Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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trieb er sich mit seinen Hunden in den Tälern der Sevennen herum. Er sammelte Steine, Pilze, Blumen, fing Vögel und Schlangen, jagte, sang und fischte. Ging ihm etwas in die Quere und war sein Blut in Wallung, so nahm er das feurigste Pferd aus dem Stall und ritt etwa über die gefährlichen Felsenpfade nach Rieux. Im Winter, in kalter Morgenstunde, sah man ihn im Wasser des Flusses baden, in schwülen Sommernächten lag er nackt und fiebernd unter freiem Himmel. Er behauptete dann, er sähe die Sterne tanzen und fühle die Erde zittern. Um die Zeit der Weinlese war er, ohne je zu trinken, wie im Rausch; er veranstaltete Feste mit Musik und Fackelzügen und machte den Schutzpatron aller Liebesverhältnisse unter dem Winzervolk. Bei langdauerndem schlechten Wetter wurde er blaß, schlaff und überempfindlich, verlor Schlaf und Appetit und geriet in plötzliche Wutanfälle, die der Schrecken seiner Leute waren; bei einer solchen Gelegenheit fällte er einmal mit der Axt ein halb Dutzend der herrlichsten Bäume im Garten, die er, wie alle wußten, so leidenschaftlich liebte, als ob sie seine Brüder wären.

      Daß bei seiner ungeordneten Verwaltung der Ertrag des Gutes von Jahr zu Jahr geringer wurde, war keinem erstaunlich als ihm allein. Er geriet in Schulden, aber davon zu sprechen oder daran zu denken, bereitete ihm den größten Widerwillen und was er dagegen unternahm, war eine regelmäßige Beteiligung an verschiedenen Lotterien, deren Ziehungstermine er stets mit kindlicher Ungeduld erwartete.

      Als das Gericht, der unüberhörbaren Meinung und Anklage des Volkes gehorchend, die Verhaftung Bastides anordnete, wußte dieser schon, was gegen ihn im Werke war. Er saß, mit einer Holzschnitzerei beschäftigt, unter einer mächtigen Platane, als die Huissiers auf dem Hof erschienen. Charlotte Arlabosse stürzte zu ihm und packte seinen Arm, doch er machte sich los und sagte: »Laß sie nur gewähren, die Eiterbeule ist schon lange reif.« Mit ironischer Grandezza trat er den Bewaffneten entgegen und rief: »Euer Diener, meine Herren.«

      Die Bewohner von La Morne wurden einem strengen Verhör unterworfen. Nach Bastides eigener Angabe war er am Nachmittag des neunzehnten März nach Rhodez geritten; um sieben Uhr abends sei er schon bei seiner Schwester im Dorfe Gros gewesen, dort habe er übernachtet, sei am Morgen nach La Morne zurückgekehrt, dann auf die Nachricht vom Tode des Oheims wieder nach Rhodez geritten und habe sich ungefähr eine halbe Stunde lang in Fualdes Haus aufgehalten. Seine Schwester bestätigte, daß er die Nacht in ihrem Hause verweilt habe, und fügte hinzu, er sei im Gespräch besonders heiter und liebenswürdig gewesen. Auch die Magd, die ihm aufgewartet und das Bett bereitet hatte, sagte aus, daß er sich um zehn Uhr schlafen gelegt habe.

      Diesen Zeugen wurde nicht geglaubt, ja sie wurden bald darauf als verdächtig in Haft genommen. Von den Leuten auf La Morne schwatzte der eine dies, der andere das. Um nur irgend etwas zu sagen und nicht als Dummköpfe oder Mitschuldige dazustehen, verwickelten sie sich in Reden von bedeutungsvoller Dunkelheit, und so äußerte ein Diener, daß die graue Stute des Herrn, wenn sie zu sprechen vermöchte, von sauren Ritten in jener Nacht erzählen könnte. Die Mägde faselten oder vergossen Tränen, Charlotte Arlabosse entfloh sogar, wurde in den Weingärten ergriffen und ins Stadtgefängnis gebracht.

      Bousquier und seinen Gefährten blieben diese Ereignisse keineswegs verborgen, ja es wurden ihnen geringfügige Umstände mit wichtiger Betonung mitgeteilt, um sie sicher zu machen und ihrem Gedächtnis nachzuhelfen. Hauptsächlich auf den Schmuggler Bach hatte es nun der Untersuchungsrichter abgesehen, den man zuerst wie auch das Ehepaar Bancal zu keiner Angabe hatte bewegen können. Er hatte Richter und Wärter mit heftigen Wutausbrüchen erschreckt und war zur Strafe und Bändigung in Ketten gelegt worden. Ohne es eigentlich zu wissen, litt dieser Mensch an ungeheurer Sehnsucht nach seiner Freiheit, denn er war das Muster eines schweifenden Vagabunden und Strolches. In einer Nacht, als er versucht hatte, sich durch Zusammenpressen der Kehle zu töten, machte ihn Monsieur Jausion mit den Geständnissen seines Kameraden Bousquier bekannt und ermahnte ihn, auch seinerseits der fruchtlosen Verstocktheit zu entsagen. Da verwandelte sich plötzlich das Benehmen des Menschen; er schien heiter, wurde mitteilsam und sagte boshaft grinsend: »Nun gut, wenn Bousquier viel weiß, so weiß ich noch mehr«. Und in der Tat, er wußte mehr. Er war ein Stotterer und nutzte dieses Übel aus, um Zeit zur Überlegung zu gewinnen, wenn die Einbildungskraft erlahmen wollte, und so oft er sich ins Gebiet des Märchenhaften verirrte, führte ihn der scharfsinnige Monsieur Jausion sanft auf die Straße der Wirklichkeit zurück.

