Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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blieb sie voll tiefen Staunens wie angewurzelt stehen. Sie blickte in ein Gesicht, das von aller irdischen Qual gelöst war. Ein sanftes Lächeln hatte sich über den Mund gebreitet und, gleichsam von innen heraus, die Lippen auseinandergedrängt. Zweifellos umfing ein Traum die gefesselten Sinne und erschloß ihnen das Tor zu einem Land der Wunder und des Glücks. Es war, als ob die Schläferin Engelstimmen höre, denn sie schien zu horchen; es war, als ob ein göttliches Wesen ihr nahe sei und die Last gefürchteter Leiden von ihrem Herzen hebe, denn sie schien zu sehen und auf ihrer Stirne lag es wie ein Schimmer von Dankbarkeit und Erleichterung. Die übrigen Mägde, die sich nach und nach einfanden, umgaben verwundert das Bett. Das Lächeln der Träumerin faßte jede einzelne tief an in ihrem Innern. Andächtig standen sie, die Hände über den weißen holländischen Schürzen gefaltet, und blickten in das Feuer dieses Traums, bis ihre Augen glänzten und sie etwas wie Unzufriedenheit mit den Zuständen dieser Welt und ihres eigenen Daseins verspürten. Schließlich begann eine der Letztgekommenen laut zu beten, und davon erwachte das Mädchen aus ihrem Todesschlaf und öffnete die Augen.

      Da war es nun wieder ein Gesicht wie alle Gesichter oder wenigstens wie viele; die Fremdheit sank von ihm herunter, und die Weiber, die im Kreis standen, fühlten sich beschämt und geärgert. Man wollte den Namen einer so seltsam sich gebärdenden Person wissen, und sie gab bereitwillig Auskunft, daß sie Sara Malcolm heiße. Sonst war nichts aus ihr herauszubringen. Je mehr man in sie drängte, je verstockter wurde sie. Sie gab sich so scheu und verschlossen, daß selbst das Wohlwollen der gutmütigen Herrin daran Anstoß nahm, die ihr immer von neuem versicherte, daß sie in ihrem Hause bleiben könne, daß sie hier Arbeit und Brot finde und Gefahren nicht mehr zu fürchten brauche, deren Andenken ihr vielleicht das Herz beschwerten. Vergeblich; argwöhnisch und ängstlich flogen ihre Augen von Gesicht zu Gesicht, blieben auf keinem sanfter ruhen, und als sie mit der Musterung aller fertig war, seufzte sie bang und schaute verdrossen zu Boden. Die nachsichtige Mistreß Duncomb ließ ihr zu essen bringen, und mit Gier schlang Sara bis auf den letzten Bissen Brot alles hinunter. Darauf mußte sie ihre Lumpen ablegen und erhielt anständige Kleider, und ein Mädchen war ihr behilflich, das wunderbare rote Haar auszukämmen, das bis zu den Schenkeln reichte und so dicht war, daß es an Stelle eines Mantels hätte dienen können.

      Sara Malcolm blieb im Hause. Sie mußte niedrige Arbeit verrichten und des letzten Dieners Dienerin sein. Sie mußte treppauf treppunter laufen, für die Mietsherren über die Straße rennen, das Schoßhündchen der Frau suchen, wenn es sich verloren hatte, und aus der Schenke das Bier für den Stallknecht holen. Sara! rief es früh und spät, Sara! hier und dort. Und nicht genug mit all dem Eilen, Hasten, Schaffen und Kommandiertwerden, hatte sie auch noch die frechen Zumutungen der Männer abzuwehren, vom noblen Gentleman, der um Mitternacht besoffen die Stiege hinaufstolperte, bis zum pockennarbigen Bäckerjungen, der nach Tagesanbruch ans Haustor pochte. Viel Arbeit hatte Sara und wenig Schlaf. Wenn die Stiefel geputzt und die Gewänder gebürstet waren, stand die Uhr schon weit in der Nacht, das Haus lag im Schlummer, und sie taumelte in einen Verschlag neben der Kellerluke, wo sie und das Laufmädchen auf Strohsäcken liegen mußten.

      Doch war sie in ihrem Gemüte zufrieden, wenn man sie nur mit Worten in Ruhe ließ, nur nicht an ihr herumfragte und nach vergangenen Dingen forschte. Die Warums und Wanns schmeckten ihr bitterer als Hunger und Regenwetter. Das eine hatte sich bald herausgestellt, und John Kerrel hatte recht geraten; sie war im Tempelbar Wäscherin gewesen. Aber es war länger her denn ein Jahr; man wollte wissen, daß sie sich einem unehrbaren Wandel ergeben habe und der eine oder andere behauptete sie in verrufenen Kneipen gesehen zu haben mit Leuten, denen ein anständiger Mann nirgends begegnen möchte.

      Bei solchem Gemunkle hatte es sein Bewenden, zum Schluß kümmerte man sich nicht mehr viel um Sara. Man ließ sie leben und atmen, das war alles, – für sie genug. Den Himmel zu sehen, hatte sie kein häufiges Verlangen, und wenn sie von der Sonne nur gerade gestreift wurde, ihr war es genug. Den auf sie gerichteten Blick erwiderte sie nicht, für ein Lächeln hatte sie kein Gegenlächeln, Scherze wußte sie nicht zu deuten oder sie schlüpften an ihren Ohren vorbei wie die Blicke an ihren Augen. Sie klagte nicht, somit schien sie mit ihrem Los einverstanden und jener Sorte von Geschöpfen anzugehören, die ohne den Anblick froher Dinge und ohne Freude mühselig-stumpf dahinweben.

