Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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mit einem elliptischen Integral oder einer Flugmaschine vergleichen ließen. Als wir jung waren, wußten wir, daß das, was wirklich geschieht, ganz unwichtig ist neben dem, was geschehen könnte. Daß der ganze Fortschritt der Menschheit in dem steckt, was nicht geschieht. Sondern gedacht wird; ihre Ungewißheit, ihr Feuer. Als wir jung waren, fühlten wir: leidenschaftliche Menschen haben überhaupt kein Gefühl in sich, sondern gestaltlose, nackte Stürme von Kraft!!

      Anselm ebenfalls erregt: Ja; und heute weiß ich einfach, daß das falsch und jugendlich war. Es sind Bäume, aber der Wind schüttelt sie nicht. Was diesen Gedanken fehlt, ist nichts als das bißchen Demut der Erkenntnis, daß schließlich doch alle Gedanken falsch sind und daß sie deshalb geglaubt werden müssen; von warmen Menschen!

      Thomas: Deine Demut! Anselm! Deine Demut! Anselm, Anselm!

      Anselm: Aber hast du denn je gelernt, was das ist?

      Thomas: Demut, das ist der Letzte sein wollen, das ist, der Erste von hinten! Er bricht vor Erregung in Lachen aus. Schreibt denn nicht Josef selbst von deiner Demut und Menschenliebe! Erfindet Josef?

      Anselm: Er ist ungerecht! Ungerecht ist er! Aber noch darin ein Mensch!

      Thomas: Und du liebst doch Regine? Oder läßt sie in Ungewißheit wegen Josef vergehn und schindest sie?!

      Maria: Ja, Anselm, da hat Thomas nicht ganz unrecht.

      Thomas noch einmal an ihn zu rühren versuchend: Anselm! Es ist etwas in dir, dem kein Mensch was gibt. Dem keiner was geben kann. Es pfeift auf Menschenliebe wie der Atem eines Sterbenden. In jedem ist es. Und es ist etwas in dir, das nach andren schreit. Und wäre es nach dem Mit-Nichtmenschen! Eine Angst, Unrecht zu behalten, doch irgendwo hinter allem. Was haben wir denn erreicht? Im Studierzimmer wie der Affe mit dem Stein in der Hand überlegt, wie er am besten die Nuß aufschlägt. Ohne einer einzigen Frage, die unsere Seligkeit als Mensch berührt, nahezukommen. Oder entmannt wie du, aus dem Gehirn einen tollen Weiberschoß gemacht, der sich an alles, was fest ist, preßt. Anselm, man ertrug es leicht, solang die Jugend nicht an den Tod denkt. Und später half man sich mit kurzfristigen Wechseln wie Werk und Erfolg. Aber noch etwas später wird zum erstenmal in dir lebendig, daß es niemals drei und vier und zwölf Uhr ist, sondern ein stummes Steigen und Sinken von Gestirnen um dich! Und zum erstenmal merkst du, daß etwas in dir dem wie Flut und Ebbe folgt, ohne daß du es kennst. Und der Asket schlingt ein Seil um sein Herz und das andre Ende um den größten Stern, den er nachts erblickt, und fesselt sich so. Und der Detektivmensch hat sein Gesicht an seinen Fährten und braucht es nicht aufwärts zu heben. Aber ich? Und du? Wenn du aufrichtig bist, trotzdem dir Maria zuhorcht? Anselm, einer ist ein Narr, zwei eine neue Menschheit!

      Erschöpfungspause.

      Maria die nun auch mit ihrer Toilette fertig ist, aufgeheitert: Aber ihr beide Narren! Jetzt sehe ich erst, wie verstiegen ihr seid. Habt ihr ein Wort von Josef gesprochen? Beide wenden sich ihr erstaunt zu, wie einer Stimme aus andrer Welt. Maria lachend. Anselm ist ja ganz kleinlaut. Wenn Sie nur mit Thomas sich aussprechen, da verzichtet er ja auf seinen symbolischen Detektiv!

      Thomas noch ganz verständnislos: Natürlich verzichte ich.

      Maria fortfahrend: Und Anselm hat sich verbrannt; Anselm hat Schmerzen; ich werde ihm rasch etwas Kühlendes auflegen. Sie beginnt einen Verband zu improvisieren. Geh doch voraus, er kommt dir nach, er kommt dir gleich nach in dein Zimmer.

