Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Es lag mir viel daran, eine so hochgestellte wissenschaftliche Persönlichkeit zufriedenzustellen: hier ist das schriftliche Elaborat. Er weist stolz auf eine dicke Mappe, die er nicht aus der Hand läßt.

      Regine: Elaborat? Sie wollen doch nicht sagen? Über wen?!

      Stader: Wir verwenden neben den geschilderten neuzeitlichen Mitteln natürlich auch Rescherschöre, Bestechungen, Frauen, Alkohol, Dienstboten, Spoliierungen, kurz die sozusagen klassischen Mittel der Detektivwissenschaft. Wollen Sie sehen? Er öffnet seine Mappe. Hier diese Postkarte ist von Doktor Anselm Mornas an seinen Schneider und handelt von der Bestellung eines Winteranzugs. Wollen Sie beachten, daß die Karte im August geschrieben worden sein muß. Das läßt sich beweisen durch das Datum des Poststempels und den Umstand, daß es sich um eine reine und direkte sogenannte Zweckorientierung handelt, wobei eine Irreführung des Schneiders nicht dienlich wäre.

      Regine ganz benommen: Das verstehe ich nicht, aber was läßt sich denn daraus schließen!?

      Stader: Oh …! Bestellung eines Winteranzugs im August, das könnte bedeuten: Voraussicht; Sparsamkeit, denn im Sommer sind die Winterstoffe billiger; Mangel an Schick, denn man erhält noch nicht die kommenden Winterstoffe; viertens eine geheime Absicht. Pedantisch vorsorglich ist er nicht, sparsam ist er nicht, ohne Schick ist er nicht: was bleibt also? Ein Geheimnis. Da haben Sie schon den ganzen Menschen! – Mit der Analyse des Inhalts stimmt die der Schrift überein. Sehen Sie nur diesen aufwärts strebenden Haken: Abenteuerlust. Dieses geduckte «u»: geheime Leidenschaften. Oh, es ist ein Genuß, das verborgene Wesen eines Menschen so spielend vor sich auszubreiten! Hier! Sehen Sie diesen Schattenstrich: ein Selbstmordgedanke! Und nun die sich fast verkriechenden Mittelbuchstaben: Wandertrieb; es ist die Schrift eines Mannes, der zuweilen verschwindet und die Nachricht ausstreut, daß er in den Tod geht. Ich halte mich nicht dabei auf, daß er das Wort «Betrag» so schreibt, daß man es auch für «Betrug» lesen könnte, ich weiß auch ohne das, sein Lebensdrang ist wach: diese steil ansteigenden Haarstriche! Er hat in summa das Gefühl, daß er ohne die Person nicht leben kann, die er im Winter in diesem Anzug treffen wird.

      Regine: Ja kennt er denn die schon?

      Stader: Das waren Sie!

      Regine: Woher wollen Sie das denn wissen.

      Stader: Nun ich werde als Beauftragter Seiner Exzellenz doch wissen, wann Doktor Anselm zum erstenmal ins Haus kam. Er sieht auf seine Armbanduhr. Aber meine Zeit beginnt mir zu mangeln, sehen Sie nur noch dieses Dokument.

      Regine: Das ist ja meine Schrift!

      Stader: Jaha. Das habe ich seinerzeit als Andenken mitgenommen: es war Ihr Wirtschaftsbuch.

      Regine: Was können Sie daraus sehen!

      Stader: Ich habe es selbst untersucht. In diesem Fall, muß ich sagen, haben alle wissenschaftlichen Anhaltspunkte nicht mehr ergeben, als ich schon wußte. Indes er blättert. Herzlos. Schläft lang. Unverständig. Kurz: In ruhigem, lang aufgespartem Triumph. Eine, wissenschaftlich betrachtet, durchaus nicht vollwertige Person. Und …! Er hat die gesuchte Stelle endlich gefunden und reicht sie ihr sehr vorsichtig hin, so daß ihm das Buch nicht entrissen werden kann. Und hier steht «Ferdinand» und daneben «Doppelpunkt kleiner Neapolitaner». Und da: «Johannes, wann kehrst du wieder?»!

      Regine: Geben Sie es mir zurück.

