Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann страница 59

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

Скачать книгу

Marienglasscheiben der schmalgebogenen Fenster fiel ein gelblicher Perlenschein in den stillen Raum. »Wer ist der Knabe?« fragte Johanna beklommen. Antonio Vacca antwortete mit demselben diensteifrigen Lächeln: »Es ist Euer Sohn Karl, edle Donna, und der würdige Herr Cernio ist mit ihm, der beste Grammatikus weit und breit. Ich selbst habe die Ehre, seine Hoheit in den Rechtswissenschaften zu belehren.«

      Flüsternd trat der Kastilianer an den Tisch. Der Knabe erhob sich und schritt gravitätisch zur Schwelle. Dann stand er vor seiner Mutter: regungslos, schmalen Antlitzes, bleich, schweigend und schwermütig.

      Ein Laut drängte sich auf Johannas Lippen. Ihr war, als seien Brust und Leib mit Feuer angefüllt. Schon wollte sie reden, da gedachte sie noch zu rechter Zeit der Worte des Mönchs: zu vergessen jeden eigenen Schmerz und jede eigene Lust.

      Stumm und kühl nickte sie dem Knaben zu, wandte sich ab und ging weiter. Mit tief gesenktem Haupt folgte ihr der treue Falkner Jan Dalaunes.

      Drei Tage später verließ Donna Johanna die flandrische Stadt und zog mit neugeworbenen Söldnern den Rhein hinauf gegen Köln und Mainz und über Franken an die Donau und weiter, wochen-und monatelang, Sommer und Winter hindurch, manchmal bei Tage und öfter bei Nacht. Da und dort nahm sie Aufenthalt; in Regensburg blieb sie acht Monate, in Landshut sechs, in Augsburg fünf. An den Hof des Kaisers zu gehen wagte sie nicht. Die Schlösser der Edelleute gaben ihr gute Unterkunft, denn es war bekannt, daß sie mit königlichen Geschenken lohnte. Zu Memmingen ließ sie eine Kapelle erbauen und in Ulm eine ganze Kirche. Es war ihr trostreich, in diesem Land der vielen Flüsse, der Berge und der schönen Seen zu weilen; oft schien ihr ein Stück von Philipps Seele in der milden Luft zu ruhen, und wenn der Frühling kam, mußte sie sich mit doppelter Kraft verschließen, um nicht teilzunehmen an dem holden Erwachen der Natur. Sie mied Plätze, wo das Volk in Freudigkeit zusammenströmte, und wenn sich ein Kindergesicht unschuldig-froh ihr zuwandte, schloß sie die Augen. Deswegen liebte sie auch am meisten des Nachts zu reisen, weil da Dinge und Menschen erstarben und die Flammen der Fackeln wie Opferfeuer hinausstrahlten über den Sarg ihres Herrn Liebsten. Empfindungslos gegen Sturm und Regen, weder Mühsal noch Entbehrung scheuend, so trieb sie die Zeit vor sich her wie einen lahmen Hund.

      Jahr auf Jahr floß vorüber. Johanna zählte sie nicht im Kalender, sondern maß sie an ihrer Hoffnung. Doch mit der Zeit ist es wunderlich beschaffen: sie hat ein Zeugnis der Wahrheit in sich, das selbst den umschlossensten Sinnen nicht verborgen bleiben kann. Johanna zog einem Bild entgegen, und je mehr sie sich ihm zu nähern gedachte, je mehr schrumpfte es zusammen, und von all den vergeudeten Flammen des Herzens wurde sie nicht reicher, ja, ihr Herz glich endlich der blassen Qualle, die das Meer an den Strand spült, und frierend stand sie da als die letzten Fetzen ihrer Armut von der zuckenden Schulter sanken. Philipp! wer war Philipp? der bloße Name schien zu verfließen, und gab es noch einen Mann auf Erden, der so hieß, so war er sicherlich nur der Schatten seiner selbst. Und obwohl sie das leblose Abbild von Philipps Leib täglich vor sich ruhen sah, verlor sie die Erinnerung an ihn und wußte nicht mehr, wie er aussah und wie er sprach, wußte nicht mehr von der Farbe seiner Augen und der Form seiner Hände und es ward ihr bang und banger, als sie so seinen Namen durch die Länder schleppte, nichts weiter als seinen Namen. Die Finsternis in ihr verlor gleichsam ihre Grenzen, überdeckte Himmel, Erde und Wasser, erfüllte die Schöpfung mit eisiger, bodenloser Trauer.

