete, daß von manchen Fußballspielern oft gesagt werde, sie seien Genies des «Grünen Rasens», was den Pferden etwas vorenthalte, das auch ihnen zukäme.

      Und dieser Reiterverein hatte recht. Vordem hatte man nur von genialen Entdeckern, Tenören oder Schriftstellern gesprochen; das war in der Zeit, wo man sich noch an einem vagen Idealismus beduselte, ehe man sachlich wurde. Es hat sich dann herausgestellt, daß man gar nicht wußte, ob diese Genies wirklich genial gewesen seien. Wie will man das auch zum Beispiel bei einem Schriftsteller entscheiden?! Alle Schriftsteller haben Rezensionen, worin es ihnen versichert wird. Manche haben mehr davon, aber das beweist, sagen ihre Gegner, geradezu schon ihre Trivialität. Will man also genau sein, so wird wohl nichts übrig bleiben als den Begriff des Genies psychotechnisch zu normen. Sein Hauptbestandteil ist das Unvergleichliche und dieses läßt sich natürlich auf Geschwindigkeiten, Muskeln, körperliche Treffsicherheit udgl. viel eindeutiger anwenden als auf geistige Leistungen. Andere Bestandteile, wie Kampfmut, Genauigkeit der Arbeit, Ehrgeiz, Konzentration, Wendigkeit, richtige Kombinationsgabe vor auftauchenden Hindernissen das heißt Urteilsfähigkeit und Assoziationsgeschwindigkeit finden sich in Brust u. Gehirn eines genialen Rennpferdes genau so entwickelt wie in denen eines Dichters. Die eindringende Psychotechnik wird nur einen einzigen Unterschied bestehen lassen: den der Zusammenfassung dieser Fähigkeiten zu der Art der Leistung und der Person. Aber unter den Leistungen sind es heute schon die körperlichen, die fast allen Menschen Vergnügen machen, was man von den geistigen nicht sagen kann, und was die Personen angeht, so hat man sich eben von den menschlichen zu den pferdlichen gewandt, weil man über die ersteren nicht einig werden konnte. Ich glaube, die Pferde werden es bald satt haben, Semiramis und Charlemagne zu heißen oder höchstens es beibehalten, um einen Pferdekalender zu stiften, nach dem man unsere Enkel benennen kann.

      Es ist das Wunderbare, daß man wie ein Pferd ist; aber man soll nicht glauben, dies sei der Übermensch

      Ich darf das Verlangen nach einer philosophischen Begründung der Jetztzeit, wenn es auch wahrscheinlich überall vorhanden ist, doch nicht zu sehr ermüden. Darum zum Schluß nur noch einige kurze Bemerkungen:

      Es ist einseitig, wenn man immer nur schreibt, daß der Sport zu Kameraden mache, verbinde, einen edlen Wetteifer wecke; denn ebenso sicher kann man auch behaupten, daß er einem weit verbreiteten Bedürfnis, dem Nebenmenschen eine aufs Dach zu geben, oder ihn umzulegen entgegenkommt, dem Ehrgeiz, der Überlegene zu sein, und überhaupt eine grandiose Arbeitsteilung zwischen Gut und Bös der Menschenbrust bedeute. Es mag schon so sein, daß zwei Boxer, die sich gegenseitig wund schlagen, dabei füreinander Kameradschaft empfinden, aber das sind zwei, und Zwanzigtausend schauen zu und empfinden ganz etwas anderes dabei. Wahrscheinlich ist aber gerade das Zuschauen von einem Sitzplatz aus, während andere sich plagen, die wichtigste Definition der heutigen Sportsliebe, und diese wird immer vernachlässigt. Das gleiche ist im verkleinerten Maßstab auf den Sportplätzen der Fall.

      Man nennt, die sich plagen, die Heroen. Und das hat man immer getan. So ist man vom Geist (der Moral) auf den Sport gekommen, u wenn er es nicht anders macht, werden die Sportleute bald wieder nur für Narren gelten wie die Dichter.

      Randglossen zu Tennisplätzen

[1925/26 oder später]1.

      Wie lange mag es her sein, daß dieser Sport sich einzubürgern begann? Vielleicht 25 Jahre. Damals galt es für etwas sehr Gewagtes, daß die jungen Mädchen stundenlang allein mit den jungen Männern spielten. Die jungen Männer waren in Hemdsärmeln, manche trugen sogar keine Krawatte und erlaubten sich den obersten Hemdknopf zu öffnen, so daß man nicht sicher war auf den Anblick von Brusthaaren zu stoßen. Die jungen Mädchen behaupteten, daß man im Mieder schlecht spiele, weigerten sich, mehr als einen Unterrock zu tragen und behaupteten in ihrem Eifer, daß ihre Gegner auf den Ball achten würden, aber nicht auf ihre beim Lauf schwankenden Brüste.

      Ich bin dieser Tage nach langer – freilich nicht so langer Zeit zum erstenmal wieder auf einen Tennisplatz gegangen. Irgendetwas beunruhigte mich; ich kam gar nicht gleich darauf; endlich begriff ich, daß ich lange keine so angezogenen Damen gesehen hatte. Als ob ich in die Zeitmaschine geraten und

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