Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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es wäre, auch die geistigen Erscheinungen zu normen.

      3. Die Amerikaner Ansätze versucht – Tayl ..

      4. Glücklicherweise hat sich bei den kompliziertesten geistigen Produkten, denen der Wiss. u Kunst eine weitgehende Normisierung u Typisierung ganz von selbst angebahnt.

      5. Wir normen.

      Für ältere Leser, welche noch ungenormt aufgewachsen sind, sei eine Erklärung vorausgeschickt: Normung heißt in der Industrie, daß man alles, was sich ebensogut so wie anders machen läßt, in einer zwischen allen Fabriken vereinbarten u. gleichen Weise macht. Das hat große Vorteile, räumt eine völlig zwecklose Unordnung weg, verbilligt und macht das Leben zur Lust. Wenn man das Farbband seiner Schreibmaschine auswechseln will, wird man nicht mehr nach einem Geschäft suchen müssen, welches gerade dieses Schreibmaschinensystem führt, denn alle Schreibmaschinen werden Bänder von gleicher Breite u Länge haben, u. wenn man an einem Pedal eines Fahrrads den Gummi verliert, wird man nicht mehr beim Fahrradhändler 400 verschiedene Ausführungen von Pedalgummis angezeigt finden, unter denen gerade die eine fehlt, von der man ein vereinsamtes Exemplar am zweiten Pedale besitzt. Eine große Menge Dinge wird heute schon genormt, Gewinde, Passungen, Durchmesser, Armaturen, Konstruktionsteile von Rohrleitungen, Krankenhausbedarf u Laboratoriums gerät, Werkzeuge, Koffer eine noch größere Menge wird genormt werden, es gibt Ausschüsse mit herrlichen Namen wie bei Fanok u. Dechema, u. wir stehen an den Anfängen einer großen geistigen Bewegung, welche der Renaissance nichts nachgeben wird.

      Es sei darum erlaubt, wenige vorschnelle Ausblicke auf die Zeit zu tun, wo die Normungsbewegung nicht nur das Produkt, sondern auch den Menschen ergriffen haben wird. Es kann ja gar kein Zweifel darüber bestehn, daß der genormte Mensch große Vorteile gegenüber dem ungenormten bieten wird, aber obgleich starke dahinzielende Bestrebungen im Gange sind, setzen sich ihnen noch unnötige Widerstände entgegen. Fragen wir uns deshalb zuerst, wie wird der genormte Mensch aussehen? Er wird auswechselbar sein. Da heute alle schönen Menschen bei uns dünn sind, im Orient aber dick, kann die Unterwerfung der Natur in der Durchmesserfrage für gesichert gelten. Das gleiche gilt von der Normung auf bestimmte Größenstufen, welche die Konfektionsindustrie von den Eltern verlangen wird; die Japaner erzeugen heute schon durch bestimmte Fütterung große fette Ringkämpfertypen neben dem trocken-breit-kleinen Dschiudschitsutypus. In seiner Kleidung wird der Mensch alle Vierteljahre anders, aber immer gleich ausschauen; auch das ist heute schon angenähert erreicht; das Luxusbedürfnis läßt sich ohne Schwierigkeiten durch bestimmte Stufen der Ausführung typisieren, ähnlich den Steuerstufen, u. in einer sehr verfeinerten Gesellschaft wird sich der Rang durch einen Preiszettel symbolisieren (befriedigen) lassen, der angibt, daß man 3 x so viel für seinen Anzug gezahlt hat, wenn es selbst der gleiche Anzug sein sollte.

      Das sind einfache Probleme. Aber sind der gute, der moralische, der normale, der verwendbare Mensch sind der ideale Patriot, der disziplinierte Parteigänger, der vollkommene Staatsbürger nicht schon genormte Menschen? Hier öffnen sich Zukunftsblicke für alle normativen Institutionen. Was sie immer getan haben, werden sie nun mit den Hilfsmitteln u der unbestrittenen Autorität der Wissenschaft u Technik tun. Der Strom der Zeit hat eine ihnen günstige Richtung, die individuellen Reste, die er mit sich führt, schleifen sich ab. Die Liebe, dieses Urwaldgebiet der Eigenbrötelei, wird zur reinen Verlegenheit. Wer kann heute noch mit gutem Gewissen «Du Einzige» sagen? Jedermann weiß, daß es richtig «Du Typische» heißen muß

      Kritiken im Nachsatz

[1927 oder später]

