Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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noch undurchsichtiger wurden, als es schon ihrem soliden Stoff entsprach, und die Ärmel waren zwar an den Schultern weggeschnitten, aber so dezent, daß man selbst beim Service nicht die Haare unter den Achseln sah. Eine bekannte deutsche Spielerin hatte herrlich gebräunte Arme und Beine von der gleichen Farbe, die in kurzen Söckchen stacken; es war am ersten Tag des Turniers die große Sensation, nach der einer der Zuschauer den andern fragte, ob diese Beine nackt seien, aber gegen Abend war es entschieden, daß diese hübsche Dame raffinierte Strümpfe trug. Sie trug auch große Ohrringe, die bei jeder heftigen Bewegung neben ihrem Gesicht baumelten. Nicht groß und etwas breit gebaut, erinnerte sie in der diskretesten Weise an ein schönes Südseemädchen, hüpfte kannibalisch auf beiden Beinen von einer Seite zur andern u hob das Knie gegen die Nase bei jedem starken Schlag, den sie führen mußte. Überhaupt kommt der unsportliche Beobachter beim Spiel der Damen zu lohnenden Eindrücken. Diese heftigen Bewegungen, welche ein scharfer Schlag, gespannte Aufmerksamkeit u. rascher Start der Beine hervorrufen entkleiden den Körper sozusagen durch Betonung seiner Kinetik und Vorführung seiner anatomischen Funktion. Das ist so stark, daß es selbst durch Automobilpelze dringen würde. Dennoch ist die Dezenz der Kleidung fast ebenso stark, und das Kompromiß, welches entsteht, ist voll spannender Andeutung und das Herz quälender Verschleierung. Zu einer Zeit, wo jede bessere Berliner Familie einen nackten Gauguin oder Pechstein im Speisezimmer hängen hat, wo die jungen Mädchen in Hosen reiten, bergsteigen, radfahren oder gar in Ärmel-u Hosenlosen Badetrickots auf dem Pferderücken sitzen, berührt das wie ein Hauch entschwundener Entzückungen, fast wie ein Menuett auf einer alten kleinen Spieldose, und ist zumindest so, wie wenn alte Herren sich an die vielen Gasflammen erinnern, welche im Zirkus brannten, und an die dicken, aprikosenroten Trickots, welche erst über den Knien von den schwankenden Gazeröckchen verdeckt wurden.

2.

      Ich habe Froitzheim im Jahr 1914 spielen gesehn. Ohne Absicht; ich kam zu einem kleinen Turnier, und da spielte gerade ein junger Mann, der mir im ersten Augenblick durch nichts Besonderes auffiel. Nachdem ich eine Weile zugesehn hatte, kam mir, ich möchte sagen: eine ungeheure Langweile dieses Spiels zu Bewußtsein, ohne daß ich mich selbst langweilte. Es fiel mir geradezu dadurch auf, daß es mich, den Zuschauer lähmte ohne mich fortsehn zu machen, und nach abermals einer Weile hatte ich begriffen, daß dieser Spieler vor mir ein Genie der Langweile war. Das war Froitzheim. Ich kenne nur ein einziges mit diesem Eindruck verwandtes Beispiel, einen seinerzeit sehr berühmten deutschen Roman. Der Ball Froitzheims ging mit der Regelmäßigkeit eines Pendels in einem so hohen Bogen über das Netz, wie man ihn an guten Spielern nicht gewohnt war, was dem Spiel etwas scheinbar Weiches u Unbedeutendes gab, aber er traf mit der gleichen Regelmäßigkeit immer die Grundlinie, keine Handbreit davor noch dahinter, traf sie gewöhnlich an einer Stelle, zu welcher der Gegner erst hinlaufen mußte, kehrte nach den gefährlichsten Schlägen des Angreifers immer wieder zurück, und wenn man genauer zusah, bemerkte man, daß der scheinbar in gemächlichem Bogen fliegende Ball einen enormen Druck hinter sich hatte und eine lebendige Kraft in sich barg, die ihn unaufhaltsamer vom Boden auf-und davon schnellen machte als die eindrucksvollsten Bälle anderer. Damals war F., wenn ich nicht irre, einer der Anwärter auf die Weltmeisterschaft.

      Als ich ihn jetzt wiedersah, war er vielleicht nicht in Form, aber er glich nur dem Schatten seiner selbst. Sein Spiel war abwechslungsreicher geworden, aber es hatte die Unbestechlichkeit und geheime Härte verloren. Viele Bälle gingen daneben, und viele an ihm vorbei. Er gewann mühsam den ersten Satz gegen das junge tschech. Phänomen Közeluh, verlor glatt den zweiten, knickte ein und gab auf. Ich hatte nicht den Eindruck, daß sein Gegner besser spielte als der Froitzheim von 1914, noch daß Froitzheim, wie die ihm freundlichen Berichterstatter schreiben, gegen die Jugend des Zwanzigjährigen unterlag, denn er hat sich einen prächtigen Körper bewahrt, und hier beginnen die Fragen.

3.