      Stader: Aber was denken Sie. Freundschaftlich. Ja, sagen Sie, ich habe vorhin etwas gehorcht, es war ja nicht viel Gelegenheit, aber die Dame, die in Ihrer Gesellschaft war, rief «Heilige». Machen Sie das also wirklich noch immer? Das haben Sie nämlich doch schon mir erzählt: Ihre Liebe zu mir galt dem seligen Herrn Johannes und mir gewissermaßen nur, wie wenn einer in Stellvertretung getraut wird. Das hat mir damals mächtig imponiert. Ich war unschuldig – entschuldigen Sie, daß ich lache: mir erzählten Sie das, dem späteren Newton & Stader – und ich habe es Ihnen geglaubt. Aber es war auch eine schöne Erfindung und hat mich später zum Psychologen gemacht. Nur: etwas so Ungewöhnliches ist nicht jedermanns Verständnis zugänglich. Und wenn man es zu oft wiederholt und ganz unwürdige Individuen zu den Akten kommen: Sie werden große Unannehmlichkeiten haben! Wissen Sie übrigens, daß Ihr jetziger Bräutigam bereits verheiratet ist und sich von seiner Frau nicht scheiden lassen will, um nicht Sie heiraten zu müssen.

      Regine die sich inzwischen zusammengenommen hat: Ja.

      Stader: Das hat nämlich die Analyse dieses Briefs an seine rechtmäßige Frau ergeben, – indem es darinsteht.

      Regine: Den möchte ich sehen, zeigen Sie ihn mir.

      Stader legt ihn in die Mappe zurück und verschließt diese sorgsam: Sie würden ihn zerreißen.

      Regine: Sie haben also den Auftrag erhalten, mich auszuspionieren?

      Stader: Seine Exzellenz der Herr Professor und ich dienen, jeder in seiner Art, seit unseren Mannesjahren der Wahrheit!

      Regine steht auf: Sie sind ein Schwindler! Sie wissen gar nichts! Ich habe Sie nie gekannt! Ich kann ja doch jederzeit einen Eid darauf schwören.

      Stader: Ich habe Ihnen ja bei weitem nicht alles gezeigt, ich habe noch ganz anderes Material: Vermissen Sie nichts?

      Regine: Was sollte ich vermissen?

      Stader: Ein Notizbuch zum Beispiel? Ein ganz kleines, gelbes Buch; darin haben Sie Ihre Lebensgeschichte aufgezeichnet und die des Doktor Anselm.

      Regine: Aber das habe ich doch – –!

      Stader: Nein, das haben Sie eben nicht mehr.

      Regine: Das habe ich doch in den Koffer gelegt, das weiß ich ganz bestimmt.

      Stader: Kann ja sein. Aber durchaus nicht nur die einfachen Naturen, auch in der besten Gesellschaft … ich kann nicht mehr sagen als: selbst in wissenschaftlichen Kreisen findet man Subjekte! – Aber lassen wir das. Sehen Sie, diese Ausbrüche der Heftigkeit kennen wir; Sie haben mich nicht beleidigt.

      Regine die ihren Entschluß gefaßt hat: Ja; lassen wir es!!

      Stader: Die Wahrheit ist immer Angriffen ausgesetzt, aber sie ist darüber erhaben.

      Regine: Wenn das die Wahrheit ist, so ist sie eine ungeheure schmutzige Menschenfalle … Ich sehe Sie an, wie ein Gespenst stehn Sie da. So wie Sie könnten dastehn: – ich werde nachdenken und Ihnen die genaue Zahl sagen; die können Sie dann zu den Akten nehmen. Wie soll ich Ihnen begreiflich machen, daß all das niemals wahr gewesen ist?!

      Stader dem diese Wendung ungelegen kommt: Sie brauchen es ja gar nicht.

      Regine: Aber es ist ja wahr gewesen! Erinnern Sie sich nicht?! Wissen Sie nicht mehr, wie hündinnenhaft ich Ihnen hingegeben war?

      Stader beruhigend: Vorbei ist gewesen.

      Regine: So kommen Sie nicht davon! Ich hatte Sie vorher gesehn, wie Sie waren, ich habe Sie nachher so gesehn: aber dazwischen konnte ich das einfach nicht aushalten, so abscheulich waren Sie mir!

      Stader: Ja, ja, ja; etwas Derartiges hört man immer nach solchen Gelegenheiten.

      Regine: Aber ich konnte mir ja gar nicht genug daran tun, mir vor Ihnen etwas zu vergeben! Ich kann, wenn ich allein im Zimmer bin, es manchmal auch nicht ertragen,

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