Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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nicht einmal des Königs Schatzkammer rühmen«. Und er folgte dem Freund und trug den Pokal selbst hinterdrein.

      Sara mußte Wein aus dem Keller holen. Ihre Ohren vernahmen den Befehl, aber in ihrem Sinn ging anderes vor. Während sie sich mit dem Wachslicht die Kellertreppe hinuntertastete, sah sie im Dunkel vor sich immerfort den schönen Becher. Ihr deuchte, daß alles Glück des Lebens mit seinem Besitz verbunden sein müsse, und wenn sie ihn auch nicht haben, nicht Eigentum nennen konnte, einmal wollte sie ihn in der Hand halten, ganz zwischen den Händen, ihn mit den Fingern umfangen wie etwas, das man mit aller Kraft des Herzens begehrt hat. Während ihr aus dem niedrigen Gewölbe die kühlfeuchte Luft in Wellen ins Gesicht schlug, nahm das unerklärliche Verlangen so überhand, daß eine glühende Bangigkeit ihr die Brust verschnürte. Was war es nur? Nicht das Gold, nicht das Edelgestein lockte so, nicht die Vorstellung vom hohen Wert des Bechers und daß etwas anderes, gleich Wertvolles dafür zu erkaufen sei; nein, es erschien ihr wie ein Talisman, begabt, das dunkle, enge Leben irgendwie in die Helle und Weite zu zaubern und mit einem Trank, den man aus ihm trinke, den dürftigen Leib zu stärken und zu beseligen. Nie hatte sie etwas mit gleicher Inbrunst begehrt. Wenn sie mit Mary Tracy und den beiden Brüdern Alexander nächtlicherweile, gehorsam durch Zwang, auf Diebstahl ausgezogen war, hatte sie das Erbeutete mit Verachtung und Leid angesehen und ihren Anteil nicht selten verschenkt.

      Zitternd kam sie in die Küche, und von den Flaschen, die sie brachte, entfiel eine ihrer Hand und zerbrach auf den Steinfliesen. Die Köchin nahm ein brennendes Scheit vom Herdfeuer und wollte es im Zorn nach Sara schleudern, die mit blanken Füßen im fließenden roten Wein stand. Sie deckte die Hände über das Gesicht und lief stumm davon. Die Arbeit ging nicht mehr von statten, Arme und Beine schienen aus Blei, Lippen und Zunge brannten. Vom unwiderstehlichen Trieb geplagt, schlich sie die Stiegen hinauf bis vor das Zimmer, in das der junge Mann eingezogen war. Das Schlüsselloch war durch den Schlüsselbart verdeckt; unten aus der Spalte schimmerte Licht. Während sie ihr Ohr an das Holz legte, hörte sie ihn mit seiner leichten Stimme singen; sie verstand auch die Worte:

      Mißraten Herz, was schreist du nach dem Golde,

       Halt es nur fest, auf daß es nicht entgleite,

       Die wilde Braut, die alles haben wollte,

       Trägt ein Gewand aus himmelblauer Seide.

       Und hast du nichts und kannst du ihr nichts geben,

       So fordert sie dein junges Blut und Leben.

      Im oberen Stock wurde John Kerrels Tür mit großem Lärm aufgemacht und seine Baßstimme dröhnte durch das Haus. Sara schlich wieder hinab, die wütende Unrast ihres Innern konnte sie nicht mehr dämpfen. Allmählich kam Nachtstille und die Stunde, wo selbst Saras Füße ruhen durften. Das Tor ward zugetan, der Wächter schrie seine Zeiten ab. Auf ihrem harten Lager warf sich Sara von einer Seite auf die andere. Kaum schloß sie die Augen, so erblickte sie den goldenen Pokal, und ihr wurde kalt und heiß. Nach Mitternacht erhob sie sich leise, zog Rock und Kittel an, ging unsicheren Schritts auf den Gang und schlich langsam, auf jeder Stufe innehaltend und lauschend, die Treppe zu Francis Rhymers Zimmer empor. Es war nicht völlig finster; durch das runde Fensterchen oberhalb des Haustors schien der Mond herein und bemalte das breite Stiegengeländer mit einem grünen Streifen. Bald stand sie wieder vor der Tür und horchte. Es war alles still, nur das eigene Herz schlug wild und laut. Sie legte die Hand auf die metallene Klinke, und spürte eisigen Schrecken, als die Tür sich wie von selber auftat und das Zimmer in wunderlicher Doppelbeleuchtung vor ihr lag. Durch die Fenster strahlte der helle Mond, und auf einer Konsole am Bett brannte die Öllampe. Der junge Fremde schlief, noch halb in seinen Kleidern, und ein Buch, in dem er gelesen, war der herabhängenden Hand entglitten und auf den Boden gefallen; dies, wie das unverriegelte Türschloß waren Anzeichen, daß er den Schlaf noch nicht gesucht hatte, sondern daß er von ihm überwältigt worden war. Wenn Sara in ihrem verblendeten Sinn eine günstige Schickung darin hätte erblicken wollen, so mußte der höhere Wille in ihren Augen unbezweifelbar werden, als sie das Ziel ihrer Begierde dicht vor sich auf dem Tisch stehen sah: den goldenen Becher, auf der einen Seite grün beglänzt vom Mondlicht, auf der andern rötlich vom Licht der Nachtlampe. Sie ging und griff danach, legte ihre Hände um das Kleinod und fühlte die Beseligung über den Besitz durch jeden Finger einzeln in den Körper strömen. Im Übermaß der unheimlichen Glut setzte sie den Bechersrand an den Mund, als ob sie trinken wollte; es entstand ein Rauschen und Brausen im Innern des leeren Pokals, und es war, als ob irgend etwas Laues, Wohliges den Schlund hinabflösse und den Leib bis zu den Zehen und Haarspitzen ausfüllte.

