Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Staffelei nicht. Er sah in eine schwüle, von Fackellicht durchzuckte Sommernacht hinein. Die rötlichen Tinten, teils tief im Hintergrund aus den Fenstern eines Palastes quellend, teils vereinzelt und unruhig zwischen riesigen Parkbäumen hindurch unaufhaltsam nach dem Vordergrund eilend, wogten so täuschend und überzeugend, daß man meinen konnte, sie müßten im raschen Vordringen auch das Atelier füllen und sein leises Dämmern durchleuchten. In diesen weiten Raum fiel augenblicklich nur das Oberlicht, aber auch gedämpft, nicht grellgemischt mit dem heißen Goldgefunkel der unverhüllten Sonne ... Dabei herrschte lautlose Stille, nur unterbrochen, oder vielmehr begleitet von dem eintönigen, traumhaften Plätschern fallender Wasser hinter einem zugezogenen dunkelgrünen Samtvorhang von großartigem Faltenwurf, der die ganze Schmalseite des Ateliers nach Süden hin vollkommen bedeckte ... Auch dieses verborgene melancholische Rauschen und Rieseln mischte sich mit dem unheimlich schwülen Atem der Sommernacht auf der köstlich belebten Leinwand – der durch Alleen und Gehölz irrende Fackelschein glühte da und dort hochaufspringende Wasserstrahlen an und löste sie, wie plötzlich hervortretende Geistererscheinungen, aus dem tiefen, verschwiegenen Dunkel.

      Wie traumverloren, der Wirklichkeit vollkommen entrückt, arbeitete der Künstler. Er sah nicht, daß seitwärts durch eine aufgehende Türe das sonnige Tageslicht breit hereinfiel; er hörte nicht die leichten Tritte, die auf ihn zuhuschten, bis eine zaghafte Mädchenstimme neben ihm laut wurde. »Herr Baron, die Fremden sind eben vorgefahren,« meldete Hannchen.

      Er fuhr zusammen, als seien diese geflissentlich gedämpften Laute Trompetenstöße gewesen, und ein hastiger Unwille über die Störung wallte sichtlich in ihm auf. Zornig warf er den Pinsel hin, während das Mädchen sich scheu zurückzog und wieder hinausschlüpfte. Erst bei dem leisen Geräusch, welches das Zudrücken des Türschlosses verursachte, war es, als werde er sich seiner und der Außenwelt wieder bewußt. »Lucians Kinder!« murmelte er wie zu seiner eigenen Besänftigung. Er streifte die Bluse ab und eilte durch den Garten.

      Als er die Flurhalle des Säulenhauses betrat, da stand die gegenüberliegende, nach dem Vorgarten führende Haupttüre weit offen. Die Dienerschaft des Hauses trug Koffer um Koffer herein, leichtes, jedenfalls nur Damengarderobe enthaltendes Gepäck, Wie die mühelose Beförderung bewies.

      Neben einem Haufen Gepäckstücken, den die Leute bereits aufeinander getürmt hatten, kniete die Kammerjungfer Minna. Sie hatte einen halbzertrümmerten Hutkoffer vor sich; Spitzen und Bänder quollen aus dem geborstenen Gefüge, und auf der Faust der Zofe schwebte ein vollständig zerquetschter Damenhut, den sie aus dem Gemenge von Holzstangen und Lederfetzen gezogen hatte.

      Und die flötenhafte Stimme, die an dem ereignisvollen Abend vor acht Jahren so lustig und silbern von den polierten Steinwänden widergehallt, sie war auch wieder da – sie schalt und kicherte wie ein Kobold in einem Atem. »Dumme Menschen! Einem die Effekten so zu malträtieren! Das kann eben nur im guten, biderben Deutschland passieren! Aber ich werde mich beschweren – der Hut war ganz reizend, ich war wie vernarrt in ihn! – Gott, wie lächerlich er in der Verfassung aussieht! Ha, ha, ha!... Bah, schneide doch nicht gar so verdrießliche Grimassen, Minna! Bin ich etwa schuld an dem Unheil!« Die feine Fußspitze der Sprechenden stieß eine kornblumenblaue Seidenbandrolle, die über das Steingetäfel des Fußbodens gerollt war, nach dem Gepäck zurück; um die ganze bewegliche Gestalt irrte ein leises Geräusch von klirrendem Kettenschmuck und knisternden Stoffen, und die Hände mühten sich, die zerdrückten Locken aufzuschütteln; aber sie fuhren plötzlich herab, um sich dem eintretenden Herrn des Hauses entgegenzustrecken – die kleine Frau flog mit einem freudigen Ausruf auf ihn zu.