      Nachdem ich lange selbst auf keinem Turniergrund mehr stand, bin ich wieder so naiv geworden, zu fragen: Wodurch verliert man ein Spiel? Die Antwort lautet: durch die eigenen Bälle, die man «aus» oder ins Netz schlägt und nicht durch die Schärfe des Gegners. Ich kann das nur gefühlmäßig behaupten, aber ich glaube, eine Statistik würde es bestätigen, daß selten ein Ball so scharf oder die Taktik des Gegners so überraschend ist, daß man nicht darauf erwidern kann, und daß in den meisten Fällen der Zuschauer an einer undefinirbaren Eigenheit der Bewegung voraus weiß, daß der Ball fehlgehen wird. Es stimmt damit überein, daß fast alle Spieler im «Einzel» unter ihrem Können auf sicher spielen und den Gegner (aber auch das Publikum) zu Tod langweilen. Es stimmt ferner damit überein, daß sie im Doppelspiel weit amüsanter sind, weil sie die geteilte Verantwortung beruhigt und sie gewißermaßen von einer perpetuellen Ausrede auf ihren Mitspieler zehren.

      Diese Frage scheint also eine psychologische zu sein.

      Der Praterpreis

[1925/26 oder später]

      Sportbericht. Ich will über .. schreiben. Aber ich weiß nicht, ob ich dazu komme.

      Wenn der Titel einmal groß gedruckt da steht, kann man ja zugeben, daß er falsch ist; der wahre müßte heißen: X. Internationales Lawn-Tennis-Turnier veranstaltet vom Wiener Athletiksport-Club, Herren-Einzelspiel um die Meisterschaft von Österreich usw. Aber die Plätze dieses Clubs liegen unter schönen alten Bäumen im Prater, eines der den Hauptkampf umrahmenden Wettspiele hieß der Parkpreis, und so kam es eben.

      Ich lese seit Jahren alle Sportberichte, deren ich habhaft werden kann. Man lernt sehr viel dabei. Vor allem verschiedene Sprachen. Das Landen eines Kinnhackens, das Eintreten eines Balls, das Bedecken einer Strecke in so und soviel Sekunden sind im Vergleich zu andren gutartige Neubildungen. Ich liebe diese Ausdrücke und sammle sie gelegentlich. Die einwandfreie Leiche (eines gesunden Toten) ist ein schönes Beispiel aus der Ärztesprache, das bei Knochentransplantationen seine Rolle spielt. Es ist bekannt, daß das Wälsch der Landstreicher, der Jäger, der Seeleute von sprachbelebendem Einfluß war; unsre Sportsprachen haben auch noch Schöpfungskraft, aber ihr Unglück ist, daß die Dichter nicht Sport treiben (Fußnote dazu:…) u. die Zeitungsberichterstatter über ihn schreiben. Dadurch geht das immer aus der Physiognomie eines Sports und im Kreis von wenigen hundert Menschen geborene Wort, die ihn aktiv ausüben, nicht den Weg durch einen Menschen, der es mit allen Sinnen aufnimmt, sondern unmittelbar durch das Gedächtnis hinaus zu Millionen Zeitungslesern, die seit einigen Jahren in allen Zungen des babylonischen Sportturms reden lernen. Ich will den Sportberichterstattern nicht nahetreten, aber ich glaube nicht, daß viele unter ihnen wirklich Sportleute sind. In der Mehrheit dürften viele von diesen Journalisten noch die heute glücklicherweise abnehmende Überzeugung haben, daß ein guter Journalist über alles schreiben können muß, so wie man in der alten österr. Armee dem kuk. Lt. einprägte, daß er, so er den Befehl dazu bekomme die Peterskirche zu bauen, imstande sein müsse, sich zu orientieren u. dann mit seinem Zug den Auftrag auszuführen. Das ist ein schöner esprit du corps, aber er führt nicht zu sachlichen Leistungen. Er führt nur dazu, daß sich der Berichter mit raschem Eifer die verschiedenen Stalljargons aneignet und sich dann bestrebt, in dieser Ausdrucksweise Weltgeschichte zu schreiben. In Deutschland ist man darin noch nicht so weit wie in Österreich, wo die Zeitungen glauben, durch tägliche seitenlange Fußballberichte Lesermassen zu gewinnen. Es ist ihm nicht zu verdenken, daß der Berichterstatter, auf diesem Gebiet übrigens oft wirklich zu Hause u kritischer Würdigung fähig, hier in den Fehler verfällt, da ihm mehr Raum zur Verfügung steht, als allen Künsten u Wissenschaften zusammen, vom genialen Ferdl Swatosch zu schreiben oder die Heroen des Radrennens aufzuzählen. Irgendwo hat er natürlich heute noch das Gefühl, daß das nicht ganz wörtlich zu nehmen sei, aber wenn es so weitergeht, wird er ein Bahnbrecher neuen Geistes gewesen sein. Immerhin ist das kein Ernst. Und wenn ich meine Eindrücke zusammenfasse, der ich fast? jeden Sport ausgeübt habe u. heute alle Sportberichte lese, deren ich habhaft werden kann, so muß ich sagen: Wenn ich die Sache nicht aus eigener Erfahrung kennen würde, würde ich sie (mir) nach den Berichten (vorstellen können) verstehn; so aber nicht. So kann man über Theater schreiben, aber bei einer so ernsten u reellen Sache, wie es der Sport ist, ist es schade.

      Normung des Geistes

[1927 oder später]

      1. Erklärung

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