      Da sie nun den Pokal hatte, gedachte sie fortzueilen und aus dem Haus zu fliehen. Aber eine flüchtige Lust wandelte sie an, das Gesicht des jungen Menschen zu sehen und sich auszumalen, wie seinen Zügen das Leid stehen möchte, das er morgen um das verlorene Brautgut tragen würde.

      Sie trat hin. Sie beugte sich ein wenig und gewahrte die freundlichen Züge. Sie wollte einen Schrei ausstoßen, doch die Lippen hielten ihn noch rechtzeitig zurück. Ihre Augen erweiterten sich, und sie atmete schwer. Mein Traum, dachte sie innerlich schluchzend, mein Traum. Diesen Jüngling hatte sie im Traum gesehen, mit denselben schlummergefärbten Wangen. Erst in seinem Schlaf erkannte sie ihn. Lächelnd war er zu ihr gekommen, sie waren mitsammen in ein strahlendes Haus gegangen, und dort hatten sie sich vermählt. Um ihretwillen war er ins Haus getreten, ihr brachte er den Becher und dennoch: sie mußte fliehen. Zusammengeduckt wandte sich Sara um und eilte aus dem Zimmer, vergaß die Tür zu schließen, ging die Stiege hinunter, begab sich in die Kammer, wo die Schlafgenossin schnarchte, warf sich auf ihr Lager und stierte in die Luft. Den Pokal hatte sie noch immer im Arm. Er bekam an ihrem Körper eine lebendige Gewalt und redete zu ihr. Da packte sie die Furcht; sie wühlte an der Wandseite des Lagers das Stroh auf und versteckte ihn. Aber er war nicht genug verborgen, er redete noch lauter. Sara konnte es nicht ertragen. Sie stand auf, frierend lief sie in den Flur und wünschte, daß die Nacht vorüber wäre. Sie schob den Riegel vom Haustor, öffnete und lief auf die Straße. Ein herrenloser Hund eilte brummend auf sie zu. Das helle Mondlicht scheuend, flüchtete sie ins Dunkel, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollte. Es trieb sie zu einer Kirche, sie wollte beten, sie wollte vor Gottes Angesicht erscheinen. Die Liebe hatte sie ergriffen, und nun wußte sie, daß Liebe Mark und Bein verzehrt und das Blut so schnell antreibt, daß alle Adern brennen. Sie hatte den Herrgott nie gekannt, jetzt kannte sie ihn; hatte Christum verleugnet; jetzt glaubte sie ihn.

      Indessen geschah es, daß sich vor Mistreß Duncombs Haus eine Gesellschaft von drei Personen zusammenfand, zwei Männer und eine Frau. Es waren die beiden Brüder Alexander und die gelbe Mary Tracy. Die beiden Alexander, berühmt in der Verbrecherzunft, waren Zwillingsbrüder und sahen einander so ähnlich, daß man einst in Whitechapel, als sie betrunken waren, dem einen das linke Ohr abgeschnitten hatte, damit man sie fürder unterscheiden könne. Sie waren es, die vor Wochen mit Sara Malcolm aus Aldermans Bierspelunke aufgebrochen waren, um einen wohl vorbereiteten Streich am Bullhead in Breadstreet auszuführen. Da verweigerte Sara plötzlich ihre Teilnahme, denn aus den Reden der zwei Kumpane hatte sie herausgehört, daß diesmal Blut fließen müsse. Es entstand ein kurzer Wortwechsel, Tom Alexander schlug das Mädchen nieder und Bill Alexander, der Ohneohr, tat ihr Gewalt an, während sie ohnmächtig dalag; dessen rühmte er sich später, denn Sara hatte ihren Spießgesellen alles zu Willen getan, nur ihren Leib hatte sie nicht gegeben. Es vergingen Wochen; Mary Tracy erfuhr zufällig, daß Sara bei Mistreß Duncomb in Diensten stehe. Sofort wurde beschlossen, diesen Umstand auszunützen, aber die Versuche, sich Sara zu nähern, waren erfolglos; bei Tag durfte man sich nicht blicken lassen, schon aus Furcht, daß Sara Verrat üben würde, und in der Nacht glich das Haus einer versperrten Festung. Doch als die Spionin Kunde brachte, ein reicher, schottischer Edelmann, Francis Rhymer, habe bei Mistreß Duncomb Quartier bezogen, wollten Tom und Bill um jeden Preis etwas unternehmen. Mit Strickleitern, Spreng-und Sägewerkzeugen machten sie sich auf den Weg und kamen genau zu der Zeit an, wo der Mond hinter die Dächer der Häuser sank. Zuerst wollten sie an das Tor pochen in einer Weise, die Sara kennen mußte und, weil sie nahbei schlief, auch hören konnte. Wenn dann ein anderer aufmachte, so war es eben

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