Jutt & Jula. Brust Alfred
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Der Wunsch des jungen Mannes, dort hinauszulaufen in die Wiesen, war zur brennenden Leidenschaft geworden und verließ ihn auch nicht einen Augenblick, während er einem Jungen für zehn Pfennig Sennesblätter abwog.
Dann kam eine blasse Jungfrau mit einem Rezept:
Camphorae rasae 5,0 Extr. Opii aq. 1,0 Mucilag. gummi arab. q. suff. ut f. boli N. 20. Consp. pulo. Lycopod. S. abends beim Schlafengehen 2–3 Pillen für Frl. Abendgern.
Doktor Hecht.
Diese Ärzte! Anstatt den Leuten fertige Schlafmittel zu geben, machen sie einem diese Arbeit! Der Jüngling sah die kümmerliche Pflanze an.
»Wissen Sie was? – Machen Sie mal eine Stunde vor dem Schlafengehen zweitausend Meter Laufschritt, dort über die grünen Wiesen. Dann brauchen Sie keinen Arzt und keine Pillen aus der Grünen Apotheke. – Also – na – in einer halben Stunde ist die Sache fertig . . .«
Das Mädchen wurde rot vor Ärger und verschwand. Eine große, magere Arbeitsfrau trat ein – die Hand verbunden.
»Nun – zeigen Sie mal –« sagte der Gehilfe.
Sie folgte ihm rasch in den Nebenraum und löste die Binde.
»Fein,« sagte der Jüngling. »Jetzt hat sich über die ganze Handfläche eine neue dünne Haut gebildet, die Sie aber noch schonen müssen.«
»Aber ich muß doch waschen gehen!« jammerte die Frau. »Die Kinder – die Kinder . . .«
Der Jüngling zuckte die Schulter. »Sie müssen die Hand noch schonen, sonst wird es schlimmer als es war. Ich gebe Ihnen hier ein Puder und einen Gummihandschuh. Da pudern Sie die Hand tüchtig ein und ziehen den Handschuh drauf. Dann können Sie auch waschen. Aber vorsichtig – vorsichtig! Und nun sind wir fertig. Halten Sie aber gefälligst reinen Mund. Es darf kein Mensch wissen, daß ich Ihnen geholfen habe.«
»Nein, nein, junger Herr!« beteuerte die arme Frau. »Und – und wieviel soll ich Ihnen bezahlen?«
Da wurde der Jüngling rot vor Scham und versuchte diese Scham noch hinter einer geheuchelten Wut zu verbergen. »Wie!« rief er aus. »Was fällt Ihnen ein?! Machen Sie gefälligst, daß Sie fortkommen! – Ja – und wegen der Kinder, die gewiß hungrig sind: hier haben Sie drei Mark. Kaufen Sie ihnen Brot und Milch! Und nun halten Sie den Mund! Und jetzt raus hier!!«
Als er die Tür hinter der armen Frau zugedonnert hatte, blies er mit vollen Backen Luft aus und riß sich mit den Händen an den Haaren. Das war schrecklich gewesen. Zum gütigen Helfer war er nicht geeignet! Aber daß die Frau sich auch bedanken wollte! Dank annehmen zu müssen war gewiß das Schlimmste, das es gab. –
Und er rollte die Pillen, verkaufte dazwischen Kalkwasser und für fünf Pfennig Kaugummi. Einem laborierenden Dichter verabfolgte er eine Pipette und zehn Gramm Jod. Und er sah wieder hinaus über die Wiesen und blickte auf das drängende Laub der Bäume.
»Was hilft uns – ach – daß der Abend die Wipfel umsponn – singend und tief mit dem Netz von Gold« – hatte er in der vorigen Nacht gelesen.
»Heut nacht muß es von allen Sternen rieseln,« hatte er auch heut nacht gelesen. »An blassen Fäden muß es niedergleiten, und alle Bäume schütteln schweren Tau ab!«
Das war schön. Das konnte ein junger Dichter schreiben – und ging hin und schoß sich einfach tot . . .
Ein Postbote trat ein, ließ die Tür offen, grüßte rasch, legte einen eiligen Brief auf den Tisch und war schon wieder hinaus.
Der Jüngling nahm den Brief und besah ihn. Ja – der war für ihn bestimmt. Und zwar stammte er von Tante Maria, die er – peinvoll schlug ihm das Gewissen – seit ein paar Jahren sehr vergessen hatte. Er legte den Brief noch ein wenig beiseite und rechnete das Rezept für Fräulein Abendgern aus. Und gerade kam auch ein Mädchen herein, um die Medizin abzuholen. Und das gnädige Fräulein fände es unerhört, was der Herr Provisor ihr geraten hätte. Und das gnädige Fräulein erwarte, daß der Herr Provisor sie heute abend zwischen sieben und acht am Stromweg um Verzeihung bitte.
