Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann страница 66

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

Скачать книгу

in blauem Rock gerufen worden sei; dreimal habe der Unbekannte nach ihm geschickt, dann sei er gekommen, habe einen schweren Ballen tragen müssen und sei mit einem Goldstück bezahlt worden.

      Schon während des Redens rann der Schrecken über das Gesicht des schwatzhaften Menschen; er wurde sich der Bedeutung seiner Worte langsam bewußt. Die Zuhörer hatten einen dichten Kreis um ihn gebildet, und eine schmetterndschrille Stimme erschallte aus dem Haufen: »Sicherlich hat die Leiche in dem Ballen gesteckt!«

      Bousquier schaute beklommen drein. Er mußte immer wieder von neuem anfangen, und die gespannt auf ihn gehefteten Blicke zwangen ihn zur Erfindung neuer kleiner Einzelheiten, wie daß der Tabakshändler plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden sei und daß er eine schwarze Maske vor dem Gesicht gehabt habe. »Wohin hast du denn die Leiche tragen müssen?« fragte Galtier mit aufeinandergepreßten Zähnen. Bousquier schwieg entsetzt, dann, durch die vielen drohenden Augen eingeschüchtert, erwiderte er leise: »Gegen den Fluß hinaus.«

      Zwei Stunden später war er verhaftet und hinter Schloß und Riegel gesetzt. Noch am selben Abend wurde er vor den Untersuchungsrichter, Monsieur Jausion, geführt, und wie nun der Unselige gewahrte, daß es Ernst wurde, daß sein Geschwätz zum Zeugnis werden sollte, daß jedes seiner Worte aufgeschrieben ward und daß er dafür einstehen müsse mit der Freiheit, ja vielleicht mit dem Leben, da packte ihn die Angst. Er leugnete die Geschichte mit dem Tabakshändler und dem schweren Ballen, und als der Richter zornig wurde, verstummte er ganz. In die Kerkerzelle zurückgebracht, verfiel er in dumpfes Brüten. »Nur frisch darauf los, Bousquier,« redete ihm der Wärter zu, »man darf die Herren nicht langweilen; wenn du störrisch bist, wirst du böse Nächte zu überstehen haben.«

      Bousquier schüttelte den Kopf. Der Wärter holte einen dicken Folianten herbei, und da er selbst des Lesens unkundig war, rief er einen andern Gefangenen, und dieser mußte die Gesetzesstelle vorlesen, wonach derjenige, der einem Verbrechen gezwungenermaßen beigewohnt und es freiwillig bekenne, mit einem Jahr Gefängnis davonkomme. Der Wärter hielt die Laterne neben das ledergelbe Gesicht des Vorlesers und nickte Bousquier ermunternd zu. Bousquier leierte ein Vaterunser vor sich hin. In großer Unruhe und nach einem Ausweg aus der Bedrängnis irrend, sagte er endlich, es sei alles so gewesen, wie er zuerst erzählt, aber der Tabakshändler habe ihm nicht ein Goldstück gegeben, sondern nur ein paar Silbermünzen. Er wiederholte das Geständnis vor dem Richter, der ungeachtet der späten Stunde gerufen wurde.

      Am nächsten Morgen wußte ganz Rhodez, Bousquier habe gestanden, daß Fualdes im Bancalschen Haus abgeschlachtet und daß die Leiche in der Nacht zum Fluß getragen worden sei. Auf einmal öffneten sich Lippen, denen bisher die Furcht ein Siegel auferlegt hatte. Jemand, dessen Name nicht zu erfahren war, wollte vor dem Haus des Kaufmanns Constans schleichende Schatten gesehen haben; auch hatte er beobachtet, daß sie wenige Schritte weiter Halt gemacht und zur Beratung zusammengetreten waren, worauf er selbst, das Gräßliche ahnend, entfloh. Es wurde vergeblich nach diesem Zeugen geforscht, dessen Stimme hinter andern Stimmen so schnell verklang und der doch, wie mit unsichtbarer Hand, die erste Skizze zu dem Bild des nächtlichen Todeszuges entworfen hatte. Jede Phantasie malte im stillen daran weiter; man sah die Leiche selbst auf der Tragbahre; die Bahre ward mit einer Deutlichkeit beschrieben, als stellte sie das Merkmal der geheimnisvollen Tat vor; ein Tischler zeichnete sie sogar mit großen Kreidestrichen auf die Mauer des Rathauses. Eine an Schlaflosigkeit leidende Dame gab an, sie sei in jener Nacht am Fenster gesessen und habe trotz der Dunkelheit Bancal sowie den Soldaten Colard erkannt, welche die Bahre an den zwei vorderen Stangen trugen. Ferner habe sie den Arbeitsmann Missonier, der den Zug beschloß, fluchen gehört. Vor dem Richter vernommen, geriet sie in ein widerspruchsvolles Wesen, was mit ihrer begreiflichen Erregung entschuldigt wurde. Die Worte waren einmal da; welches Gewicht sie tragen mußten, lag in der Gewalt und Sonderbarkeit der Umstände; das Leichtgesprochene wog im Ohr des zufälligen Hörers schon schwer wie eigene Schuld, so daß er sich der Last zu entledigen trachtete und es weitergab, als brenne es ihm die Zunge wund, falls er im geringsten zögerte. Vielleicht war es diese Schlaflose, vielleicht der namenlose Mund der Fama selbst, welche das Gemälde der Mordkarawane um die Gestalt eines großen, breitschultrigen Mannes bereicherte, der mit einer Doppelflinte versehen war und dem Zug als Anführer vorausschritt. Nun hatte das graue Gewebe einen Mittelpunkt und erhielt eine Art Beleuchtung und Belebung durch die wahrscheinliche und ergründbare Ruchlosigkeit eines einzelnen. Noch zwölf Stunden, und jedes Kind wußte um die genaue Anordnung des nächtlichen Zuges: erst der große starke Mann mit der Doppelflinte, dann Bancal und Colard und Bach und Bousquier, die Bahre tragend, dann der bucklige Missonier als Aufpasser und Nachhut. Bei den letzten Häusern der Stadt wurde der Weg zum Flusse schmal und abschüssig; es war nicht Raum genug für zwei Leute nebeneinander, Bousquier und Colard mußten den Leichnam allein tragen, und Bousquier war es, nicht Missonier, der bei diesem Anlaß fluchte, so laut fluchte, daß der Lizentiat Coulon davon aus dem Schlaf erwachte und nach seinem Diener rief. An der steilen Stelle vor den Weinbergen wurde der Körper des Toten losgewickelt, ins Wasser geworfen und als dies geschehen war, legte der große starke Mann den Teilnehmern mit vorgehaltenem Gewehr ewiges Stillschweigen auf.

