Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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ihn. Ich muß fühlen, daß ich jemand das Letzte, das Entscheidende bedeute. Oder ich fühle mich verworfen. Thomas kann die Menschen entbehren, aber sagen Sie doch selbst: welche Monstrosität!

      Maria: Darin haben Sie vielleicht nicht ganz unrecht; Thomas hat etwas Unmenschliches, ich habe es ihm auch oft gesagt.

      Anselm rasch festhaltend: Er schätzt alle gering. Er vertraut nur der Kraft eines hochgehobenen Steins: von dieser Art ist nämlich die Kraft seiner Vernunft; diese Vernunft, von der heute die Welt beherrscht wird. Die Kräfte zwischen Gesichtern von Menschen, zwischen den Schwalben im Herbst, die unbeweisbaren Kräfte, Kräfte der Wärme, des Errötens, Kräfte sogar zwischen den Pferden eines Stalls, freundlichen oder feindlichen Beisammenseins, die – kennt er vielleicht, – höhnisch – oh, gewiß wird er sie kennen. Aber Wahrheiten, die nur verstanden werden können in Sekunden der Erschütterung und aufleuchten wie ein Funke zwischen zwei Menschen, denen vertraut er nicht.

      Maria: Ich kann mir sehr gut denken, was Sie meinen. Aber in dem, was Sie sagen, steckt doch auch etwas, das sich sofort verflüchtigt, wenn man es beim Wort nehmen wollte. Etwas Unwirkliches. Etwas Unglaubwürdiges.

      Anselm: Und gerade Sie sind beseligend voll solcher Kräfte! Jede Gebärde Ihres Körpers wird davon bewegt und sendet sie aus. Ohne Übertreibung gesprochen, Maria, ich bin manchmal so durchflutet davon, daß ich unter der Angst leide, meine Glieder und Gesichtszüge könnten wider Willen die Bewegungen der Ihren nachahmen wie Pflanzen, die am Grund eines fließenden Wassers stehn.

      Maria: Aber das sind Übertreibungen!

      Anselm: Das Natürlichste! Die menschliche Natur selbst! Stellen Sie sich nicht gering! Sie wissen, man begreift überhaupt nichts mit dem Verstand, nicht einmal das Daliegen eines Steins, sondern alles nur durch Liebe. In einem namenlosen Annäherungszustand und Verwandtschaftsgrad. Wovon diese Sache Mann-Frau nur ein überschätzter Einzelfall ist. Aber Thomas hat Sie das vergessen gelehrt. Gestehen Sie doch, daß er Sie ohnmächtig niederdrückt. Was bedeuten Ihnen denn seine Begriffe und Überlegungen!

      Maria: Oh, es ist immer anregend und wertvoll!

      Anselm: Oh! Wirklich? Aber Sie haben eine tiefere Verbindung mit Mensch und Ding als er. Ich weiß doch, wie Sie waren!

      Maria: Das waren Jugenddummheiten.

      Anselm: Thomas hat diese Kräfte in Ihnen nicht geduldet, wie er keine Kraft neben seiner duldet. Nun fehlen sie ihm. Das ist seine Katastrophe; ich habe ihn so weit, daß er es selbst ahnt.

      Maria: Aber was wollen Sie eigentlich?!

      Anselm: Was ist dabei: Sie gehen mit Regine und mir plötzlich fort?

      Maria: Aber welchen Sinn?

      Anselm: Heimlich. Ein so unerwarteter Stoß ist das einzige, was ihn erschüttern und zur Einkehr bringen könnte. Er zerstört sich sonst selbst.

      Maria: Aber was würde Regine dazu sagen? Sie will doch möglichst bald Ordnung und Heirat!

      Anselm: Maria, sie darf nichts einwenden! Ich muß Ihnen noch etwas anvertraun: Ich habe Regine nie mehr als Freundschaft versprochen.

      Maria: Aber wozu geschieht dann alles?! War je von andrem die Rede?

      Anselm: Helfen wollte ich ihr! Wissen Sie, warum Josef mich einen Betrüger nennt? Weil er nicht versteht, daß ich Regine von ihm fortgeholfen habe, ohne sie in diesem engen und alltäglichen Sinn zu lieben.

      Maria: Aber er sagt doch auch: Potiphar?

      Anselm: Weil er das irgendwie herausgebracht hat. Ich wollte sie aber nur wieder leben lehren, Gefühle in ihr erwecken, Gewichte ihr auferlegen; um sie aus der gespenstischen Luftleere herauszubringen, die um sie entstanden war.