      Schöner Leser. – Ich würde gerne wissen, wer diese Anrede «Schöne Leserin» erfunden hat u. wann sie in Gebrauch gekommen ist. Ich erinnere mich, daß sie in Büchern oft vorkommt, die so recht ungefähr zwischen den 30er u. den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts geschrieben worden sein müssen. Besser glaube ich zu fühlen, was diese Anrede bedeutet. Da ist wohl einmal etwas darin von der Schönen Literatur oder der Schönen Wissenschaft, wie man auch früher sagte. Und sodann etwas von jener personifizierenden Romantik (nicht der großen des Novalis), wo die Dichter ihren Novellen u Aufsätzen die Form von Briefen an fingierte schöne Leserinnen gaben u. sich mit dieser schmachtenden Vorstellung ankurbelten. Troubadour Heine, als er über den Brenner reiste, schaute himmelhohe Berge, die ihn ernsthaft ansahen u ihm mit den ungeheuern Häuptern u. langen Wolkenbärten eine glückliche Reise zunickten. Hie u da bemerkte er auch ein fernblaues Berglein, daß sich auf die Fußzehen zu stellen schien u. den anderen Bergen recht neugierig über die Schulter blickte, wahrscheinlich – wie er meint – um ihn zu sehen. So etwas sagt H. nur halb-ironisch. Haben doch Sonne, Nachtigall u Blumen für ihn keinen anderen Zweck, als in seinem Herzen aufzugehen, zu singen u zu blühen. Gerade wenn man das im klugen, im Wesentlichen heutigen H. liest, merkt man, was Zeitmode ist. Er war ein besonderer Geck in dieser Mode. Er beschreibt Landschaftliches nach unseren Begriffen gut, nur wenn er schlecht aufgelegt ist. «Brixen war die zweite größere Stadt Tirols, wo ich einkehrte. Sie liegt in einem Thal, u. als ich ankam, war sie mit Dampf u. Abendschatten übergossen. Dämmernde Stille, melancholisches Glockengebimmel, die Schafe trippelten nach ihren Ställen, die Menschen nach den Kirchen; überall beklemmender Geruch von häßlichen Heiligenbildern u. getrocknetem Heu.» – Da sitzt jeder Strich voll Schärfe u dennoch weicher Sphäre. – Ich besitze die Laubesche Prachtausgabe seiner Werke, die von Wiener Künstlern illustriert ist. Da fallen den fliegenden Amoretten die Pfeile aus dem Köcher, nackte Büblein tanzen mit Schellenkappe u Spiegel, Paletten, Masken, Leiern, Fackeln u. Kielfedern ranken sich um Lorbeer-u Rosenbüsche. Das ist so sinnig, wie es heute kein Mensch aushält. Aber es liegt in der geradlinigen Vergrößerung der Schwächen eines großen Dichters. Laßt uns unserer Sterblichkeit gedenken! – Im übrigen wollte ich damit nur erklären, welches Laster ich mit dem Wort personifizierende Romantik meine. Zu ihr gehört die schöne Leserin, ob sie von ihr erfunden wurde oder nicht. Und außerdem hat sie etwas von der Lieblichkeit des Wanderzirkus, des Balletts u der großen Oper, als in den Pausen der schweren Arbeit die schönen Aktricen Kußhände ins Publikum warfen. Der Dichter tritt an die Rampe, über seinem behaarten Bein wippt das Kelchröcklein aus Gaze, er wirft ein Kußhändchen ins Publikum u sagt Schöne Leserin! – Heute würde er sagen: Oh, Mensch (d. h. natürlich nicht etwa im despektierlichen Sinn, sondern mit dem Augenaufschlag der Liebe.)

      Für das volle Freisein von dieser Romantik (die man nur Romantizismus nennen sollte) liefert ein halbes Menschenalter früher Stendhal das große Gegenbeispiel, der morgens den Code Napoléon las, ehe er die herrlichsten Sätze männlicher Leidenschaft niederschrieb. Das ist zu bekannt, um darüber zu sprechen. Aber ich kenne den an der Strecke Berlin-Bremerhaven liegenden Ort Stendal – so ein wenig Heine-isch habe ich ihn kennengelernt –, der ihn offenbar zu seinem Pseudonym angeregt hat, und ich ärgere mich jedesmal, wenn man den deutschen Namen französisch ausspricht. Vermutlich hat ihn aber auch St. französisch ausgesprochen. Ich besitze aus der Zeit meiner Eltern eine große Ausgabe des Brockhaus u. benutzte die Gelegenheit dieser … um diese Frage endlich aus der Welt zu schaffen. Was las ich? «Stendhal (spr. stangdall) Pseudonym für Beyle (spr. bähl), tiefsinniger franz. Schriftsteller usw.», die ganze Notiz ist sehr kurz, von seinen epischen Leistungen werden die Abbesse de Castro … überhaupt nicht erwähnt, sondern nur Le Rouge et le Noir u La chartreuse de Parme, «in denen sich seine Vorzüge: scharfe Charakteristik, pikanter Stil u Witz, aber auch seine Fehler: Haschen nach Originalität u. Fehlen jeder höheren sittlichen Idee, bezeichnend aussprechen. Sein bedeutendster Schüler Mérimée, der ihn stilistisch überragt –» Also geschrieben 1889

      Wenn 1989 von unserer Zeit nur das Buch … übrig geblieben sein wird, wird man wieder so urteilen. <– Schöner Leser!

      Nachsatz: Ich bin etwas abgekommen. Ich wollte den Roman …

      Das Zeitalter der Dichter (D. Gold. Z.)

[1927 oder später]

      Es gibt die Sage, daß es das Zeitalter der Künste einmal gegeben hat. Oder ist das nur ein Bild aus der Makartzeit? Vielleicht erinnern sich andere besser daran: ich sehe bloß jemand Nackten auf Muscheln

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