      Dennoch hatte sie eine Eigentümlichkeit, durch die ihr Wesen immer wieder als etwas Besonderes, ja Verdächtiges von den Hausleuten empfunden wurde. Am Sonntag, wenn andere Geselligkeit suchten, spazieren gingen und die besten Gewänder umhingen, blieb Sara einsam zu Hause sitzen und starrte vor sich nieder mit einem Ausdruck des Besinnens, einem Ausdruck des gewaltsamen Nachdenkens, der stundenlang ihrem Gesicht die Unbeweglichkeit einer Maske gab. Ihre indigoblauen Augen verloren den Blick nach außen; ihre um die Kniee geschlungenen Arme zogen Kopf und Schultern nach vorwärts, und so saß sie, der Spott aller Wachen und die Beängstigung aller Frommen, die der Meinung zuneigten, daß Sara Malcolm ein Hexlein sei, das mit dem Bösen Umgang habe und am Tage des Herrn dafür zur Erstarrung verurteilt wurde.

      Es war der Traum, der Solches bewirkte, der vergessene Traum. Die einmal beglückt gewesene Seele wollte das verlorene Bild wiederhaben und fand es nicht. Sie erinnerte sich deutlich, wie etwas Herrliches aufgequollen war, damals aus der Finsternis des langen Schlafes; ein nie zuvor gespürtes Glück hatte ihr Herz zum Bersten voll gemacht und war emporgesproßt bis zum Munde und war als ein Lächeln um die Lippen erblüht. Dann war das Erwachen gekommen, – die Augen sahen nichts mehr, das Herz fühlte nichts mehr. Abergläubisch schaudernd dachte sie an diese Stunde, die ihr nichts zurückgelassen hatte als die Sehnsucht nach etwas rätselhaft Unbekanntem.

      Einmal kam Master Gehagan nach Hause und trat in den Hof, um zu den Fenstern John Kerrels hinauf zu pfeifen, und ihm zuzurufen, daß Francis Rhymer, der junge Freund beider Männer, noch diesen Abend zu seiner Hochzeit aus Schottland in London ankomme; ein Eilbote habe die Nachricht gebracht. Kerrel freute sich und erwiderte, es sei wohl das beste, ihn für die nächsten Tage hier im Haus zu beherbergen. Master Gehagan wollte den Hof wieder verlassen, da fiel sein Blick durch die beginnende Dämmerung auf Sara, die vor der offenen Stalltüre eine frisch geschlachtete Gans rupfte. Obwohl er sich sagte, daß es kaum der Mühe verlohne, hatte er Lust, das unscheinbare, sommersprossige Mädchen zu küssen. Er ging auf sie zu, ergriff wortlos mit beiden Händen ihren Kopf und spitzte seine Lippen; aber was er für leicht gehalten, zeigte sich unausführbar. Wild aufgerissene Augen starrten ihn an, und zwei Arme stemmten sich stählern gegen seine Brust. Da wuchs die Begierde; er packte sie bei den Schultern, schleppte sie in den Stall, wo über den leeren Krippen ein Lämpchen düster flammte, und warf sie aufs Stroh. Als er sich nun zu ihr niederbeugen wollte, prallte er mit einem erschrockenen Aufschrei zurück. Das ganze Gesicht Saras war mit Blut wie bestrichen, so daß es einen grauenhaften Anblick darbot; wohl erkannte er den natürlichen Grund: aus dem Hals des toten Tieres, das Sara nicht aus den erhobenen Händen gelassen, war das Blut noch einmal entflossen und hatte das Antlitz des Mädchens bedeckt; aber mit seiner Liebesgier war’s vorbei und er floh ängstlich und erregt.

      Als Sara allein war, ging sie zum Brunnentrog und wusch Gesicht und Arme, dann setzte sie sich auf den Rand des Brunnens und grübelte. Indessen wurde es Nacht und zwischen zwei steilen Mauern stieg am bläulichen Himmel der Mond herauf. Sie wünschte, daß das Gestirn zur goldenen Schale werde und ihr vor die Füße fallen möchte; sie wünschte, daß aus der Dämmerung ein edler Geist hervortrete, um ihr das Gefühl der drückenden Gegenwart zu nehmen. Aber da rief es schon wieder: Sara! Sara! Mistreß Duncomb begrüßte im Flur einen eben angekommenen Fremdling, der vor der Stiege stand und langsam Schritt um Schritt hinaufging. Vor dem Haus hielt die Karosse, in der er gereist war. John Gehagan half auf der Straße dem Diener, das Gepäck abladen. »Gib acht, daß nichts vergessen wird, John!« rief die Stimme des jungen Mannes; es war eine wohllautende Stimme ohne Schwere, der man es anhörte, daß sie zu scherzen liebte. Er kehrte noch einmal zurück und nahm mit fürsorglichem Wesen dem Bedienten einen Gegenstand ab. »Was ist es?« fragte Gehagan, »am Ende gar das Brautgeschenk?« Der andere nickte, und in einer Wallung der Freude oder des Übermuts öffnete er die Hülle und zeigte John Gehagan einen Pokal aus purem Golde und mit Edelsteinen verziert, die einen feurigen Kreis unterhalb des Mundrandes bildeten. Master Gehagan

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