      Er erzählte also: Als er mit Bousquier ins Zimmer trat, saß der Advokat Fualdes auf einem Stuhl beim Tisch und mußte Wechsel unterschreiben. Der große starke Mann, Bastide Grammont nämlich, – kein Zweifel, es war Grammont; Bach vertraute darin den Mitteilungen des Richters und der beredsamen Fama – steckte die unterschriebenen Papiere in seine Brieftasche. Währenddessen kochte Frau Bancal einen Imbiß, Hühner mit Gemüse und Kalbfleisch mit Reis; eine wichtige Schattierung, durch welche die Kaltblütigkeit der Mörder bezeichnet wurde. Kurz vor acht Uhr kamen zwei Tamboure herein, aber das Gesicht des Wirts oder des fremden Herrn mißfiel ihnen, sie glaubten zu stören und gingen wieder, worauf das Haustor versperrt wurde. Doch wurde dann noch mehrmals gepocht; das verabredete Zeichen waren drei kurze Schläge mit der Faust und nach und nach kamen der Soldat Colard mit seiner Geliebten, der bucklige Missonier, eine vornehme verschleierte Dame mit grünen Federn auf dem Hut und ein Tabakshändler im blauen Rock. Der Hut mit grünen Federn war ein besonderer Beweis von Bachs Erfindungsgabe und stach malerisch glaubhaft ab von dem blauröckigen Tabaksmann.

      Um halb neun Uhr brachte Frau Bancal ihre Tochter Magdalene in die Dachkammer zum Schlafen, und nun erklärte Bastide Grammont dem alten Mann, daß er sterben müsse. Das beschwörende Flehen des Opfers hatte keinen andern Erfolg, als daß ihn der starke Bastide ergriff und trotz seines heftigen Sträubens auf den Tisch legte, von welchem Bancal rasch zwei Brote wegnahm, die irgend jemand mitgebracht hatte. Fualdes schrie jämmerlich, man möge ihm einen Augenblick Zeit lassen, damit er sich mit dem Himmel versöhnen könne, doch Bastide Grammont entgegnete barsch: »Versöhne dich mit dem Teufel!«

      Hier unterbrach Monsieur Jausion die Erzählung und fragte mit treuherziger Neugier, ob nicht vielleicht in diesem Moment eine Drehorgel vor dem Haus zu spielen angefangen hätte. Bach bestätigte es eifrig und fuhr in seinem Bericht fort, der nun ihm selber Spannung und Grauen verursachte: Colard und Bancal hielten dem Alten die Beine, während der Tabakshändler und Colards Geliebte Arme und Kopf packten. Ein Herr mit einem Stelzfuß und einem dreispitzähnlichen Hut hielt die Kerze hoch. Das Auftauchen dieser neuen Figur hatte etwas Unheimliches und wenn sie nichts darstellen sollte als einen die Schauer der Mordnacht vervollständigenden Schnörkel, so erfüllte sie ihren Zweck trefflich. Der kerzenhaltende Stelzfuß glich einem verruchten Schatten aus der Unterwelt, und es war nicht vonnöten, das schmale Kinn, das feixende Maul, das geisterhafte Auge besonders zu schildern.

      Mit einem breiten Messer versetzte Bastide Grammont dem Alten einen Stich; durch eine übermenschliche Anstrengung gelang es Fualdes, sich loszureißen, er sprang auf, schon zu Tod verwundet, mit heiserem Gurgeln durch das Zimmer; Bastide Grammont ihm nach, umklammerte ihn, warf ihn abermals auf den Tisch, der Tisch wankte, ein Bein brach; nun trug man den Sterbenden auf zwei rasch zusammengerückte Bänke und Bastide Grammont stieß das Messer tief in seinen Hals. Mit dem letzten Seufzer des Greises kamen Bancal und seine Frau und fingen das herunterfließende Blut in einem irdenen Tiegel auf; was über die Dielen rann, scheuerten die Weiber ab. In den Taschen des Ermordeten fand sich ein Fünffrankenstück und mehrere Soustücke. Bastide Grammont warf das Geld in die Schürze der Bancal und sagte: »Nehmt! wir töten ihn nicht um dieses Geldes willen«. Es wurde auch ein Schlüssel gefunden, den steckte Bastide zu sich. Frau Bancal hatte Lust zu dem feinen Hemde des Toten und bemerkte lüstern, es sähe wie ein Chorhemde aus, doch lenkte man sie von ihrer Begierde ab, indem man ihr einen Amethystring von Fualdes Finger schenkte. Dieser Ring wurde am andern Tag von einem unbekannten Herrn gegen eine Entschädigung von zehn Franken wiedergeholt.

      Als Bachs Erzählung mit ihrer ganzen Umständlichkeit und ihrer heuchlerischen Fülle seltsamer und einleuchtender Einzelheiten bekannt wurde, fehlte nicht viel und man hätte den phantasievollen Schurken wie einen Erlöser gefeiert. Die Entrüstung nährte den

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