Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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      Sie erhob sich und ging, gestützt auf die Kammerfrau, hinunter in die Zimmer ihres Bruders. In dem Salon, dessen Glasthüren auf die Freitreppe mündeten, ließ sie ein Frühstück servieren und setzte sich, den Zurückkehrenden erwartend, in einen Lehnstuhl. Sie nahm eines der prachtvoll gebundenen Albums, die auf den Tischen umherlagen, auf den Schoß; mechanisch wendete ihre Hand die Blätter um, ihre Augen ruhten wohl auf den feinen Stahlstichen, aber sie hätte um alles nicht zu sagen gewußt, ob sie ein Porträt oder eine Landschaft ansehe.

      Nach halbstündigem Warten erschien endlich die hohe Gestalt ihres Bruders in der Glasthür. Sie ließ das Buch von ihrem Schoße heruntergleiten und streckte dem Eintretenden die Hand entgegen. Er schien überrascht von dem Empfange, aber es berührte ihn offenbar sehr wohlthuend, die Schwester nach so langer Zeit wieder einmal allein und für seine Bequemlichkeit zärtlich besorgt zu sehen. Rasch eilte er zu ihr hin, allein ein zweiter Blick, den er auf ihr Gesicht warf, machte ihn stutzen.

      »Fühlst du dich kränker, Helene?« fragte er besorgt, indem er sich neben sie setzte. Er schob seinen Arm unter ihren Rücken und hob sie sanft ein wenig höher, um besser in ihr Gesicht sehen zu können. Es lag so viel Bekümmernis und zärtliche Teilnahme in seinem Blicke und Tone, daß es ihr war, als zöge plötzlich eine milde Frühlingsluft durch ihr schmerzerstarrtes Innere. Zwei schwere Thränen rollten über ihre Wangen, und sie drückte ihr Gesicht fest an die Schulter ihres Bruders.

      »Hat Fels in diesen Tagen nicht nach dir gesehen?« fragte er beklommen. Das Aussehen des jungen Mädchens versetzte ihn offenbar in heftige Sorge.

      »Nein – und ich habe auch ausdrücklich befohlen, daß man ihn nicht rufen solle. Ich nehme die Tropfen, die er mir für meine Nervenanfälle verschrieben hat; mehr können er und ich nicht thun … Aengstige dich nicht, Rudolf, es wird wohl auch einmal wieder besser mit mir … du hast eine schwere Zeit in Thalleben durchmachen müssen?«

      »Ja,« entgegnete er, während sein Auge noch immer ängstlich auf den merkwürdig veränderten Zügen der Schwester ruhte. »Ich fand den armen Hartwig nicht mehr am Leben; ein Schlagfluß hatte seinen unaussprechlichen Qualen rasch ein Ende gemacht … Gestern abend wurde er beigesetzt. Seine unglückliche Frau würdest du nicht wieder erkennen, Helene, sie ist über Nacht zur Matrone geworden.«

      Er teilte ihr noch näheres mit über den Unglücksfall, dann strich er mit der Hand über die Augen, als wolle er damit all den Jammer, den er in den letzten Tagen gesehen, wegwischen.

      »Nun, und finde ich hier alles beim alten wieder?« frug er nach einem kurzen Schweigen.

      »Nicht ganz,« antwortete Helene zögernd, »Möhring hat gestern unser Haus verlassen.«

      »Ah – Glück auf die Reise… . Er ist einer letzten Begegnung mit mir geschickt ausgewichen … Nun habe ich einen Feind mehr draußen in der Welt – es konnte nicht wohl anders sein, da er zu jenem unheimlichen Nachteulengeschlechte gehört, das ich verabscheue.«

      »Und auf dem Berge – bei den Ferbers – ist das Glück eingekehrt,« fuhr Helene mit gepreßter Stimme und abgewendetem Gesicht in ihrem Berichte fort.

      Der Fauteuil, auf welchem sie saß, erhielt plötzlich einen Ruck an der Seite, wo ihr Bruder seinen Arm aufgestützt hatte. Sie sah nicht auf, und deshalb bemerkte sie nicht, wie das Gesicht neben ihr für einen Augenblick mit einer fahlen Blässe überzogen wurde, und wie die bebenden Lippen zweimal vergebens sich mühten, um endlich das einzige Wörtchen »nun?« hervorzubringen.

      Helene erzählte die Begebenheit in den Ruinen, während ihr Bruder aufatmend zuhörte. Mit jedem Worte weiter schien ihm ein Stein vom Herzen zu fallen; er ahnte freilich nicht, daß jedes dieser Worte wie ein zweischneidiges Schwert in dem Herzen der Erzählerin wühlte und daß diese Mitteilung bereits der Anfang eines furchtbaren Opfers war, das sie bringen sollte.