      »Da sind wir, lieber Baron! ... Ach Gott, wie muß ich an den armen Felix denken, wenn ich Sie sehe! ... Oh, nicht wahr, wer hätte damals sagen sollen, daß ich so jung Witwe werden würde? So jung! – Der Arme, nun liegt er drüben so allein! Und was hat er leiden müssen – es war furchtbar, sag' ich Ihnen! ... Wissen Sie, für mich ist Felix eigentlich schon gestorben in dem Augenblick, wo er die schwere Wunde erhalten hatte. Ich kann niemand leiden sehen; eine Krankenstube ist mir fürchterlich wie die Hölle – so verdunkelt und dumpf; dazu das schmerzliche Stöhnen, dazu die schleichenden Tritte, die gedämpften Stimmen der Pflegenden – das alles wirkt so furchtbar deprimierend auf mich, daß ich auf und davon laufe.«

      Sie unterbrach sich und wandte den Kopf zurück – ein metallbeschlagener Koffer wurde eben über die Stufen der Säulenhalle gehoben; er war gewichtiger als die anderen, man hörte das an dem Keuchen und den schwerfällig schwankenden Schritten der Diener, die ihn heraufschleppten.

      »Wir beanspruchen viel Raum, nicht wahr?« fuhr die kleine Frau lebhaft fort und deutete lächelnd auf das Gepäck. »Wir haben auch Malheur gehabt. Sehen Sie doch das unbeschreibliche Etwas, das meine Jungfer dort so trübselig hin- und herwendet – das war einmal ein Hut, ein allerliebstes Barett, das ich mir in Hamburg zur Austrauer gekauft hatte ... Man hat mir den Koffer scheußlich zugerichtet – eine fabelhafte Tölpelei!«

      Baron Schilling ließ ihre Rechte, die er unwillkürlich zwischen seinen Händen festgehalten, plötzlich sinken. Das zierliche Wesen da vor ihm kam – wenn auch vielleicht ein wenig bleicher und schmalwangiger – genau so wieder zurück, als was es über das Meer gegangen war, als die leichtbeschwingte Schmetterlingsseele, die nur um die Blumen des Lebens flattert und sich scheu von dem unwirtlichen Feld der Kümmernisse wegwendet ... Die zwei Tränen um den Toten, die sich vorhin über ihre Wangen gestohlen, waren gewiß aufrichtig gemeint gewesen, aber fast mit ihnen zugleich vertieften sich bereits die Wangengrübchen im halb schmollenden, halb schalkhaften Lächeln über die lächerliche Form eines mißhandelten Hutes.

      »Haben meine Leute da« verschuldet?« fragte Baron Schilling kurz, fast finster.

      »Nein, o nein! Es ist auf dem Bahnhof geschehen ... Ah bah – es hat nichts zu bedeuten! Ich werde gleich morgen nach Berlin schreiben, an meine ehemaligen Putzlieferanten, die jedenfalls noch existieren und sich närrisch freuen werden« – sie verstummte, als habe sie sich verplaudert, und sah verstohlen seitwärts; Baron Schilling folgte der Richtung dieses Blickes, und jetzt erst bemerkte er die Gruppe, die sich nach dem Eingang des großen Korridors zurückgezogen hatte und dort im lautlosen Schweigen verharrte.

      Die Hüterinnen der Flurhalle, die Karyatiden mit ihren strenggeschnittenen, weißen Steingesichtern droben am Plafond, hatten wohl noch nie auf ein solch ebenholzschwarzes, krausköpfiges Menschenwesen niedergesehen, wie es dort auf den Marmorfliesen stand. Eine Negerin im Schillingshof! ... Die ab- und zugehenden Leute des Hauses starrten sie an, und ihr spielte ein gutmütiges Lächeln um den dicken, rotlippigen Mund.

      Sie trug ein kleines Mädchen auf dem Arme, ein blasses, dunkeläugiges Kind im weichfallenden, weißen Kaschmirüberwurf – es sah aus, als schmiege sich ein großer, weißer Falter an das dunkle Negerweib ... Das Kind hatte offenbar Furcht vor dem fremden Hause; sein dünnes Ärmchen umklammerte den Hals der Trägerin, und das kleine Gesicht, unter einer niedersinkenden Flut goldblonder Haare, drückte sich fest an die schwarze, feiste Wange ...

      Und dort, hart an der ersten Marmorstatue, stand eine Dame. In der Rechten hielt sie die Hand eines ungefähr siebenjährigen Knaben, und die Linke stützte sich auf das hohe Piedestal des Götterbildes ... Während im Anzug der jungen Witwe bereits das Grau und Weiß der Halbtrauer vorherrschten, unterbrach an dieser Erscheinung auch nicht eine helle Linie das strenge Schwarz tiefer Trauer – wie eine Statue der Nacht stand sie, in ihren langwallenden Gewändern und Schleierfalten, neben der hellen Steinfigur. ... Es waren ein Paar mächtige Augen in diesem ernsten, wunderschönen Frauengesicht, die unter leicht zusammengezogenen Brauen finster die lebendigen, gaukelnden Bewegungen der jungen Witwe verfolgten.

      »Mein Zuchtmeister ist ungnädig,« murmelte Lucile mit unterdrücktem Ärger. »Kommen Sie, Baron! Dame Mercedes liebt es nicht zu warten – sie ist über alle Beschreibung hochmütig, diese spanische Baumwollenprinzessin.«

      Baron Schilling trat rasch auf die

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