Das Fräulein sei sehr blaß und zart, sagte der Jüngling. Es möge einstweilen noch mit den Pillen vorliebnehmen – liebevoll gedreht . . .
Dann berührte er wieder mit dem Zeigefinger den Brief. Es war seltsam, einen Brief zu bekommen. Er bekam keine Briefe. Und Tante Maria hatte er tatsächlich vergessen gehabt. Aber jetzt, wie ihm dieses zum Bewußtsein kam, empfand er, daß ihre Güte ihn wohl immer umfangen gehalten haben mußte. Sein Gefühl zu ihr war ihm warm und bekannt.
Sie hatte sich auch gar nicht mehr gemeldet gehabt in den letzten Jahren. Er war ihr wohl gleichgültig geworden, seitdem sie ihn versorgt wußte in einem Beruf, der ihn immerhin wenigstens zuweilen freute. Sonst war ihm eine Vorliebe zueigen für weite Spaziergänge bei Tag und Nacht und für sehr dicke Bücher – gleichgültig welchen Inhalts; sie mußten nur sehr dick sein, denn aus dem Umfang vermeinte der junge Mann den Ernst zu ersehen, den ein Verfasser seinem Stoff entgegenbringt. Auch die Bibel und der Koran waren dicke Bücher – und verschiedene andere auch. – Aber Tante Maria hielt wohl nichts von Büchern. »Dein eigenes Leben sei dein liebstes Buch,« hatte sie ihm geschrieben, als er gefirmelt wurde. Doch er verstand noch nicht darin zu blättern. Wer war er denn überhaupt? Verwandte besaß er nicht. Die Eltern waren so früh gestorben, daß er sich ihrer nicht zu erinnern vermochte. Tante Maria hatte ihn aus einer fremden Stadt hierhergebracht, hatte alles für ihn getan, was in den Kräften eines Menschen steht. Zwar hatte er sie nur selten in seinen Kinderjahren und noch weniger im vorgeschrittenen Alter gesehen. Aber es war ihm doch immer so, als sei sie in der Nähe. Und wenn es einmal etliche besonders schlimme Tage gab, war sie plötzlich dagewesen und hatte mit ihrer guten Hand die schwierigen Ereignisse getilgt. Doch seiner Frage nach seinen früheren Lebensumständen war sie streng ausgewichen. Sie hatte die Angelegenheit auf ein späteres Jahrzehnt verschoben. Und es schien da etwas Dunkles und Schweres in seiner Jugend obwaltet zu haben, was ihm Geheimnis war und fremd blieb. Er spürte deutlich einen dumpfen Druck aus fernigem Schicksal her. Auch hatte Taute Maria nicht gestattet, daß er sie auf ihrem Landsitz besuche. »Wir haben keine Lebensgemeinschaft,« hatte sie hart geäußert. Und da sie der einzige Mensch war, zu dem er sich hingezogen fühlte, vermied er schließlich alle Fragen, denn er fürchtete das Herbe und Strenge in diesem sonst so guten Gesicht . . . Einsam war er aufgewachsen; immer zwischen sehr alten, abgekämpften Leuten, die das Leben kannten, keinem Ding widersprachen, sondern es in seinem Rahmen zu verstehen wußten, und die dem Jungen immerdar jeden Willen ließen, weil er dadurch schneller an sein Ziel gelangen würde. Zu binden, zu beschneiden? sie hatten erlebt, daß das ein Irrtum war . . . Mit seinesgleichen war er deshalb nie zusammengekommen. Sein Umgang während der Schulzeit waren ein paar betagte Lehrer, die das verständige Kind gern auf ihre Studiengänge mitnahmen und ihm so alles lehrten was sie wußten. Und er begriff sehr gut.
Daß er Apotheker werden sollte, war der Tante Maria Herzenswunsch gewesen. Er hatte ihn erfüllt. Doch er mußte sich's gestehen: er hatte ein wenig heftig auf irgendeinen Dank ihrerseits gerechnet. Statt dessen hatte sie sich völlig von ihm zurückgezogen, einen Anwalt mit der pünktlichen Auszahlung einer Bekleidungs- und Beköstigungssumme beauftragt, die dieser in demselben