      »Das ist in der That eine wunderliche Lösung alter Rätsel,« sagte er, nachdem Helene geendet hatte. »Ob aber die Familie es für ein Glück hält, dem Geschlechte der Gnadewitz anzugehören, bezweifle ich.«

      »Ah, du meinst,« unterbrach ihn Helene rasch, »weil das junge Mädchen einst sehr viel an dem Namen auszusetzen hatte? … Ich kann mir nicht helfen, aber ich denke bei dergleichen Dingen manchmal unwillkürlich an die Trauben, die dem Fuchse zu sauer sind. Sie sprach die letzten Worte mit einer schneidenden Schärfe. So weit ging ihre leidenschaftliche Aufregung und Bitterkeit, daß sie ihre bessere Einsicht verleugnete und die Gesinnungen eines Wesens verdächtigte, das sie nie beleidigt, und welches sie früher bei unparteiischer Anschauung als eines der reinsten bezeichnet hatte.

      Ein Ausdruck des höchsten Erstaunens erschien in Herrn von Waldes Zügen. Er bog sich nieder und sah forschend in das gesenkte Gesicht der Schwester, als wollte er sich überzeugen, ob es wirklich ihr Mund gewesen sei, der diese herben Worte gesprochen hatte.

      In diesem Augenblicke sprang Hollfelds Jagdhund die Stufen herauf, machte einige täppische Sprünge durch das Zimmer und verschwand sofort wieder auf einen grellen Pfiff, der über den breiten Kiesplatz herüberscholl. Sein Herr ging drüben vorüber. Er schien nicht zu wissen, daß Herr von Walde zurückgekehrt war, sonst würde er doch gewiß gekommen sein, ihn zu begrüßen. Er schritt eilig vorwärts und bog in den Weg ein, der hinauf nach Gnadeck führte. Helenes Blicke folgten der Gestalt, bis sie verschwunden war, dann sank sie mit krampfhaft gefalteten Händen in den Stuhl zurück; es sah aus, als versagten ihr momentan die Kräfte.

      Herr von Walde schenkte ein wenig Rotwein in ein Glas und hielt es an ihre Lippen. Sie sah dankbar auf und versuchte zu lächeln.

      »Ich bin noch nicht zu Ende mit meinem Berichte,« begann sie wieder und richtete sich auf aus ihrer halbliegenden Stellung. »Ich mache es, wie der Romandichter, der den Haupteffekt bis zuletzt aufhebt«; es war nicht zu verkennen, daß sie während dieser Vorrede, die scherzhaft klingen sollte, nach Kraft und Festigkeit rang, um das, was sie sagen mußte, ruhig vorzubringen. Ihr Auge haftete angestrengt auf einem der gegenüberliegenden Bosketts, während sie fortfuhr. »Unserem Hause steht ein glückliches Ereignis bevor, Emil – wird sich verloben.«

      Sie hatte sicher erwartet, ihr Zuhörer werde sofort seine höchste Ueberraschung aussprechen, denn nach einem augenblicklichen Schweigen drehte sie sich erstaunt nach ihm um. Er hatte die Hand auf Stirn und Augen gepreßt, und der Teil des Gesichts, den sie nicht bedeckte, war aschbleich. Bei Helenes Bewegung jedoch ließ er die Hand sinken, erhob sich rasch und trat an das offene Fenster, um frische Luft einzuatmen.

      »Bist du unwohl, Rudolf?« rief sie ängstlich hinüber.

      »Ein vorübergehender Schwindel, weiter nichts,« antwortete er und näherte sich ihr wieder. Seine Züge sahen entstellt aus. Er ging einigemal im Zimmer auf und ab und nahm dann seinen Platz wieder ein.

      »Ich habe dir gesagt, daß Emil sich verloben will; Rudolf,« begann Helene wieder, jedes Wort markierend.

      »Das hast du gesagt,« wiederholte er tonlos und mechanisch.

      »Du billigst diesen Schritt?«

      »Der geht mich nichts an. Hollfeld ist sein eigener Herr; er kann thun, was ihm beliebt.«

      »Ich glaube, er hat gewählt. Dürfte ich, so wollte ich dir den Namen des jungen Mädchens nennen.«

      »Ist nicht vonnöten … Ich werde ihn früh genug hören, wenn er von der Kanzel herab verkündigt wird.«

      Sein Gesichtsausdruck war eisig, die Stimme klang rauh und abweisend, und aus den Wangen schien auch der letzte Blutstropfen

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