      Anselm mit erzwungener Nachgiebigkeit: Aber das ist ja das Gefährliche an ihm, daß er alle überredet.

      Thomas: Soll es sein, Anselm? Er sieht ihn fragend an, der sich zwingt, den Blick zu bejahen. Trotzdem unsicher und bitter. Sollte es sein? Ich werde warten. Maria wirst du ja nicht enttäuschen. Ab.

      Anselm kaum daß Thomas das Zimmer verlassen hat, entzieht er Maria die Hand mit dem unfertigen Verband: Ich gehe nicht zu ihm.

      Maria: Was sagen Sie?

      Anselm: Daß ich natürlich nicht zu ihm gehe.

      Maria: Ich spreche kein Wort mehr mit Ihnen.

      Anselm unbekümmert: Er hat alles besser gewußt, seit wir Knaben waren. Aber ich wollte ihm nicht antworten! Ich muß ihm ja nicht antworten! Jubelnd. Ich muß nicht, Maria!! Ich muß nicht. Ich kann die Augen schließen, die Ohren, alle Luken zuziehn, bis es ganz dunkel wird um das, was ich weiß: und außen tobt und poltert der große Geldschrankknacker mit seinen zwei Brechstangen Verstand und Überhebung! Da Maria ein abweisendes Gesicht macht und nicht antwortet. Eher werde ich abreisen, als daß ich ihn einlasse!

      Maria: Tun Sie es! Es wird das beste sein.

      Anselm: Kommen Sie mit!

      Maria: Was haben Sie gesagt?

      Anselm: Kommen Sie fort.

      Maria erst sprachlos, dann: Aber Sie sind ja verrückt; was fällt Ihnen jetzt wieder ein?

      Anselm läßt eine kleine Weile verstreichen, dann verändert: Sie werden diesen Vorschlag natürlich falsch auffassen; das habe ich mir gedacht.

      Maria: Ich fasse ihn gar nicht auf. Ich bin hier geblieben, weil ich Ordnung schaffen will. Wenn Sie also noch etwas zu sagen haben, tun Sie es; beleidigen werden Sie mich nicht wollen.

      Anselm: Ich weiß nicht, ob Sie das beleidigt: Ich liebe Thomas viel mehr, als Sie ihn lieben. Denn ich bin ihm viel ähnlicher. Den Absturz, den er jetzt durchlebt, macht er mir nur nach. Und wenn ich feindselig bin, ist es vielleicht Angst um mich. Sie aber leiden nutzlos unter ihm, ohne es sich einzugestehn.

      Maria: Er leidet! Dieser starke Mensch, der immer gekonnt hat, was er will, ist seiner selbst nicht mehr sicher.

      Anselm eifersüchtig: Alles kann Thomas, aber leiden kann er nicht!

      Maria: Es ist fürchterlich anzusehn und ihm mit nichts helfen zu können.

      Anselm: Sie könnten es.

      Maria: Ich? Ach, Anselm, da haben Sie kein scharfes Auge! Ich verstehe von diesen unmenschlichen Ideen nichts.

      Anselm: Es gibt ein Mittel.

      Maria: Aber so sagen Sie es doch lieber gleich.

      Anselm: Ich habe es Ihnen ja schon gesagt.

      Maria nach einer Weile: Aber das sind Phantasien; das ist phantastisch.

      Es tritt eine Pause ein.

      Anselm: Glauben Sie denn, daß ich Thomas’ Überlegenheit bestreite, daß ich meinen Verstand neben seinem nicht als ungenügend empfinde?

      Maria: Man sagt, daß Sie von der Universität fortmußten, weil Sie Auftritte gehabt haben?

      Anselm: Ich habe mich unmöglich gemacht. Ich hätte vielleicht in einem Jahrhundert der Inquisition leben müssen. Wenn ein Mensch andrer Meinung ist, grinst mich der Stein an, die Bestialität. Wer den Blick dafür hat, sieht dahinter die schamlose Entschlossenheit von Ertrinkenden, die um den Platz im Boot kämpfen.

      Maria: Aber man muß doch verschiedener Meinung sein können!

      Anselm:

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