      In den rhätischen Gebirgen erkrankte Jan Dalaunes und blieb in einem Dorf zurück. Erst im Savoyischen holte der ergebene Mann die Herrin wieder ein und kam gerade recht, um die Söldner und Diener zu ermutigen und anzufeuern, als sie sich weigerten, am Abend über einen verschneiten Paß zu wandern.

      Es war ein schauriges Unwetter, als sie die Höhen erreichten. Die Vordersten verloren den Weg und sanken tief in den Schnee. Einige blieben ermattet liegen, schliefen ein und erfroren. Die Fackeln verlöschten und zum Glück entdeckte der vorauseilende Jan Dalaunes die Hütte eines Hirten. Da fanden die Zuflucht, die sich noch retten konnten; der Sarg blieb draußen und wurde vom Schnee zugeweht.

      Noch in der Nacht erwachte Jan Dalaunes, tastete sich zur Tür des vom schlechten Atem der Schläfer erfüllten Raums und trat hinaus. Angst um die Herrin hatte seinen Schlummer verscheucht.

      Der Himmel war klar und die Sterne funkelten in erhabener Pracht und Ruhe. Über einem fernen Schneefeld herauf bog sich die Milchstraße über das dunkelblaue Gewölbe wie erstarrter Rauch. Zwischen zwei mächtigen Felszacken glitzerte grünlich das Eis, gähnten ungeheure Spalten. Bisweilen kam ein schneidend kalter Windstoß und wirbelte den Schnee zu dünnen leuchtenden Säulen empor. Es herrschte ein Schweigen, welches den Atem stocken ließ.

      Im unsicheren Licht gewahrte Jan Dalaunes die Herrin. Sie saß auf einem niedrigen Holzblock, hatte die Arme um die Kniee geschlungen und starrte mit gefrorenem Blick in die gewaltige Stille. Sie schien die Kälte nicht zu spüren. Eine Pferdedecke umhüllte ihre Schultern.

      »Ihr müsset krank werden, edle Donna,« sagte Jan Dalaunes, indem er sich näherte. Die Infantin antwortete nicht.

      Der Falkner ging ins Haus zurück und klaubte Späne und Reisig zusammen. Dann kam er wieder und machte auf einer schneefreien Stelle Feuer an. Das Mitleiden mit der Herrin würgte ihm die Kehle und während er immer neues Holz in die aufprasselnden Flammen warf, war sein bärtiges Gesicht von Kummer förmlich verwüstet. Es drängten sich Worte auf seine Lippen: Verse, die er einmal gehört oder gelesen oder geträumt.

      »Was sprecht Ihr da?« hörte er auf einmal die dunkle Stimme der Herrin. Ihr Gesicht hatte sich auf der schneebewehten Decke fremd und düster wie das Antlitz einer Sphinx ihm zugedreht. Er schüttelte befangen den Kopf und kniete vor dem Feuer hin. Nach einer Weile kehrten die seltsamen Worte traumhaft wallend wieder.

      Wo des Nebels Silberbogen

       über eine Gletscherwand

       groß und feierlich gezogen,

       dort liegt meiner Sehnsucht Land.

      Sah ich eisige Gestalten,

       schaudernd im gefrornen Strahl

       grünkristallne Kerzen halten;

       tanzen in dem weißen Saal.

      Sah ich eine, die beklommen

       nur des Mantels Saum bewegt,

       und ihr Herz vom Tisch genommen,

       der den ganzen Himmel trägt.

      Wie im Schlaf hält sie die schwere

       Purpurkugel sanft empor,

       und es öffnet sich die Sphäre,

       Gottes Arm streckt sich hervor.

      Er empfängt des Lebens Schale,

       jene aber steht beglückt,

       schaut hinunter zu dem Tale,

       wo ein Knabe Blumen pflückt.

      Lautlos wälzte sich eine bläuliche Wolke von Schneestaub heran und entfernte sich wieder.

      Da sank Johannas Haupt etwas vorneüber. Wie um es zu halten, schlug sie die Hände vors Gesicht und gleichzeitig brach sie in ein furchtbares Weinen aus. Es klang wie der dumpfe Schlag eines Hammers gegen eine hohle Wand. Unwiderstehlich hatte sie der Schmerz um das eigene Leben, um die eigene vernichtete Seele ergriffen. Es war als sei ihr Herz bis jetzt durch einen künstlichen Mechanismus in Gang erhalten worden, der nun zu versagen drohte.

      Sie fühlte die Kraft der Erinnerung völlig

Скачать книгу