      Maria: Aber diese Geschichte mit Johannes ist doch erst recht ein Hirngespinst?!

      Anselm: Eben deshalb nennt mich doch auch Thomas Betrüger. So muß ich Ihnen also auch das gestehn. Ich duldete es, um mich zu schützen! Regine neigte dazu, mich mißzuverstehn; sie war so herabgekommen. Aber mir graute davor, daß sich die menschliche Beziehung wieder zu diesem Krampf zusammenziehen sollte: so mußte ich Johannes zur Ablenkung benützen. Was immer er war, er war nicht ich!

      Maria: Schrecklich, was Sie da mitgemacht haben!

      Anselm: Eine Schwäche vielleicht von mir. Ich fand diese Geschichte vor; sie verkehrte mit diesem Toten wie mit einem lebendigen Schutzheiligen. Der sie vor nichts beschützte; vor nichts! Sie ist ja ein Mensch ganz ohne wahre Beziehungen zu andren Menschen. Ihre Gefühle sitzen im Kopf wie bei Thomas. Solche Menschen sind in allem übertrieben. Dann rührte mich wohl auch die arme Unbeholfenheit dieser Lüge. Aber ich wollte sie gerade von diesem Morphiumpräparat ganz sacht entwöhnen, da kam Thomas mit seinem Eingreifen. Heirat, Brief an Josef, Detektiv: Sie können nun ermessen, was er angerichtet hat.

      Maria: Ich pflichte Ihnen noch gar nicht in allem bei, Anselm, aber ich beginne jetzt freilich einen Zusammenhang zwischen manchem zu ahnen, das ich bisher nicht verstand.

      Anselm: Thomas ist ja in dieser Sache der gnadenlose Verstandesmensch, den er in Josef bekämpft; den er nur in Josef bekämpft!

      Maria: In der Tat, Sie haben nicht ganz unrecht; ein wenig haben Sie recht … Man müßte schon etwas Starkes tun, um ihn zur Umkehr zu bringen … Und Sie waren wirklich in einem Kloster?

      Anselm: Warum fragen Sie? Ich war dort.

      Maria: Anselm, weil Sie mir immer nur die Wahrheit sagen dürfen! Ich würde zugrunde gehn, wenn jetzt nicht volle Wahrheit zwischen uns allen herrscht!

      Anselm: Maria, selbst wenn ich wollte, könnte ich Sie nicht belügen; Ihnen beichte ich ja!

      Maria: Sie müssen aber doch mit ihm sprechen.

      Anselm: Das kann ich nicht! In einen nach Verständigung Dürstenden mich hinabbeugen kann ich; aber mit Thomas sprechen kann ich nicht. Sie können ihm ja alles wiedererzählen. Könnten Sie ihm sagen, was wir gesprochen haben?! Oder würden die Worte zwischen Ihrem Mund und seinem Ohr die Kraft verlieren?! – Sie müssen heimlich und überraschend von hier fortgehn. Er sucht Sie. Der Platz, den sein Ratschluß Ihnen zugewiesen hat, ist verlassen. Sie sind bei sich. Das ist das einzige, was ihn zur Umkehr bringen kann!

      Maria: Wissen Sie, daß Sie Gefahr laufen, ein schlechter Mensch zu werden? Sie meinen etwas Gutes, aber Sie kennen dann gar keine Bedenken in der Wahl der Mittel.

      Anselm: Aber was heißt denn, Mittel wählen, wenn ich schon fühle, daß Sie aus Ihren innersten Kräften das richtige finden werden; es hieße, mit der Pistole nach der Sonne schießen. Ach, Maria, ich bin weniger als ein schlechter Mensch; ein Gelehrter, der die Gelehrsamkeit verloren hat, und ein Mensch, der sich immer und immer wieder in der Wahl seiner Mittel vergriff. Nur Sie können uns helfen.

      Maria: Anselm, wir müssen darüber noch sprechen. Auch über Regine. Sie versprechen mir aber, danach mit Thomas zu reden? Da Anselm schweigt. O ja, Sie versprechen es! Kommen Sie, dann gehen wir jetzt noch in den Park. Da Anselm sich zur anderen Türe wendet. Nein, nicht da herum, hier – sie zeigt auf das Schlafzimmer – haben wir es ganz nahe. Aber Sie müssen die Augen schließen, es ist alles in Unordnung. Ich meine, wenn wir uns aussprechen, könnte es Thomas wirklich helfen.

      Anselm

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