      Durch diese Handlung trat der Unbekannte mit der Doppelflinte völlig aus dem Nebel des Sagenhaften und des bloßen malerischen Dabeiseins; aus seiner drohenden Gebärde quoll Licht über das Vergangene. Was nach dem Mord geschehen war, hatte nun Umriß und Bewegung. Aber hatte kein Auge den armen Fualdes auf seinem letzten Gang begleitet, hatte niemand gesehen, wie er ahnungslos sein Haus verlassen und, vielleicht munter vor sich hinpfeifend, durch die finstre Rue de l’Ambrague gegangen war, in welcher die Mordgehilfen sicherlich auf der Lauer standen? Doch. Derselbe Lizentiat, den Bousquiers Fluch aus dem Schlummer geschreckt, hatte den Greis um acht Uhr abends in das Gäßchen einbiegen sehen und kurz darauf war ihm jemand mit Eile gefolgt, ob ein Mann oder eine Frau, dessen konnte sich Herr Coulon nicht entsinnen. Ferner meldete sich ein Schlossergeselle, der vor dem Haus des Bürgermeisters Leute gewahrt hatte, die einander Zeichen gaben. Das Haus des Bürgermeisters lag zwar in dem entgegengesetzten Teil der Stadt, das aber kam bei einer so weit versponnenen Verschwörung wenig in Betracht, hatte man doch das Zeugnis eines Kutschers, der um elf Uhr in der Rue des Hebdomadiers zwei Leute unbeweglich stehen sah. Jetzt erinnerten sich viele Bewohner dieser Straße, daß sie beständig flüstern, räuspern und rufen gehört hatten, natürlich ohne in ihrer damals arglosen Stimmung sonderlich darauf zu achten. Es war eine ausgemachte Sache, daß an allen Ecken Wächter postiert waren, ja man hatte sogar eine weibliche Schildwache im Torweg des Zunfthauses bemerkt. Der Schneider Brost behauptete, das Flüstern oder Seufzen deutlicher als alle anderen gehört zu haben; er hatte dann das Fenster geöffnet und sah fünf oder sechs Leute ins Bancalsche Haus gehen, darunter auch den großen starken Mann. Geraume Weile später hatte sein Nachbar beobachtet, wie man einen Menschen über das Pflaster schleppte; er hatte geglaubt, es sei eine Dirne, die man betrunken gemacht, und hatte weiter keinen Sinn dahinter gesucht. Viel bedeutungsvoller als so verworrene Gerüchte schien es, daß noch zwischen neun und zehn Uhr ein Leiermann auf der Rue des Hebdomadiers seine Orgel gedreht hatte. Die Absicht war klar: das Todesgeschrei des Opfers sollte übertönt werden. Es stellte sich bald heraus, daß es zwei Leiermänner gewesen sein mußten, von denen einer, ein Krüppel, am Prellstein vor der Rue de l’Ambrague gehockt war. Freilich war an jenem Tage Jahrmarkt in Rhodez gewesen und die Anwesenheit von Leiermännern hätte deshalb nichts Rätselhaftes gehabt, wenn die späte Stunde sie nicht dem Argwohn preisgegeben hätte. Einige nannten sogar die Mitternacht als Zeit ihres Spiels. Es wurde nach den Musikanten gefahndet und die Dörfer der Nachbarschaft wurden nach ihnen abgesucht, doch sie waren ebenso spurlos verschwunden wie der verdächtige Tabakhändler.

      An demselben Vormittag, an dem das Bancalsche Haus durchsucht wurde und ein Polizist im Hof ein weißes Tuch mit dunklen Flecken fand, wurden das Bancalsche Ehepaar, der Soldat Colard, Bach und der Arbeitsmann Missonier festgenommen und mit Ketten beschwert ins Gefängnis gebracht. Stumpf hinstierend saßen die fünf Menschen auf dem Leiterwagen, der sie durch die Straßen fuhr, und den die Volksmenge schwatzend, fluchend und fäusteballend umgab. Im Nu hatte sich die Nachricht von dem gefundenen Tuch verbreitet; daß die Flecken darauf Blutflecken waren, unterstand keinem Zweifel; daß es dazu gedient hatte, Fualdes zu knebeln, war selbstverständlich.

Скачать книгу